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Politisches Klima. Andreas Sailstorfers Außenthermometer am Alten Abgeordnetenhochhaus in Bonn (2011) erinnert symbolhaft an die Zeit, als in der ehemaligen Hauptstadt noch über die Geschicke der Bundesrepublik entschieden wurde.

© BBR/Cordia Schlegelmilch

Virtuelles „Museum der 1000 Orte“: Digitales Date mit der Kunst

Vom Bund finanzierte Kunst am Bau ist oft nicht frei zugänglich. Eine virtuelle Sammlung macht die Werke nun sichtbar. Es könnte die Perspektive auf die Institution des Museums verändern.

Wer kennt sie nicht, die Windkämme von Eduardo Chillida vor dem Kanzleramt, gewaltige Krallen aus rostig-braunem Cortenstahl, die in schönstem Kontrast zum repräsentativen Gebäude aus Glas und Beton stehen. Bei Fernsehberichten über die Hauptstadtpolitik kommen sie regelmäßig ins Bild. Die 90 Tonnen schwere Skulptur gehört zum touristischen Parcours durch die Stadt, für die Berliner steht sie am Wegesrand, wenn es durchs Regierungsviertel zum Hauptbahnhof geht. Gerhard Schröder ließ Chillidas Skulptur, die Schenkung eines Münchner Sammlerpaares, vor 17 Jahren aufstellen, ähnlich wie es Helmut Schmidt mit den „Large Two Forms“ von Henry Moore 1979 in Bonn vor dem Bundeskanzleramt gemacht hatte.

Zwei Großskulpturen selbstbewusst von den jeweiligen Bundeskanzlern vor die „eigene“ Tür gestellt – so funktioniert Kunst am Bau bei öffentlichen Gebäuden eigentlich nicht. Chillida und Moore sind die Ausnahme. Normalerweise müssen die Entwürfe zunächst einen Wettbewerb durchlaufen, den Sieger kürt eine Jury. Schließlich handelt es sich um einen staatlichen Auftrag, keine eigenmächtige Vergabe. Die Kunst soll allen gehören, vor allem jenen, die in den Gebäuden arbeiten, Angestellten wie Amtsinhabern. Genau darin besteht der Haken. Oft genug hat die Kunst am Bau den Schönheitsfehler, dass sie in den Behörden und Ministerien, den Botschaften und Kasernen für die große Öffentlichkeit nicht zu sehen ist, da sie sich in abgeschirmten Bereichen befindet.

Das Museum führt die über den Globus verteilten Werke zusammen

Das hat sich in diesem Sommer geändert, seit Bundesbauministerin Barbara Hendricks das „Museum der 1000 Orte“ eröffnet hat: ein Webportal, auf dem die seit 1950 auf rund 10 000 Werke angewachsene Kunst-am-Bau-Sammlung des Bundes online besucht werden kann. Die ersten 124 Exponate sind dort eingestellt, die anderen sollen peu à peu folgen, was bei dem Großprojekt Jahre dauern dürfte. Die Bundesrepublik als Sammlerin, der Staat als Besitzerin einer fulminanten Kollektion mit Kunst am Bau, in der alle künstlerischen Strömungen, alle Ausdrucksformen, alle großen Namen seit der Nachkriegszeit vertreten sind – endlich hat sie ihren eigenen Auftritt.

Das „Museum der 1000 Orte“ führt die auf das ganze Land, ja über den gesamten Globus verteilten Werke zumindest virtuell zusammen. Ein Coup von Ute Chibidziura, der Referentin für Kunst am Bau beim Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Drei Jahre hat sie das Projekt vorbereitet, um nun mit einem Schlag eben jene Zugänglichkeit herzustellen, die dieser Kunst als öffentliches Gut ohnehin eingeschrieben ist. Endlich öffnen sich Türen.

Viele Arbeiten sind der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt

Wer kannte schon Fritz Balthaus’ Skulptur „Pure Moore“, die sich im Garten des Bundeskriminalamtes in Treptow befindet? Bisher nur ein kleiner Kreis. Der Berliner Künstler hat als Anspielung auf die vermutliche Einschmelzung der in England gestohlenen Henry-Moore-Skulptur „Reclining Figure“ mehrere Bronzebarren aufgetürmt. Balthaus führt fintenreich den verlorenen Marktwert der Bronze in Höhe von 4,4 Millionen Euro mit dem damaligen Materialwert von gerade einmal 2000 Euro in einem Werk zusammen. Der Ort für die Aufstellung von „Pure Moore“ ist gut gewählt, denn im Berliner Amtssitz der Bundeskriminalamts wird auch gegen Kunstdiebe ermittelt.

Oder wer hat schon Stefan Balkenhols „Wetterfahnen“ auf dem Dach des Auswärtigen Amts aus der Nähe gesehen? Online dürften das mittlerweile viele sein. Die vier scherenschnittartigen Figuren, zwei Frauen und zwei Männer, die für Balkenhol typischen Durchschnittsbürger, ragen über die Kante des Flachdachs hinaus, wo sie sich im Wind drehen. Hier oben bilden sie den schönsten Kontrast zur herrschaftlichen Bauplastik rundum, den Gebäuden entlang der Flaniermeile Unter den Linden. Eine kleine Lektion in Demut für die Diplomaten.

Und wer ist schon einmal über Via Lewandowskys „Roten Teppich“ in der Säulenhalle des Bendlerblocks gelaufen, dem zweiten Dienstsitz des Verteidigungsministeriums? Mit jedem höheren Stockwerk, von dem man auf den roten Flor herunterblickt, wird deutlicher, dass Lewandowsky eine Luftaufnahme des ausgebombten Quartiers zeigt – mit dem Bendlerblock mittendrin. Hier soll nichts unter den Teppich gekehrt werden, so die Botschaft des Künstlers. Sein Teppich verbindet die Geschichte des Widerstands gegen das NS-Regime und die Zerstörungen des Kriegs mit einer repräsentativen Funktion.

Der digitale Überblick hat seine Tücken

Der Besucher der Website spaziert von Werk zu Werk, liest sich durch Erläuterungen und Künstlerbiografien, studiert Beschreibungen des Aufstellungsorts und Angaben zu Materialität wie Kosten einer Skulptur. Mit einem Klick wandert er weiter zur nächsten Kunst am Bau, ohne sich selbst von der Stelle zu bewegen. Alles ist mit allem verlinkt: die verschiedenen Werke innerhalb eines Gebäudes, der Künstler mit diversen Ausstellungsorten. In 10-Jahres-Schritten lässt sich weitersuchen, die Entfernung vom eigenen Standort zur nächsten Adresse per Filter erweitern. Die Website ist unkompliziert, für neugierige Besucher leicht nutzbar, für Künstler ein attraktives Forum.

Solch ein digitaler Überblick, den auch die klassischen Museen längst für ihre Sammlungen anstreben, um vor allem ein jüngeres Publikum zu einem Besuch ihres Hauses anzuregen und den wissenschaftlichen Austausch unter Kollegen zu beschleunigen, hat allerdings auch seine Tücken. Mischa Kuball, der selbst Kunst am Bau in Marl, Düsseldorf und Wuppertal geschaffen hat, bleibt skeptisch. Die Werke wurden nicht für den Auftritt im Netz hergestellt, gab er anlässlich der virtuellen Eröffnung des „Museums der 1000 Orte“ zu bedenken, sondern für eine reale, räumliche Erfahrung. In einer Podiumsdiskussion warnte er davor, dass online keine intensive Begegnung mit der Kunst möglich sei, die Aura verloren ginge.

Die Perspektive auf das Museum als Institution könnte sich ändern

Meinrad Maria Grewenig, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte, schwärmte hingegen von der neuen „visibility“ der Kunst und dass sich die Perspektive auf das Museum als objekt-orientierte Institution digital vollkommen ändert. Kuball jedoch blieb skeptisch und warnte vor den manipulativen Eingriffen gegenüber der Kunst durch die technische Aufbereitung im Netz. Dass die Verfremdung des Eindrucks durch die Reproduktion in Büchern, Magazinen und  Zeitungen längst zum Rezeptionsalltag gehört, blieb allerdings ungesagt.

Für viele Werke in Bauten des Bundes aber ist das „Museum der 1000 Orte“ die einzige Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden. „Kunst gehört ins Volk, Kunst gehört dorthin, wo Menschen zusammenkommen. Es ist außerordentlich wichtig, wenn an Straßenecken und Brücken, wo tagtäglich Tausende Menschen vorübergehen, Kunstwerke hohen Ranges aufgestellt sind und sie zum Erlebnis besonders der heranwachsenden Generation gemacht werden“, formulierte 1950 der Bundestagsausschuss für Kultur. Er sorgte dafür, dass fortan bis zu zwei Prozent der Baukosten öffentlicher Gebäude für Kunst am Bau ausgegeben werden müssen.

Das gilt bis heute, der Bund versteht sich als Vorbild für private Bauherren. Banken, Versicherungen, Großunternehmen haben längst begriffen, dass Kunst ihre Gebäude nicht nur schmückt, sondern auch den kulturellen Mehrwert steigert. Einmal im Jahr zeigt auch der Bund seine Schätze her, bei den Tagen der offenen Tür am kommende Wochenende. Auf seiner Website nennt er es ein Date mit der Demokratie.

Die Kunst am Bau im Internet: www.museum-der-1000-orte.de.

Infos zum Tag der offenen Tür der Bundesregierung am 26. und 27. August gibt es unter: www. bundesregierung. de

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