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Komische Verzweiflung. Judith Rosmair als Hauptmieterin der WG und überambitionierte Kunstfotografin.

© Barbara Braun/drama-berlin.de

"Willkommen" im Renaissance-Theater: Unsere schönen Lügen

Ein Geflüchteter im Charlottenburger Luxusloft? „Willkommen“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz spielt mit Widersprüchen und Lebenslügen der Wohlstandsgesellschaft.

Warum nicht mal was Gutes tun? Der Anglistikdozent Benny geht für ein Jahr in die USA, was bedeutet, dass sein Zimmer im luxuriösen Charlottenburger Loft in dieser Zeit leer stehen wird. Da wär’s doch naheliegend, Geflüchtete einzuquartieren, aus der Unterkunft am Kaiserdamm um die Ecke. Klar, Hauptmieterin Sophie und die übrige Belegschaft der buntgemischten WG – Verwaltungsangestellte Doro, Studentin Anna und Bank-Azubi Jonas – müssen noch zustimmen. Aber das dürfte ja kein Problem sein. Denkt sich Benny. Seine Plattensammlung und der Eggchair mit dem empfindlichen Bezug wandern sicherheitshalber in den Keller, und schon ist Platz für die Kriegstraumatisierten. Bonus für alle: die syrische Küche soll total lecker sein! Was aber das Beste ist: Benny selbst muss mit den Konsequenzen seiner karitativen Anwandlung nicht leben.

„Willkommen“ heißt das Stück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das auf so smarte wie hintergründige Weise mit den Gewissenskonflikten, Widersprüchen und Lebenslügen unserer Wohlstandsexistenz spielt – gespiegelt im Mikrokosmos einer aus verschiedenen Schichten, Generationen und Gesinnungen zusammengewürfelten Wohngemeinschaft. Am Renaissance-Theater bringt jetzt Torsten Fischer diese Komödie für Sorgenträger auf die Bühne – mit durchschlagendem Erfolg!

Schöner-Wohnen-Traum als Schauplatz

Die Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos haben sich ins Zeug gelegt und als Schauplatz einen Schöner-Wohnen-Traum entworfen, mit riesigen Glastüren zur Terrasse, gigantischer gelber Wand und Küchenzeile mit eingebauten Aquarien. Allerdings wird’s hier schon bald ziemlich ungemütlich. Spätestens als Doro – als trinkfreudige Pragmatikerin wunderbar gespielt von Imogen Kogge – aus der Runde der Hilfsbereiten ausschert und eine flammende Tirade gegen den Machismo arabischer Männer hält („Ich hasse es, dass die auf der Straße nie ausweichen. Ich mag die Sprache nicht, die immer so klingt, als ob sie einem grade den Krieg erklären.“).

Eine tolle Szene. Vor allem, weil sie das Publikum dazu verführt, im Namen der Errungenschaften des Feminismus, der Popkultur und der „weltweit geschätzten Berliner Lässigkeit“ hemmungslos den eigenen Ressentiments nachzugeben. Applaus, endlich sagt’s mal einer! Was zugleich die Frage aufwirft, wer denn willkommen wäre? Ein älteres Ehepaar vielleicht, zwei Schwestern oder Schwule, wie Jonas (Benno Lehmann) vorschlägt? „Oder Transgender? Oder ein afghanischer Zwerg, der auf den Händen laufen kann?“, kontert Benny (Klaus Christian Schreiber), der auch gleich mal das Dilemma der humanistischen Praxis auf den Punkt bringt: „Wir wollen keine Dackelwelpen kaufen, sondern Menschen bei uns aufnehmen.“

Balance aus Boulevard und Ernsthaftigkeit

Allerdings wird sich Bennys nobles Vorhaben nie dem Realitätstest und der dazugehörigen Rassismusprobe stellen müssen. Denn Studentin Anna (Laura Kiehne) platzt mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft heraus und hat einen ganz eigenen Mitbewohner-Vorschlag: ihren Freund Achmed. Der ist ein verständnisvoller Typ und entspricht so gar nicht den Klischees, die seinem Namen vorauseilen, was zu hochkomischen Dialogen innerhalb der nun völlig verwirrten Charlottenburger WG führt. Sophie: „Er ist Türke.“ Jonas: „Aber aus einer Fahrradwerkstatt!“

Achmed jedenfalls (klasse: Emre Aksizoglu) sprengt endgültig die Schwarz-Weiß-Raster der Korrektheit. Zum Beispiel durch seinen lockeren Umgang mit dem Wort „Kanake“ und seinen AfD-kompatiblen Ansichten zur „Vollbetreuung von Flüchtlingen“. Was besonders Hauptmieterin Sophie, einer überambitionierten Kunstfotografin – mit komischer Verzweiflung von Judith Rosmair gespielt – gegen den Strich geht.

Regisseur Torsten Fischer findet dafür die perfekte Balance aus ernsthaftem Schlagabtausch und boulevardeskem Überschwang. „Willkommen“ ist eben kein Moralstück. Sondern beste Unterhaltung auf denkbar rutschgefährlichem Boden.

Nächste Vorstellungen: 14. bis 18. Juni

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