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Wallende Mähne. Hardt-Waltherr Hämers Auftritte waren legendär. Er wollte die Stadt aus den Erfahrungen der Menschen und den bestehenden Bauten entwickeln. Foto: picture-alliance

© picture-alliance / Berliner_Zeit

Zum Tod von Hardt-Waltherr Hämer: Retter von Kreuzberg

Er war ein früher Anti-Gentrifizierer und bewahrte große Teile Berlins vor dem Kahlschlag. Jetzt ist Hardt-Waltherr Hämer, Vater der behutsamen Stadterneuerung, im Alter von 90 Jahren gestorben

Die Schifferkirche in Ahrenshoop ist ein Ikönchen der modernen Architektur. Sie steht unauffällig da, klein und gradlinig, und erst bei näherem Hinsehen offenbart sich ihre Form als umgedrehter Schiffsrumpf. Es handelt sich um den Geistesblitz eines Architekturstudenten, der 1949 dem Ahrenshooper Pfarrer zufällig seine Dienste anbot. Dieser Student, Hardt-Waltherr Hämer, wurde später ein bedeutender Berliner, nicht in erster Linie als Entwerfer, sondern als Stadtplaner und Retter der historischen Kreuzberger Bausubstanz. Am Donnerstag ist Hämer im Alter von 90 Jahren in Ahrenshoop gestorben.

Schon sein schwer zu buchstabierender Vorname war den Berlinern viel zu kompliziert. „Gustav“ hieß Hämer schlicht, als er in den Kreuzberger Kulissen der frühen Siebziger Jahre zu poltern begann und mit seinen legendären Auftritten – wallende Mähne, wehender Mantel – von sich reden machte, oft cholerisch, oft charmant, aber immer effektsicher, durchsetzungsstark und versiert im Spiel mit den Institutionen.

„Posaune von Kreuzberg“ wurde er genannt oder auch „Liebling Kreuzberg“, eben einer, der als Einzelner vermutlich mehr für das heute weltberühmte Bild des Bezirks getan hat als Legionen von Politikern. Er war in Personalunion Erfinder und Durchsetzer der „behutsamen Stadterneuerung“, eine unumstrittene Kultfigur. 1983 segnete der Senat seine Ideen in einem Grundsatzprogramm ab, das das Ende der Kahlschlagsanierung besiegelte – der Höhepunkt einer West-Berliner Karriere ohne Beispiel.

Als junger Architekt war Hämer zunächst einem ganz anderen Konzept gefolgt, der funktionalen Stadtplanung der Nachkriegsmoderne. 1922 in Hagen geboren, studierte er in Berlin und Weimar, arbeitete in der 50er Jahren im Berliner Büro der Modernisten Hans und Wassili Luckhardt und machte sich einen Namen mit zwei kompromisslos neuzeitlichen, in schierem Beton gegossenen Theaterbauten in Mannheim und Ingolstadt.

In Berlin begann er seine Arbeit als Professor an der Hochschule der Künste auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte und stellte sich quer gegen die Pläne des Senats, die historische Substanz der Innenstadt bis nach Wedding wegzuplanieren und Autobahnschneisen kreuz und quer durch Kreuzberg zu schlagen. Als einer der ersten begriff er die politische Dimension von Stadtplanung und Architektur als einheitlichem Konzept und stellte sich auf die Seite der Bewohner, die vorher niemand einbezogen hatte.

Sein Umdenken begann Anfang der Siebziger Jahre. Die Verfechter der Kahlschlag-Moderne hatten sich mit dem „Neuen Kreuzberger Zentrum“ am Kottbusser Tor noch einmal ein fatales Denkmal gesetzt, in Neukölln war das nicht minder brachiale Rollberg-Viertel entstanden. Doch mit beiden Projekten wuchs auch die Sehnsucht nach dem Rückweg zu einer Stadt mit menschlichem Maß. Die war zwar noch immer reichlich vorhanden in Berlin, aber verrufen als Anhäufung von baufälligen „Mietskasernen“ mit Ofenheizung und dem Klo auf der Etage.

Hämer gelang es um 1974, den derart heruntergekommenen Klausenerplatz in Charlottenburg vor dem Komplettabriss zu bewahren und für ein Drittel der Neubaukosten zu reparieren, ein fast revolutionäres Exempel, das ihm 1979 folgerichtig die Position als Leiter des Altbau-Teils der Internationalen Bauausstellung 1984 einbrachte. Diese IBA nutzte er als Schaufenster seiner Ideen, warf den ursprünglichen Planungsprozess um und ließ unzählige Bewohner nach ihren Vorstellungen fragen. Das Modell funktionierte, die Sanierung ging zügig voran, ohne dass die Mieten unmäßig stiegen, eine Art frühe Anti-Gentrifizierung.

1986 gründete Hämer die S.T.E.R.N.-Gesellschaft zur behutsamen Stadterneuerung, die er bis 1997 führte, energisch wie immer. Die Entwürfe für den neuen Potsdamer Platz bezeichnete er auf einer Veranstaltung des verantwortlichen Senators Volker Hassemer als „Scheiße“, stritt auf Stadtforen und ähnlichen Veranstaltungen immer wieder für seine Ideen weit bis ins 21.Jahrhundert hinein, dachte über das Nazi-Bad in Prora nach und das Dessauer Bauhaus. Doch seine Macht ließ spürbar nach; merklichen Einfluss auf den Umbau Ost-Berlins vermochte er nicht mehr zu gewinnen.

Sein letzter öffentlicher Auftritt in Berlin galt dem Studentendorf Schlachtensee, für dessen Erhaltung er bei einer Veranstaltung mit den Krücken auf dem Tisch herumhämmerte – das Dorf wurde gerettet. Schließlich zog er sich um 2005 nach Ahrenshoop zurück und überwachte dort die Reparatur seiner baufällig gewordenen Kirche. In ihr wird am kommenden Freitag auch die Trauerfeier stattfinden. Bernd Matthies

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