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Türkische und armenische Demonstranten halten Fotos von Opfern des Völkermords an den Armeniern 1915 hoch, bei einer Gedenkverstanstaltung 2014.

© dpa/Sedat Suna

Völkermord an den Armeniern: Türkei interveniert gegen Armenien-Projekt der Dresdner Sinfoniker

Nach Böhmermann nun die Dresdner Sinfoniker: Die EU-Kommission hat auf Druck der Türkei bei einem internationalen Armenien-Projekt des Orchesters Passagen von der Website entfernt.

Nach Jan Böhmermann und der Sendung "Extra 3" mit ihren Erdogan-Satiren trifft es nun die Dresdner Sinfoniker: Die Türkei macht auf europäischer Ebene Druck gegen deren Konzertprojekt „Aghet“ zum Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren. Der EU-Botschafter verlange, dass die Europäische Union die Förderung für die internationale Produktion einstellt, sagte Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker.

Die zuständige Exekutivagentur bei der EU-Kommission lehnt dies zwar ab, hat Rindt zufolge der Türkei aber insofern nachgegeben, als sie Informationen zu „Aghet“ auf der Internetseite entfernt hat. „Das finden wir nicht gut.“ Rindt spricht von einem „Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Das Projekt, das im November 2015 in Berlin Premiere hatte und auch in Istanbul gastieren soll, sieht er aber nicht in Gefahr. „Ich glaube nicht, dass unsere Agentur einknickt.“

Einmal mehr mischt sich die Türkei in Sachen Kunst und Kultur in Deutschland ein. Der Fall ist laut Rindt ein Warnsignal, dass die türkische Regierung vor Einflussnahme auf freie Meinungsäußerung in Kunst und Kultur in Europa nicht zurückschrecke. Dabei habe sie bei der EU sogar mit Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht. „Sie wollten, dass niemand davon erfährt und dass die Begriffe Genozid und Völkermord getilgt werden“, sagte Rindt. Für die Musiker namhafter europäischer Orchester sei eine solche „Entschärfung“ inakzeptabel. „Man muss beim Namen nennen, was es war“, betonte der Orchester-Intendant. „Wir können nicht drum herumreden, dass es um Völkermord geht.“ Aghet bedeutet auf deutsch Katastrophe.

Das Armenien-Projekt soll auch in Istanbul aufgeführt werden

Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Daher sei der Text vorübergehend entfernt worden, um mit dem Vermarkter über neue Formulierungen zu sprechen. „Eine neue Projektbeschreibung wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden“, versicherte eine Sprecherin. Die EU-Kommission unterstütze das Projekt mit 200 000 Euro. „Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden“, erklärte sie.

Der Intendant der Dresdner Sinfoniker, Markus Rindt.
Der Intendant der Dresdner Sinfoniker, Markus Rindt.

© dpa

Die Idee zu „Aghet“ stammt von dem deutsch-türkischen Gitarristen Marc Sinan. Nach zwei Aufführungen in Dresden Ende April will das Orchester gemeinsam mit mit Kollegen aus der Türkei, Armenien und Mitgliedern des No Borders Orchestra aus dem früheren Jugoslawien in Istanbul, Belgrad und Jerewan gastieren. Die Intervention zeige, wie wichtig gerade das Gastspiel in Istanbul für die gemeinsame Vergangenheitsbewältigung sei, sagte Rindt.

Die Leugnung des Genozids an den Armeniern 1915, dem Schätzungen zufolge zwischen 800 000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich zum Opfer fielen, hat in der Türkei Tradition. Der Begriff Völkermord wird dort als ungerechtfertigte Anschuldigung gewertet, und die Opfer von Deportation, Vertreibung und Mord erklärt man sich als Folge eines angeblich von den Armeniern verursachten Bürgerkriegs. Historische Quellen werden als Fälschungen verunglimpft. Der Journalist Hrant Dink, der über den Völkermord publiziert hatte, wurde 2005 wegen „Beleidigung des Türkentums“ verurteilt und 2007 ermordet. Auch .Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk war wegen Äußerungen zum Armenien-Genozid zu Schadenersatzzahlungen verurteilt worden.

Schon 2014 hatte die Türkei ein Armenien-Projekt der Sinfoniker kritisiert

Die sächsische Europaabgeordnete Cornelia Ernst (Linke) bemerkte zur Intervention wegen "Aghet", Kunst- und Meinungsfreiheit als höchste Güter und Säulen der EU seien keine Verhandlungsmasse. „Wer Mitglied der EU werden will, muss diesen Werten entsprechend handeln.“ Die EU-Kommission dürfe ihre Entscheidung nicht noch einmal infrage stellen

Die Dresdner Sinfoniker haben bereits Erfahrung mit politischen Interventionen vom Bosporus. Schon 2014 habe „die Benennung des Genozids genügt, um die türkische Regierung auf den Plan zu rufen“, erinnerte Intendant Rindt. Deren Kulturministerium und die aserbaidschanische Botschaft zogen damals ihre Unterstützung für ein Projekt kurz vor der Premiere zurück. Nun sehen sich die Sinfoniker in einer Reihe mit dem Satiriker Jan Böhmermann, gegen den nach Aufforderung des türkischen Staatspräsidenten nun in Deutschland wegen seines Gedichts "Schmähkritik" ermittelt wird. Den Musikern, so Rindt, gehe es nicht um Provokation, sondern um Versöhnung. „Schade, dass sie das nicht verstehen.“ (dpa/Tsp)

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