zum Hauptinhalt
Warten auf den großen Moment: die Staatsoper am Wiedereröffnungs-Abend.

© Kai-Uwe Heinrich

Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper: Pleiten, Pech, und Posaunen

Am Tag der Deutschen Einheit hat die Staatsoper Wiedereröffnung gefeiert. Ihre Sanierung war eine Abfolge von Skandalen. Eine kleine Chronik.

Es war ein Abschied mit mehr lachenden als weinenden Augen. Damals, am 5. Juni 2010. Als Unter den Linden die letzte Vorstellung über die Bühne ging, Tschaikowskis „Eugen Onegin“, samt Liveübertragung auf den Bebelplatz. Jetzt sollte es endlich losgehen, mit der Sanierung des maroden Opernhauses, dem das Grundwasser schon lange bis zum Hals stand! Sicher, so mancher Mitarbeiter fremdelte noch mit dem Ausweichquartier im Mittleren Westen, dem Charlottenburger Schiller Theater – aber 36 Monate Exil, das würde sich aushalten lassen. Denn im Herbst 2013 wäre ja im Stammhaus schon alles fertig ...

Aber der Reihe nach: Bereits in den neunziger Jahren schlägt Intendant Georg Quander Alarm. Wenn nicht bald etwas geschähe, werde die Baupolizei die Staatsoper schließen. Auch sein Nachfolger Peter Mussbach warnt regelmäßig. Doch der Berliner Senat ist zu der Zeit ganz mit seiner Sparen-bis-es- quietscht-Politik beschäftigt. 2001 lässt sich die Staatsoper vom Architekten Gerhard Spangenberg Pläne für eine grundlegende Ertüchtigung des Hauses vorlegen – doch, weil er darin die Kosten mit 199 Millionen Euro beziffert, wandert der Entwurf in die Schublade. Spangenberg war übrigens nicht nur auf die Idee gekommen, die Keller-„Konditorei“ durch ein Dachrestaurant zu ersetzen, sondern wollte zur Verbesserung der Akustik auch den Zuschauerraum komplett entkernen und durch einen modernen Saal mit viertem Rang ersetzen.

Geziehe und Gezerre

2003, das Wahnsinnsprojekt einer Fusion von Staatsoper und Deutscher Oper ist gerade glücklich abgewendet, spricht Kultursenator Thomas Flierl von einer Investition von 100 Millionen Euro, um „die Baupolizei zufriedenzustellen“. 2005 spricht er im Abgeordnetenhaus von 160 Millionen, 2006 dann nur von 113 Millionen Euro. Auch wenn es nur um die nötigsten Reparaturen geht, also um die Sicherung der Bausubstanz, Brandschutzmaßnahmen und eine Modernisierung der teilweise noch aus den zwanziger Jahren stammenden Bühnentechnik – für Berlin steht fest, dass der Senat die Summe nicht alleine aufbringen kann. Versuche, Daniel Barenboims Wirkungsstätte ganz in die finanzielle Hoheit des Bundes abzugeben, sind seit 2001 mehrfach gescheitert, nun fordert Klaus Wowereit von der Kanzlerin forsch 50 Millionen Euro.

Ein Geziehe und Gezerre beginnt, bis 2007 feststeht: Der Bund steigt bei der Sanierung ein. Und zwar in viel größeren Dimensionen als von Wowereit gefordert. Zunächst sollen es 150 Millionen sein, am Ende stehen sogar 200 Millionen Euro im Hauptstadtvertrag. Die umso willkommener sind, als sich die Kostenschätzungen für das Prestigeprojekt mittlerweile auf 239 Millionen Euro belaufen. Denn Maestro Barenboim will parallel zur baulichen Ertüchtigung sein Haus endlich auch akustisch auf internationales Niveau bringen. Eine Vergrößerung des Raumvolumens soll aus suboptimalen 1,1 Sekunden Nachhallzeit 1,6 Sekunden machen. Eine Erhöhung des Senats-Zuschusses für die Lindenoper um jährlich 10 Millionen Euro holt Barenboim außerdem noch heraus.

Ein Wettbewerb endet im Fiasko

Blick in den sanierten Zuschauersaal mit der neuen Nachhallgalerie über dem dritten Rang.
Blick in den sanierten Zuschauersaal mit der neuen Nachhallgalerie über dem dritten Rang.

©  Thilo Rückeis

Frohgemut wird 2008 endlich ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben – der aus Sicht der Geldgeber im Fiasko endet: Die Jury entscheidet sich für den Vorschlag von Klaus Roth, einen zeitgenössischen Saal in die historische Hülle einzupassen. Ebenso wie sein Kollege Spangenberg erscheint es Roth die einzige Möglichkeit, die Akustik wie die Sichtverhältnisse zu verbessern. Einflussreiche Kreise laufen gegen das Votum Sturm, SPD-Politiker Wolfgang Thierse lanciert sein Fanal „Die Staatsoper soll saniert, nicht demoliert werden“, das von Max Raabe und Alfred Biolek, von Theo Adam und Peter Schreier, von Lothar de Maizière und Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph mitgezeichnet wird.

Schließlich knickt Wowereit ein, annulliert den Wettbewerb und lässt einen neuen ausschreiben, bei dem die Quadratur des Kreises gelingen soll: den Saal größer zu machen, ohne ihn in seiner Rokoko-Ästhetik anzutasten. Das Büro von HG Merz überzeugt schließlich die Verteidiger des „festlichen Opernabends“ ebenso wie den Denkmalschutz: Die bestehende Decke mit ihrem Prunkkandelaber wird um 4,5 Meter angehoben, die so entstehende Lücke zum dritten Rang durch ein überdimensionales Spaliergitter optisch überbrückt.

Am 21. September 2010 setzt Intendant Jürgen Flimm den symbolischen ersten Spatenstich. Viel zu früh, wie sich herausstellt. Im Bestreben, den Kompromiss schnellstmöglich umzusetzen, hat die Politik so viel Druck gemacht, dass die Arbeiten losgehen, bevor das Terrain gründlich sondiert ist. Unliebsame Überraschungen aber tauchen beim „Bauen im Bestand“ so sicher auf wie der fiese Bariton im romantischen Opernlibretto.

Klüger wäre es gewesen, das Haus erst einmal komplett leer zu räumen und dann den Maßnahmenkatalog zu definieren. Wo die Handwerker nun auch anfassen – der Zustand der Hauses ist schlimmer als befürchtet. Überrascht sind die Ingenieure auch, als sich im Untergrund der Oberwallstraße, die hinter der Staatsoper verläuft, tatsächlich Reste einer Befestigungsanlage befinden. Ziemlich dicke Stämme, die eine Umplanung des Tunnels nötig machen, durch den künftig die Kulissen zwischen Probenzentrum und Bühne bewegt werden.

Von Beginn an haperte es mit der Kommunikation

Der Untersuchungsausschuss Staatsoper, den das Abgeordnetenhaus im Mai 2015 einsetzt, stellt fest, dass es mit der Kommunikation von Beginn an auf allen Ebenen haperte. Am Ende sagt der Vorsitzende des Gremiums, Linken-Politiker Wolfgang Brauer, im Tagesspiegel selbstkritisch, dem Parlament sei „seine Kontrollfähigkeit weitgehend abhandengekommen“. Es passiert also, was passieren muss: Das avisierte Datum für die Wiedereröffnung der Lindenoper lässt sich nicht einhalten, und auch weitere Ersatztermine verstreichen.

Der tatsächliche Regelbetrieb des Hauses startet nun am 7. Dezember, dem Tag der Ersteinweihung. Kleiner Trost am Rande: Auch 1742 war das Haus nicht wirklich fertig. Friedrich der Große aber hatte darauf bestanden, sein Theater zur Karnevalssaison zur eröffnen. Anschließend dauerte es noch zehn Monate, bis das Haus voll funktionsfähig war. Wie sich die Bilder gleichen. Dass jetzt schon einmal für fünf Tage aufgemacht werden darf, ist ein Zugeständnis an die Barenboim-Tradition, die erste Saisonpremiere immer am 3. Oktober zu dirigieren. Erfunden wurde sie 2010, beim Einzug ins Schiller Theater, zur Erinnerung an die Staatlichen Schauspielbühnen, die just am Tag der Deutschen Einheit im Jahr 1993 von der Politik dichtgemacht worden waren.

Es wird eine Rückkehr mit mehr lachenden als weinenden Augen. Die Künstler beziehen Unter den Linden einen Musentempel, in dem sie hinter den Kulissen so großartige Arbeitsbedingungen vorfinden wie in kaum einem anderen Opernhaus weltweit. Und alle Vertreter der Stuck- und Kronleuchter-Fraktion freuen sich darüber, dass die Publikumsbereiche jetzt immer noch fast genauso aussehen wie zuvor.

Nur beim Senat herrscht Katzenjammer: Berlin hat ja tatsächlich mal davon geträumt, die Sanierung zum Schnäppchenpreis zu bekommen. Wenn es bei den avisierten 239 Millionen Euro geblieben wäre. Doch es wurden 400 Millionen. Die 200 Millionen Euro vom Bund waren eine Fixsumme, von den 30 Millionen, die der Freundeskreis beisteuern wollte, kam nur ein Bruchteil zusammen. Und so wurde es für Berlin am Ende dann doch noch ein richtig teurer Spaß.

Zur Startseite