zum Hauptinhalt
Leonhard Cohen 2012 in Paris. Am heutigen Sonntag wird er 80.

© AFP

Zum 80. Geburtstag von Leonard Cohen: Hohelied mit Hut

Leonard Cohen hat der Welt so viel geschenkt – jetzt noch ein neues Album: Dem großen Dichter und Sänger zum 80. Geburtstag.

Now I’ve heard there was a secret chord

That David played, and it pleased the Lord

But you dont really care for music, do you?

It goes like this, the fourth, the fifth

The minor falls, the major lifts

The baffled king composing Hallelujah

Es gibt nicht viele Songs, denen ein ganzes Buch gewidmet ist. Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ war dem Pop-Exegeten Greil Marcus 300 Seiten wert, und der Musikjournalist Alan Light hat Leonard Cohens „Hallelujah“ eine Monografie gewidmet: „The Holy or the Broken“. Darin beschreibt er die unwahrscheinliche Karriere eines Lieds, das 1984 auf dem Album „Various Positions“ veröffentlicht wurde, ganze 4:34 Minuten.

Dylans mitreißend aggressive, alle Pop-Niedlichkeiten negierende Komposition schlug 1965 ein wie ein Blitz, die Musikwelt stand in Flammen, danach klang nichts mehr wie zuvor. Cohens „Hallelujah“ bewirkte erst einmal gar nichts. Jahre vergingen, ehe John Cale und Jeff Buckley ihn für sich entdeckten und anhoben. Heute ist „Hallelujah“ eine der weltweit am meisten gecoverten Nummern. Man spielt es bei Beerdigungen und Hochzeiten und Casting Shows, die Liste der Interpreten umfasst Bono, Rufus Wainwright, Bon Jovi, Neil Diamond, Renée Fleming (die Opernsängerin), Justin Timberlake ...

Cohen hat den Text oft umgestellt, variiert. In einem Gespräch mit dem „Guardian“ in London sagte er Anfang letzter Woche, er habe sich manchmal ein „Moratorium“ für diesen Song gewünscht – und dass zu viele ihn sängen. Aber dann habe er sich entschlossen, „Hallelujah“ auch selbst wieder zu singen: „Es zieht heilsame Energie an, im Angesicht all der Katastrophen.“ Cohen sagte aber auch, es sei nicht leicht, stets „die Tür zu einem Song“ zu finden, ihn frisch klingen zu lassen. So wie man einen Weg zu einem Menschen suche, den man gut kennt. Man lebe ja dasselbe Leben wieder und wieder und habe dabei das gleiche Problem: es neu zu empfinden und ihm Bedeutung zu geben. Die Zeitung schrieb, wie fit und entspannt Cohen gewirkt habe bei dem Treffen. Und dass er sich zum 80. Geburtstag vorgenommen hat, wieder mit dem Rauchen anzufangen.

„It’s not because I’m old/It’s not what dying does/I always liked it slow/Slow is in my blood“. Mit dem Titel „Slow“ eröffnet Leonard Cohen das Album „Popular Problems“ (Sony), das zu seinem 80. Geburtstag erscheint. Die neun Songs hat Cohen mit dem Musiker und Produzenten Patrick Leonard geschrieben, der als Mitarbeiter von Madonna, Elton John, Bryan Ferry bekannt wurde. Es ist ein wunderbares, unerwartetes Geschenk. Es steckt voller Ironie, und darin liegt viel Wahrheit.

2008 wurde Cohen endlich in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen

Oden an die Freude. Leonard Cohen 2013 beim Jazzfest in Montreux.
Oden an die Freude. Leonard Cohen 2013 beim Jazzfest in Montreux.

© Dominique Issermann/AFP

Natürlich wäre es banal, dieses „Langsam“ auf Cohens musikalische Gangart allein zu beziehen. Als er 1967 sein Debüt- Album („Songs of Leonard Cohen“, mit „Suzanne“) herausbringt, ist er bereits Mitte dreißig und ein recht bekannter Dichter und Romancier. In dem neuen Bildband „Leonard Cohen. Almost Young“ (Schirmer/Mosel) kann man die Stationen nachschauen: grüner Poet 1964 in Montreal, beim Newport Folk Festival mit Joni Mitchell, 1970 auf der Isle of Wight vor 650 000 Zuhörern, 2008 in der Rock’n’Roll Hall of Fame in New York.

Langsam. Auf verschlungenen Wegen: Stets hat Leonard Cohen um seinen Sound gerungen, mit diversen Produzenten bis hin zum bombastischen Phil Spector experimentiert, nach der Musik gesucht, die seinen Versen Flügel geben könnte. „Hallelujah“ ist für diesen Kampf das leuchtendste Beispiel. Und das gilt nicht nur für Melodien und Arrangements. Etliche Cohen-Texte sind durch Äonen von Überarbeitungen gegangen, so wie „Hallelujah“.

Hört man die Studio-Aufnahme von 1984 und spätere Live-Mitschnitte, etwa vom Album „Songs from the Road“ (2010), dann ist das nicht derselbe Song. Wie Phönix aus der Asche erheben sich die Live-Aufnahmen, schwirrend, glühend, unwiderstehlich. Wer ihn nach seinem sagenhaften Comeback von 2008 im Konzert erlebt hat, weiß, wovon die Rede ist. Tausende Menschen singen lauthals und glücklich „Hallelujah“ mit, in Dublin, London, Tel Aviv, Berlin. Das Lied geht unter die Haut und in tiefere Schichten. Hat er denn geahnt, was er schreibt, welche universelle Kraft diese Verse entfalten würden? Oder ist es ihm wie König David ergangen, der sich selbst überrascht hat mit seiner Komposition?

Cohens Lieder erinnern an die Rosen von Jericho, jene trockenen Knäuel, die wundersam aufgehen, wenn man sie in Wasser legt. Manchmal erschließen sich Cohens Verse erst nach Jahrzehnten. Wieder und wieder gehört, und dann öffnet sich eine Tür. „Workers in Song“ hat er seinesgleichen genannt, in „Chelsea Hotel“, einem Song, der an eine Liebesnacht mit Janis Joplin erinnert, „we were running fort he money and the flesh“. Es wird oft vergessen, wie sehr Cohen einmal Teil einer Pop- und Rockszene war, ein Überlebender der Sechziger und Siebziger, der sich eines Tages für anderthalb Jahrzehnte aus der Öffentlichkeit zurückzog in ein Zen-Kloster in Kalifornien. Hallelujah! Dort ist vielleicht auch sein Humor gereift, die Eleganz, der Charme der einst so dunklen Lichtgestalt. Lobet den Herrn!

Aber was ist das für ein Lied, das jeder kennt, das in vielen Filmen und Fernsehgeschichten läuft und das den Status einer neuzeitlichen „Ode an die Freude“ erreicht hat? Erst geht es in dem Song ja um den Dichter-König des Alten Testaments, um Susanna im Bade, später wandert die Aufmerksamkeit zu einer anderen Frau, einer Liebes- und Ehegeschichte, im Koitus flattert die heilige Taube auf, und irgendwann läuft nichts mehr „below“, ist die Begierde dahin, der Sänger schaut zurück, ohne Zorn: „I did my best, but it wasn’t much/ I couldn’t feel, so I tried to touch/I’ve told the truth, I didnt come to fool you/And even though it all went wrong/I’ll stand before the Lord of song/ With nothing on my tongue but Hallelujah.“

Cohen glaubt an die Möglichkeit, zu glauben und zu lieben. Die Möglichkeit ist die Message. Dafür schulden wir ihm Dank – dass er uns seine Dichterhand hingestreckt hat und die „dünne grüne Kerze“ seines ersten Albums nie ausgegangen ist. Leonard Cohen hat unter großen Mühen herausgearbeitet, was in der zweiten Hälfte des barbarischen 20. Jahrhunderts ein Lied sein kann. Und er hat im Zeitalter der totalen künstlerischen Dekonstruktion die egozentrische, anachronistische, zivilisierte Idee des Individuums zusammengehalten. Das sich in der Begegnung mit anderen Individuen verzehrt und verklärt.

Religion und Eros. Ein kanadischer Dichter mit familiären Wurzeln in Osteuropa, der sich auf der griechischen Insel Hydra intellektuell frei schwimmt und den Spanier Federico Garcia Lorca als sein poetisches Vorbild nennt. Ein Jude in buddhistischer Meditation. Leonard Cohen ist ein Geist, der die Welt vereint. Das hat ihm Schmerzen verursacht.

Davon hören wir auch auf dem neuen Album, aber er macht es beschwingt, nicht allzu bitter, mit fester Stimme, überraschend rau. Klassische Liebeslieder post festum („My Oh My“, „Did I Ever Love You“), an anderer Stelle der Versuch, die Schrecken des Planeten abzuwehren, zu vergessen („Almost Like the Blues“, „Nevermind“). Das Album klingt manchmal etwas artifiziell und dünn, wie nachträglich instrumentiert, sozusagen ein kolorierter Schwarzweiß-Film. Aber das war häufig der Fall bei Cohen, in all den Jahren, die man mit seiner Stimme verbracht hat, im Hintergrund und im Herzen. Die Lieder müssen reifen, sie blühen spät auf. „Hallelujah“.

Vor zehn Jahren, als man ihm zum 70. gratulierte, klangen die Geburtstagssätze schon wie ein Nachruf. Das ist jetzt nicht der Fall. Denn er ist wiedergekommen, heraus aus der Phantomzeit, er hat Alben gemacht, ist um die Welt getourt. Seine Lieder, die so lange warten mussten, haben es ihm gedankt, Abend für Abend.

„Popular Problems“ schließt mit einem Song, der sich ausdrücklich auf die große Anrufung bezieht. „You Got Me Singing“ ist einer der schönsten Cohen-Songs seit sehr langer Zeit. „You got me singing/Even tho’ it all looks grim/You got me singing/the Hallelujah hymn.“

Was darf man dem Künstler zum 80. Geburtstag wünschen? Dass er noch einmal wiederkommt auf die Bühne? Das ist eher etwas, das wir uns selbst wünschen. Versuchen wir es anders. Setzen wir einen Hut auf, so wie er einen getragen hat bei den letzten Konzerten, und ziehen wir diesen Hut heute vor Leonard Cohen. Wer es vermag, der kniet nieder, so wie der Dichter vor den Musikern kniet, die auf der Bühne seine Verse und Melodien in den Himmel schicken.

Zur Startseite