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Blick in die renovierte Staatsoper.

© AFP

Wiedereröffnung Berliner Staatsoper: Beharren auf Tradiertem kann nicht die künstlerische Vision sein

Sieg der Stuck-und-Blattgold-Fraktion: Die renovierte Berliner Staatsoper huldigt dem Gestrigen. Doch es braucht ein Haus, das nach vorne schaut. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frederik Hanssen

Es ist tatsächlich vollbracht: Am Tag der Deutschen Einheit kehrt die Berliner Staatsoper zurück aus ihrem Schillertheater-Exil ins Stammhaus Unter den Linden. Vier Jahre länger als geplant hat die Sanierung des klassizistischen Gebäudes gedauert, die Kosten sind von ursprünglich 239 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro gestiegen. Jetzt hebt sich endlich wieder der Vorhang, in Anwesenheit von Bundespräsident und Bundeskanzlerin dirigiert Daniel Barenboim am Dienstag eine musikalische Version des deutschesten aller Bühnenstoffe, Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“.

Verschiebt sich mit der Wiedereröffnung der Staatsoper jetzt das Kräfteverhältnis innerhalb der hauptstädtischen Klassikszene? Wird die Staatsoper zum übermächtigen Player auf der Berliner Bühne? Nein. Denn die Lindenoper ist keine Elbphilharmonie. Sie ist kein Produkt kühner Bürgerfantasie, die sich in einem genialen Wurf zeitgenössischer Architektur manifestiert. Sie ist auch kein Haus für Zukunftsmusik, kein neues städtisches Wahrzeichen.

Die Prestigeprojekte sowohl in Hamburg wie in Berlin wurden zu Skandalbaustellen, weil man an beiden Orten mit dem Bauen begonnen hatte, bevor die komplexen Vorhaben wirklich zu Ende gedacht und geplant waren – zu schnell also. Und doch stehen am Ende zwei grundverschiedene Ergebnisse: ein Haus, das nach vorne schaut, und eines, das rückwärts blickt. Letzteres steht leider in Berlin.

Vor dem Generationswechsel

Auch wenn die Elbphilharmonie noch mehr Verspätung hatte und mit 789 Millionen Euro fast doppelt so teuer war: Die Werbewirkung, die das Konzerthaus Hamburg seitdem gebracht hat, ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Die ganze Hansestadt steht in neuem Licht da. Ihr neues Wahrzeichen wird weltweit als Symbol für Innovationskraft wahrgenommen. Jeder will da rein, bis Juli 2018 sind keine Tickets zu bekommen.

Unter den Linden dagegen gab es nur ein Ziel, dass hinterher alles wieder genauso aussieht wie zuvor. Zur Erinnerung: Als die Jury beim Staatsopern-Wettbewerb 2008 für einen modernen Saal im alten Gehäuse votierte, kam es zum Aufstand. Im Schulterschluss über alle geistigen Ost-West-Grenzen hinweg erzwang die Stuck-und-Blattgold-Fraktion ihr Recht auf einen festlichen Opernabend und Klaus Wowereit knickte ein.

Das Beharren auf dem Tradierten aber kann nicht die künstlerische Vision sein. Im Gegenteil, wo das Ambiente dem Gestrigen huldigt, da stehen die Künstler in der Pflicht, den Beweis anzutreten, dass ihre Arbeit Relevanz für die Gegenwart hat. Angesichts des Investitionsvolumens von 400 Millionen Euro wächst die Erwartung fast ins Unermessliche.

Sicher, Daniel Barenboim ist und bleibt eine Klasse für sich. Ein Charismatiker und garantierter Kassenmagnet. Aber der Dirigent und Pianist steht im 75. Lebensjahr. In seinem Schatten immerhin kündigt sich ein Generationswechsel an. Im Frühjahr übernimmt der 1977 geborene Matthias Schulz das Intendantenamt. Mit seinem Programm muss Schulz zeigen, dass klassische Musik nichts Elitäres ist. Kein feingeistiger Zeitvertreib für gut situierte Rentner, sondern eine höchst lebendige Angelegenheit, deren humanistische Botschaften sehr wohl etwas mit unserer Gegenwart zu tun haben – unabhängig von der Optik des Saals, in dem hinterher das Licht wieder angeht.

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