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Kein Erbarmen mit dem Helden. Julia Wolf, 1980 im hessischen Groß-Gerau geboren, lebt in Berlin.

© Ullstein Bild/Schleyer

„Walter Nowak bleibt liegen“ von Julia Wolf: Ein Lustmolch rutscht aus

Böse, mitleidslos und kongenial geschrieben: Julia Wolf erzählt in „Walter Nowak bleibt liegen“ vom Leben eines Mannes in der hessischen Provinz. Ein Psychogramm der besonderen Art.

Walter Nowak hat es schwer. Eben noch hat er versucht, so wie jeden Tag, kraftvoll seine tausend Meter zu schwimmen – und dann findet er sich auf dem Fußboden seines Badezimmers wieder, liegend, so wie es der Titel von Julia Wolfs Roman anzeigt: „Walter Nowak bleibt liegen“. Wie er da auf dem Boden gelandet ist? Walter Nowak ahnt es, will sich darüber jedoch keine Gedanken machen. Was er weiß: Er ist nackt und blutverschmiert. Und dann war da doch eben noch seine Frau Yvonne, hat sich von ihm zärtlich verabschiedet, weil sie für vier Tage auf ein Seminar fährt, hat ihm überdies eingetrichtert, das Haus in Ordnung zu halten und sich an den von ihr ausgetüftelten vegetarischen Speiseplan zu halten – und schon beschleicht ihn das Gefühl, im Chaos zu versinken und nur Bier und Fleisch im Sinn zu haben.

Gut möglich, dass all das nur passiert ist, weil Walter Nowak im Becken des Schwimmbades einer jungen Frau hinterher gestarrt und einmal nicht aufgepasst hat. Das wird er, so denkt er sich beim Liegen auf dem Boden seines Badezimmers, Yvonne bei ihrer Wiederkehr erzählen: „Und dann, sage ich: Tut’s einen Schlag! Yvonne legt die Hand vor den Mund. Oh nein. Oh doch. Mit voller Wucht pralle ich gegen die Beckenwand. Mein Kopf. Das Nächste, was ich weiß, Guten Morgen!, ist das Gesicht des Bademeisters über mir. Sonnenbrille, Bartstoppeln, plötzlich kann der Kerl grüßen. Neben dem Bademeistergesicht taucht das Gesicht einer Frau auf. Die kenne ich doch irgendwoher. Die Haut zwischen den Brauen der Frau wirft Falten. Dackel. Kampfhund, ich erinnere mich. Die rosa Blondine. Der blonde Hai.“

Wolf gewann für das erste Kapitel in Klagenfurt den 3-Sat Preis

Ja, Walter Nowak, 68 Jahre alt, hat es wirklich gerade schwer. Nicht allzu leicht will es auch die 1980 im hessischen Groß-Gerau geborene Schriftstellerin Julia Wolf den Lesern und Leserinnen ihres zweiten Romans machen. Neben Yvonne und der rosa Blondine gehen Walter Nowak weitere Frauennamen durch den Kopf – Olga, Gisela, Lore. Bruchstückweise vergegenwärtigt er sich, was ihm einst hier widerfahren ist, was er dort gemacht hat, was ihm sonst so durch den Kopf geht, in einem ununterbrochenen Bewusstseinsstrom. Wolf vermittelt dieses Bruchstückhafte in einer mitleidlosen, kongenialen Sprache, mittels kurzer Sätze, abrupter Interpunktionen und zahlreicher Ellipsen.

Nicht zuletzt wegen des sicheren Umgangs mit ihren sprachlichen Mitteln, weil er geradezu heraussticht aus dem Erzählpräsenseinerlei der jungen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, erhielt Wolf vergangenes Jahr für das erste Kapitel von „Walter Nowak bleibt liegen“ den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Das ist gewissermaßen die literarische Bronze-Medaille von Klagenfurt. Was einerseits stets ein Versprechen ist, gerade bei Romanauszügen. Andererseits eine Bürde, weil die Romane bei Erscheinen oft nicht halten, was sie auf die kurze Strecke versprochen haben. Bei Wolf ist das Gegenteil der Fall. „Walter Nowak bleibt liegen“ entfaltet auf gerade einmal 160 Seiten seine ganze böse Pracht und erzählt das weder spektakuläre noch traurige Leben eines Mannes in der hessischen Provinz. Wie er aufgewachsen ist, wie er denkt und fühlt, wie lächerlich er ist auf seiner steten Jagd nach dem weiblichen Geschlecht, wie uneinsichtig auch. Ein Psychogramm der besonderen Art.

Raum und Zeit, Erinnerungen und Gegenwart werden vermessen und verwirbelt

Erstaunlich dabei: Wie Wolf es mit jeweils nur wenigen Sätzen versteht, Zeiten und Räume zu durchmessen und in Walter Nowaks Kopf Erinnerungen und Gegenwart miteinander zu verwirbeln: „Ein Fleck, das kann ja vieles bedeuten. Frau Doktor E streckt mir das Bild entgegen. Ultraschall. Wellen in meinem Kopf. In Giselas Bauch. Die Tränen in ihren Augen, vor Glück. Ich werde. Ich starre den Fleck an und bete und bettele, der Fleck in meinem Unterleib, das wäre Felix. Wir drehen die Uhr zurück. Wir beginnen nochmal von vorn. Frau Doktor Es Stimme, Herr Nowak? Die kann nicht mal zwei Minuten die Klappe halten. Ein Junge. Immerhin werde ich. Lauter nun, Herr Nowak? Ja, doch. Ich weiß, das ist Unsinn. Der Fleck ist nicht Felix, ist kein Zellklumpen, oder irgendwie doch, aber böse. Ich sitze im Wartezimmer und starre die Zeitschriften an. Wer hat wen verlassen, viel Dekolleté. Frau Doktor Es Stimme verstummt. Sternchen, Mutter blättert in den Seiten, auf der Suche nach dem richtigen Star. Bald kommt er, alle berichten. Mutter reißt die Bilder von ihm aus, klemmt sie an ihren Spiegel.“

Dieser Star, das ist Elvis Presley, einst stationiert in Bad Nauheim. Wie seine Mutter, dieses „Amiliebchen“, wird auch Walter Nowak, der seinen Vater nie kennengelernt hat, der „Bastard“ geschimpft wurde, lebenslang ein Fan des King bleiben und sich für ein Denkmal von Elvis und einen Elvis-Presley-Platz in Friedberg einsetzen.

Einen so bornierten Helden hat es lange nicht mehr gegeben

Die Ehe mit Gisela, das Kind, das sie haben, eben jener Felix, zu dem er bald keinen Kontakt mehr haben wird, sein Hebebühnen-Unternehmen, das er gründet mit dem Spruch „Wenn hoch, dann Nowak“ und schließlich für gutes Geld verkauft, die Trennung von Gisela, die Hinwendung zu einer jüngeren Frau, Yvonne, die Freunde, mit denen er aufwächst, die große weite Welt, die ihm gestohlen bleiben kann – all das geht Walter Nowak, wie er da auf dem Boden seines Badezimmers liegt, durch den Kopf. Zusammen mit Ereignissen aus der jüngeren Vergangenheit, mit einer Tumorverdachtsdiagnose, einer verirrten Fledermaus, den Tagen ohne Yvonne: „Das Telefon klingelt, ein Schrillen im ganzen Haus. Vielleicht ist das Gisela, ich meine Yvonne, vielleicht ist das. Das muss Yvonne sein, wer ruft mich denn sonst. Are you lonesome tonight. Ich sollte ans Telefon gehen, ich sollte Yvonne sagen, dass mein Handy im Bad liegt, mein Handy liegt auf dem Waschbeckenrand. Ich komme gerade nicht dran, das erkläre ich dir später. Erkläre ich dir alles, wenn du wieder da bist. Fahr vorsichtig. Ach, Walter.“

Julia Wolf kennt kein Erbarmen mit ihrem Helden – je mehr er versucht, Bilanz zu ziehen, desto mehr verstrickt er sich in Schuldzusammenhängen. Nur wollen die ihm gar nicht bewusst werden. So hermetisch dieser Roman und seine Sprache sind, so wenig ist Walter Nowak in der Lage, Distanz zu sich selbst zu bekommen, sich einmal von außen zu betrachten, womöglich Fehler einzugestehen. Und der Lustmolch, als der er glaubt im Schwimmbad verleumdet zu werden, der ist er schließlich doch, wie sich am grotesk-bitterbösen Ende des Romans herausstellt. „Liegen lernen“ heißt ein Roman von Frank Goosen über einen Mann, der in den achtziger und neunziger Jahren nie so richtig Fuß fassen und etwas werden will. Von Lernen kann im Fall von Walter Nowak keine Rede sein. Vermutlich ist es besser, er bleibt liegen – einen so bornierten, einsichtslosen und doch tragischen Helden hat es in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur lange nicht mehr gegeben.

Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2017. 160 Seiten, 21 €

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