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Der kleine Julian in Winkelmanns Film "Junges Licht", gespielt von Oskar Brose

© Verleih

Winkelmann-Film "Junges Licht": Bier und Kohle, Zigaretten und Schlote

Das Ende einer Kindheit im Ruhrgebiet der frühen sechziger Jahre: Adolf Winkelmann adaptiert Ralf Rothmanns Roman „Junges Licht“.

Es ist ein schöner Satz, der in diesem Film von Adolf Winkelmann gänzlich unvermittelt und überraschend aus dem Mund der 15-jährigen, frühreifen Nachbarstochter Marusha (Greta Sophie Schmidt) kommt: „Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.“ Doch diese Lektion kommt für Julian Collien (Oskar Brose), der mit seinen zwölf Jahren an der Schwelle zur Pubertät steht, noch etwas früh. Er hat gerade genug damit zu tun, erste Erfahrungen mit der Sexualität, mit Gewalt, Schuld und Tod zu verarbeiten. Und die Umgebung, in der er aufwächst, macht ihm das nicht leichter.

Eine Bergarbeitersiedlung in den frühen sechziger Jahren, gelegen zwischen Oberhausen und Bottrop. Julians Vater (Charly Hübner) arbeitet unter Tage, die Mutter (Lina Beckmann) ist physisch und psychisch angeschlagen, das Geld ist knapp, die Luft nicht die beste: zu Hause in der kleinen Wohnung nicht, wegen der kettenrauchenden Eltern, draußen nicht, wegen der ständig rauchenden Schlote. Und Prügel für seine unterschiedlichsten Verfehlungen oder auch einfach so gibt es gleichermaßen von Lehrern, der Mutter oder den Nachbarskindern.

Winkelmanns Film ist nahe an der Vorlage

Das Setting für Winkelmanns „Junges Licht“ stammt aus Ralf Rothmanns gleichnamigem Roman, der 2004 veröffentlicht wurde. Man fragt sich, warum der in diesem Jahr 70 Jahre alt gewordene Adolf Winkelmann, der mit Filmen wie „Die Abfahrer“, „Jede Menge Kohle“ oder „Nordlicht“ als Regisseur des Ruhrgebiets gilt, und der 1953 in Schleswig geborene, aber in Oberhausen groß gewordene Schriftsteller Rothmann nicht vorher schon einmal zusammengekommen sind. Eine ideale Kombination. „Junges Licht“ wirkt wie ein Nachklapp von Ralf Rothmanns Ruhrgebietstrilogie „Stier“, „Wäldernacht“ und „Milch und Kohle“, ein Kindheits- und Erinnerungsroman, der noch um einiges gereifter, konzentrierter und poetischer als diese frühen Romane ist.

Winkelmanns Film hält sich, trotz einiger dramaturgischer Freiheiten, gekonnt an die Vorlage: in seiner losen Szenenabfolge, bezüglich der Dialoge und auch der Requisiten. Julians Mutter zum Beispiel trägt einmal genau die weiße Bluse, den grauen Kostümrock und die hellgrauen Stöckelschuhe, mit der auch Rothmann sie beschreibt, „während ihr der Rauch aus der Nase strömte.“

Passend ist der stete Wechsel von farbigen und schwarzweißen Bildern, die das oft Graue und Dunkle der Bundesrepublik und gerade dieses Milieus mit seinen Siedlungen und Schachtelwohnungen schön in Szene setzen. Warum Winkelmann allerdings bisweilen zwischen Breitwand- und 4:3-Format wechselt, erschließt sich nicht.

Wenn es um Sex geht, wird Klartext gesprochen

Viel gesprochen wird nicht bei den Colliens, erst recht nicht, als die Mutter und Julians Schwester Sophie an die Nordsee fahren und Vater und Sohn zurückbleiben. Nur wenn es um Sex geht, wird Klartext gesprochen: von jener Lolita-haften Nachbarstochter, deren Freund („Hast Du schon Haare am Sack?“), und zweideutiger von deren Stiefvater (Peter Lohmeyer), der Julian seltsame Angebote macht und ihm nur allzu gern beim Kohleschippen unter die Arme greift. Julian wirkt hier wie ein Außenseiter. Was sich seiner Unerfahrenheit verdankt, aber auch seiner Vorliebe, zu fotografieren, zu malen, in den Tag hineinzuträumen. Geradezu rührend ist es, wie er einmal mit dem Vater auf dem Balkon sitzt, auf die Zechen und Schlote schaut und davon spricht, Kokser, Stahlarbeiter oder eben Bergmann werden zu wollen.

"Er schlägt einen nie und gibt einem Geld für Sprudel und so"

Adolf Winkelmann versagt sich – wie Ralf Rothmann in seinem Roman – jegliche Euphemisierung einer untergegangenen Welt. Sein Film ist langsam, manchmal fast ein bisschen elegisch – und dabei doch immer darauf bedacht, die Risse in diesem Milieu sichtbar zu machen, Risse, die der Heranwachsende immer deutlicher erkennt. Irgendwann entscheidet Julian sich tatsächlich das erste Mal für die Freiheit. Er wehrt sich gegen seine Mutter, die ihn wieder einmal mit dem Kochlöffel prügeln will. Und packt seine Siebensachen, reißt aus und versucht sogar noch, ein folgenreiches Vergehen seines Vaters zu beichten. „Eigentlich ist er ein guter Mensch. Er schlägt einen nie und gibt einem Geld für Sprudel und so. Aber er war auch unkeusch.“

In der letzten Einstellung sieht man den Jungen, wie er seinen von der Arbeit kommenden Vater trifft, auf den Sattel von dessen Fahrrad klettert, wie früher, und wieder nach Hause zurückfährt. Und man weiß:  Hier ist eine Kindheit zu Ende gegangen.

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