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Rübermacher. Heynowski ging vom Osten in den Westen.

© picture alliance / ZB

Walter Heynowski zum 90.: Von Feind zu Feind

Zwischen Wirklichkeit und Propaganda: Der DDR-Dokumentarist Walter Heynowski wird 90 Jahre alt. Eine Gratulation.

„Jede Ordnung sucht sich ihre Elite“, hat Walter Heynowski einmal gesagt. Weil der Dokumentarfilmregisseur zur DDR- Elite in der Zeit des Kalten Kriegs gehörte, ist er heute, an seinem 90. Geburtstag, für die mediale Öffentlichkeit ein Unbekannter, ein Schatten aus einer scheinbar lange vergangenen Zeit.

Heynowski bildete mit Gerhard Scheumann das „Studio H&S“, das außerhalb von Fernsehen und Defa angesiedelt war. Einerseits betrieben die beiden unzweideutig Propaganda, andererseits sind die H&S-Filme zu reizvoll, um sie dem Vergessen anheimzugeben. „Piloten im Pyjama“, der vierteilige Film von 1967 über einen im Vietnamkrieg abgeschossenen US-Soldaten, bezeichnete der Filmkurator Olaf Möller als „Agit-Essay über die Bilder, die man sich vom jeweils anderen macht, von Feind zu Feind“.

Zu den Ironien seines Lebens gehört die bürgerliche süddeutsche Herkunft

Wenn man Heynowskis Lebenswerk – Scheumann starb 1998 – nüchtern anschaut, kann man entdecken, was für eine spannende Figur der gebürtige Ingolstädter ist. Heynowskis Biografie zeigt, dass sich die beiden deutschen Staaten in der Nachkriegszeit näher waren als angenommen. „Wir nannten uns die Sieger der Geschichte, und er war es wirklich“, hat der gelernte Journalist über seinen im Westen zu Geld gekommenen Bruder gesagt. Der Sinn für Pointen ist ihm nicht fern, nach seinem Umzug nach Ostberlin 1948 begann Heynowski als Redakteur der Satire-Zeitschrift „Frischer Wind“ und gründete 1955 deren Nachfolger „Eulenspiegel“ mit. Im gleichnamigen Verlag erschien 2007 der erste Teil seiner Memoiren („Der Film meines Lebens. Zerschossene Jugend“), der zweite Teil ist für das Frühjahr annonciert.

Zu den Ironien von Heynowskis Leben gehört die bürgerliche süddeutsche Herkunft, die im Arbeiter- und Bauernstaat fremd wirken musste. Mit seinen Privilegien erschien das Studio H&S wie eine Art kleiner Westen im Osten. Man residierte in der Kronenstraße in Berlin-Mitte und hatte Zugang zu den Medien des Klassenfeinds, globale Reisemöglichkeiten, beste Technik und Devisen. Das Studio existierte von 1969 bis 1982 und, nach kurzer Ungnade wegen einer Scheumann-Rede über die Probleme bei der Arbeit in der DDR, von 1986 bis 1989, zuletzt als Werkstatt H&S.

Man spürt das Gefühl der Zurücksetzung bei Heynowski bis heute

Die Nähe der beiden deutschen Staaten noch im propagandistischen Kampf zeigt „Der lachende Mann“ (1966), der wohl bekannteste H&S-Film über einen „Kongo-Müller“ genannten Söldner. Es handelt sich Grunde um die Verfilmung einer „Stern“-Reportage des späteren Hitler-Tagebuch-Beschaffers Gerd Heidemann, durch die H&S auf „Kongo-Müller“ aufmerksam geworden waren. Dass Heynowski und Scheumann ihren Gesprächspartner, der die Vernichtungsenergie des NS-Regimes nach 1945 auf dem freien Markt kolonialistischer Unterdrückung in Afrika verkaufte, über ihre eigentlichen Motiven im Unklaren lassen mussten, sollte bei Günter Wallraff als investigativer Trick werkimmanent werden.

Man spürt das Gefühl der Zurücksetzung bei Walter Heynowski bis heute. Zugleich treibt ihn die Geschichte seiner Generation um, des Jahrgangs 1927, zu dem auch Günter Grass, Dieter Hildebrandt und Martin Walser zählen. Vor allem: die schwierige Frage, wie man als 17- oder 18-jähriger noch schuldig werden konnte im NS-Staat (etwa durch Mitgliedschaft in der Waffen-SS) und, mit Blick auf das Alter, auch wieder nicht.

Heynowski zog die Konsequenzen aus der Verblendung seiner Jugend

Heynowski hat mit dem Wechsel in die DDR die Konsequenz aus der Verblendung seiner Jugend gezogen. Während „Stern“-Gründer Henri Nannen, der H&S auf dem Höhepunkt ihrer Prominenz zu einem Abendessen empfing, oder „Derrick“-Autor Herbert Reinecker, bei dem Heynowski seinen ersten journalistischen Schritte noch vor Kriegsende unternahm, SS-Kriegsberichterstatter gewesen waren und danach geachtete Personen der Bundesrepublik wurden, ist Walter Heynowski heute moralisch erledigt.

Schon eine Retrospektive der H&S-Filme an einem deutschen Filmmuseum oder bei der Berlinale wäre wohl unvorstellbar. Dabei könnte man in ihren Filmen im Zeitalter von Hackerangriffen und Fake News nach Vorläufern und Kontinuitäten medialer Beeinflussung suchen – und fündig werden.

Matthias Dell

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