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Ein Investor will am Berliner Osthafen neue Hochhäuser bauen. Ein Hotel und 195 Wohnungen fänden darin Platz.

© Pysall Architekten

Wohnungsnot in Berlin: Sind Hochhäuser die Lösung?

Rotterdam baut mutig, London viel - und Berlin? Ist eher verhalten, wenn's um das Thema Hochhäuser geht. Dabei werden einige geplant. Könnten sie die Wohnungsnot lindern?

Alle Welt redet von Hochhäusern. Ständig werden neue Pläne präsentiert, oder sagen wir lieber: Ideen. Denn konkret geplant werden nur wenige Hochhäuser, das gilt für Deutschland im Ganzen und speziell für Berlin. Hier in der Bundeshauptstadt handelt es sich um eine Phantomdebatte. Erst recht hinsichtlich des derzeit heftig diskutierten Typs des Wohnhochhauses. Wird etwa ein – mäßig hohes – Gebäude zur Verdichtung der hochhausbestandenen Fischerinsel in Aussicht genommen, fährt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher gleich dazwischen. Ihr ist die Bewahrung des DDR-Erbes heilig; vorzugsweise grün wählenden Menschen hingegen die Bewahrung aller Baulücken. Es läuft aufs selbe hinaus: Gebaut wird nicht, schon gar kein Hochhaus.

Nun kann man über Sinn und Unsinn von Hochhäusern durchaus geteilter Meinung sein. Was die einen als ökonomische Ausnutzung knappen Baugrundes preisen, verteufeln die anderen als ökologisches Dauerdesaster. Und gar Wohnhochhäuser: Die kämen nur der zahlungskräftigen Klientel derer zugute, die Apartments aufkaufen, ohne je darin zu wohnen. Nun lehrt der Blick auf Wohnhochhäuser in Hellersdorf wie in der Gropiusstadt, dass durchaus auch Sozialmieter oberhalb der in Berlin geheiligten Traufhöhe Aufnahme finden. Das aber, so heißt es dann, seien heruntersubventionierte Ausnahmen. Die (gemeinnützigen) Wohnungsbaugesellschaften sehen das anders. Sei’s drum.

Ein-Personen-Haushalte sind die häufigste Wohnform

Berlin wächst. Die Bevölkerungszahl macht bei den derzeitig gemeldeten 3,7 Millionen nicht halt – vier Millionen Einwohner sind in wenigen Jahren zu erwarten. Damit nähert sich die Stadt derjenigen Einwohnerzahl an, die sie vor dem Zweiten Weltkrieg schon einmal zu verzeichnen hatte – auf seinerzeit sehr viel geringerer Fläche. Das hat mit dem stark gestiegenen Bedarf zu tun. Pro Kopf verzeichnet die Statistik mittlerweile rund 46 Quadratmeter Wohnfläche – nicht überraschend in einer Stadt, in der Ein-Personen-Haushalte erstmals die relativ häufigste Wohnform darstellen. Dass die horizontale Ausbreitung von Kleinwohnungen in berlin-üblichen Geschossbauten die Verödung der betreffenden Gegend mit sich bringt – wo weniger Menschen wohnen, ist halt weniger los –, wird in der Diskussion über die Belebung der Städte gern übersehen.

In Deutschland gilt ein Gebäude ab 22 Meter Höhe baurechtlich als „Hochhaus“. Das ist die gute alte Berliner Traufhöhe, deren Einhaltung die hiesige Lokalpolitik seit jeher mit Klauen und Zähnen verteidigt. Betrachtet man als Hochhaus – etwas realitätsnäher – nur Gebäude ab 100 Metern Höhe, dann lassen sich die Berliner Exemplare an zwei Händen abzählen. Beim kürzlich abgehaltenen Kongress der Fachzeitschrift „Bauwelt“ zum Thema Wohnhochhaus erwähnte ein Referent, dass die Zahl solcher Hochbauten allein in New York – derzeit 737 – höher sei als in ganz Europa. Das mag man kaum glauben.

In den USA sind Hochhäuser seit jeher akzeptiert

Ob die Zahl stimmt oder nicht, sie wird sich ohnehin bald nicht mehr erzählen lassen, sieht man allein auf die Menge an Baugenehmigungen, die London für Hochhäuser bereits erteilt hat. Was dort etwa am zuvor missachteten Standort Vauxhall im Südwesten an Wohntürmen entsteht, kann es mit den Hochhaus-Clustern asiatischer Megacities locker aufnehmen.

London ist mit Blick auf die Hochhausfrage gerade ein Reizwort. Der furchtbare Brand des Grenfell Tower scheint die Verächter des Hochhauses bestätigt zu haben. Indessen sind die unzureichenden, in diesem Fall allerdings gar nicht erst beachteten britischen Feuerschutzbestimmungen kein Maßstab – allenfalls hinsichtlich der Wärmedämmung, die auch in Deutschland sorglos draufgepappt wird und die sich, der falschen Materialwahl halber, in London als verheerend erwiesen hat. In den USA mit ihrer weit über hundertjährigen Erfahrung im Hochhausbau sind Wohntürme seit jeher akzeptiert – und sicher.

In Deutschland sind gesonderte Fluchttreppenhäuser, Feuerwehraufzüge und Steigleitungen Vorschrift, ebenso wie feuerhemmende oder gar nicht brennbare Materialien. All das macht den Hochhausbau teurer, wenn auch längst nicht in dem Maße, wie gern behauptet wird. Die Zeitschrift „Bauwelt“ beziffert in ihrem Themenheft „Zukunft Wohnhochhaus?“ den durchschnittlichen Mehraufwand mit zehn bis fünfzehn Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass Wohntürme zumeist besonders aufwendig ausgestattet werden, wie der mit 172 Metern derzeit höchste deutsche Wohnturm. Er ist derzeit in Frankfurt am Main im Bau. Seine zukünftigen Bewohner müssen unter anderem Dachgarten, Sonnendeck und Concierge-Service mitbezahlen.

Es ist wie beim Autokauf: Die Extras treiben den Preis – und den Profit. Die Spanne zwischen den Investitionskosten – die mehr sind als die reinen Baukosten – und dem Verkaufspreis bewegt sich bei solchen Prestigeobjekten pro Quadratmeter schätzungsweise zwischen 4000 und 8000 Euro: Das macht die Dimension deutlich, in der sich die Immobilienbranche mittlerweile bewegt.

In Vergessenheit ist geraten, dass Wohnhochhäuser in der alten Bundesrepublik ganz überwiegend in Großsiedlungen auf der berüchtigten „grünen Wiese“ entstanden: zur Linderung der Wohnungsnot, die die Wiederaufbauzeit bis gegen Ende der sechziger Jahre begleitete. Das Wohnen im Hochhaus hatte keinen guten Ruf, es galt als Notlösung für Alleinstehende, wenn nicht für sozial eher Randständige. Das Ideal war – und ist weitgehend noch heute – das Einfamilienhaus, dem man sich über die Etappen des niedrigen Geschosswohnungsbaus und des Reihenhauses möglichst anzunähern suchte. Ein Blick auf die ausufernden Haus-mit-Garten-Ansammlungen in Berlins Speckgürtel zeigt, wie wirkmächtig dieser Wunsch ist, übrigens gern in den Bereich von Grünen-Wählern hinein.

Baugemeinschaften achten mehr auf Vielfalt

Unlängst hat die Wohnungsbaugenossenschaft HOWOGE einen Ideenwettbewerb für ein standardisiertes Wohnhochhaus veranstaltet. Das siegreiche Berliner Büro LIN Architekten und Urbanisten entwarf einen Turm auf rechteckigem Grundriss, bei dem sich 13 Wohngeschosse über einem zweigeschossigen Sockel erheben. Die Wohnflächen sind rings um einen Erschließungskern aufgehängt, und außen laufen Balkone um das ganze Gebäude. Da die Konstruktion rings um den tragenden Betonkern flexible Trennwände erlaubt, sind unterschiedliche Wohngrößen und Grundrisse möglich, von ein bis vier Zimmern und 26 bis 99 Quadratmetern Wohnfläche. Das Prinzip, Vielfalt innerhalb eines Gebäudes zu schaffen, scheint derzeit eher von Baugemeinschaften verfolgt zu werden, die sich zu gemeinschaftlichem Wohnen zusammengefunden haben und unterschiedliche Bedürfnisse austarieren wollen. So scheint eher marktgängig zu sein, was der Berliner Architekt Justus Pysall demnächst am Treptower Spreeufer verwirklichen soll: zwei Punkthochhäuser von 99 respektive 110 Metern Höhe mit 29 respektive 32 Geschossen. Die insgesamt 208 Wohnungen sind allerdings durchweg größer und nach jeweils zwei Himmelsrichtungen ausgerichtet.

Ein 150 Meter hoher Doppelturm

Andere Städte sind mutiger. In Rotterdam hat Rem Koolhaas seine experimentelle Stadt De Rotterdam realisiert. Und die Bebauung der einstigen Passagierterminal-Halbinsel Kop van Zuid ist zu einer regelrechten Freiluftausstellung von Architekturideen geworden. Jüngstes – und spektakulärstes – Beispiel ist der mit Baubeginn im kommenden Jahr geplante Wohnturm des seit jeher innovativen Büros MVRDV. Der bis zu 150 Meter hohe Doppelturm The Sax beherbergt insgesamt 450 Wohnungen. Kennzeichen sind die aus der Gitterkonstruktion der Fassaden unregelmäßig hervortretenden „Erker“, die wiederum einen Balkon für das darüber liegende Stockwerk tragen. Das Ensemble steht direkt am Ufer eines früheren Hafenbeckens. Unten dümpelt ein „Floating House“, ein Experimentalbau aus geodätischen Kuppeln auf einer Art Ponton. Ob die Zukunft auf dem Wasser liegt, sei dahingestellt. Im Wohnhochhaus jedenfalls liegt eine mittlerweile realistische Perspektive.

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