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Dem Weltruhm so nah. Alexandra Kluge im Jahr 1966.

© picture-alliance / dpa

Zum Tod der Schauspielerin Alexandra Kluge: Die Träumerin

Trotz hymnischer Kritiken, gespielt hat sie nur für ihren Bruder: Die Schauspielerin und Ärztin Alexandra Kluge ist tot.

Eine der großartigsten Szenen aus Alexander Kluges großartigem Film „Abschied von gestern“ zeigt die Hauptfigur Anita G. auf einer Wiese vor einer Autobahnauffahrt. Man sieht sie aus größerer Entfernung, sie wirkt verloren, wie sie sehr klein auf ihrem Koffer sitzt. Die Kamera kreist um sie, scheint abzuheben, beginnt zu fliegen. Anita hebt den Blick, und über ihr durchschneidet ein Flugzeug den Himmel. Das Gefühl des Gefangenseins und der Traum von der Freiheit, festgehalten in 56 Filmsekunden. Dazu erklingt Walzermusik.

„Uns trennt von gestern kein Abgrund, sondern die veränderte Lage“, heißt es im Vorspann. Anita G., Holocaust-Überlebende und Flüchtling aus der DDR, schafft es nicht, in der Gegenwart anzukommen. Den ganzen Film über ist sie unterwegs, durch Gerichtssäle, Einkaufsstraßen, Hotels und Hörsäle, aber Halt findet sie nicht im Wirtschaftswunderland. Gespielt wird sie von Alexandra Kluge, der kleinen Schwester des Regisseurs. Ein Richter sagt ihr, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus „nach der Lebenserfahrung bei jungen Menschen nicht nachwirken“ und verurteilt sie, weil sie eine Strickjacke gestohlen hat.

Zum Film kam sie als Regieassistentin ihres Bruders

Doch in den dunklen Augen der Hauptdarstellerin steckt mehr Lebenslust als Resignation. „Abschied von gestern“, der 1966 bei den Filmfestspielen von Venedig mit einem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde, war tatsächlich ein Anfang. Mit seiner Verve, dem Wechsel von Ernsthaftigkeit zu Überschwang, von Fiktion zu Dokumentation bewies der Film, dass eine Nouvelle Vague auch in Deutschland möglich war.

Alexandra Kluge, mit ihrem Bruder am 2. April 1937 in Halberstadt geboren, war wie Anita G. aus der DDR weggelaufen. Sie hatte in Ost-Berlin, Frankfurt und München Medizin studiert und über „Pubertätsmagersucht“ promoviert. Zum Film kam sie als Regieassistentin ihres Bruders. Er nannte sie „Mitautorin“, weil sie sich am Drehbuch beteiligte und vor der Kamera improvisierte. Gespielt hat sie nur für ihren Bruder. In „Gelegenheitsarbeit einer Sklavin“ (1973) verkörpert sie eine Krankenschwester, die eine illegale Abtreibungsklinik gründet. „Die Macht der Gefühle“ (1983), eine Collage über das Verhältnis von Leidenschaft und Rationalität zu Opernmusik von Verdi, war ihr letzter Film. Alexandra Kluge wollte sich nicht ganz herüberziehen lassen zum Kino, trotz eines Bambis für „Abschied von gestern“, trotz hymnischer Kritiken. Achtzigjährig ist sie, wie jetzt bekannt wurde, bereits am 11. Juni in Berlin gestorben.

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