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Mindestens 36 Millionen Euro sollte es für Vincent van Goghs Gemälde "L'Allée des Alyscamps" geben – am Ende wurden es 59 Millionen.

© dpa

Vincent van Gogh, Andy Warhol und Pablo Picasso: Preise für Kunst schnellen in die Höhe

Picasso, Rothko, Mondrian: Die jüngsten Rekorde in New York sind noch lange nicht die letzten. Solange die Superreichen super reich sind, werden die Preise steigen. Es sei denn, es setzt Langweile ein.

Eine Woche in New York, und die Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s verkauften Kunst für über zwei Milliarden Dollar. 29 Werke brachten Preise über zwanzig Millionen Dollar, allein zwei davon stiegen auf über 100 Millionen. Erneut wurde an der Preisschraube gedreht, und für alle, die gleich wieder fragen, wann denn nun endlich die Blase platzt: Das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht in Sicht. Denn was könnten die globalen Milliardäre mit ihrem Geld sonst kaufen, das gleichzeitig so teuer und so schön sichtbar ist?

Schmeicheln gehört zum Handwerk

Beim Gebot auf Rothkos abstraktes Bild „No.10“ bei Christie’s waren vergangenen Mittwoch bei über 50 Millionen Dollar immer noch sieben Sammler dabei. Zugeschlagen wurde es bei 81 Millionen Dollar an einen von Christie’s-Spezialist Brett Gorvy vertretenen anonymen Telefonbieter. „Ein wahrhaft mystisches Gemälde, das in eine Kapelle gehört“, schwärmte Gorvy von dem Werk. Schmeicheln gehört zum Handwerk. Und bei Christie’s wurde nicht allein die Kunst in den Himmel gelobt, sondern erst recht die superreiche Klientel, die dafür bezahlt. „Was wir heute sahen, beweist die Raffiniertheit, die Kenntnis und Wettbewerbslust vieler unserer Spitzenkäufer“, lobte Gorvy. „Sie zeigten, dass sie bereit sind, sich für das Beste zu strecken und noch etwas zu strecken.“

Ein Rekordpreis jagt den nächsten

So wurden auch die Preise gestreckt, vor allem bei Christie’s. Die Auktion mit Nachkriegskunst, in der sich auch das Bild von Rothko befand, brachte 658 Millionen Dollar für 72 Lose – ein Durchschnittspreis pro Werk von neun Millionen Dollar. Darunter war ein monumentales Bild von Andy Warhol mit vielen farbigen Mona Lisas (56 Mio. $), Lucian Freuds in jeder Hinsicht monumentales Aktbild „Benefits Supervisor Resting“ (56 Mio. Pfund), ein Porträt Francis Bacons von seiner Freundin Henrietta Moraes, das 48 Millionen Dollar kostete und sich damit gegenüber seinem letzten Marktauftritt vor vier Jahren um 13 Millionen Dollar verbessern konnte. Es gab Rekordpreise für Robert Ryman und Robert Rauschenberg. Bloß ein von der Sammlung Benedikt Taschen eingeliefertes Selbstporträt von Martin Kippenberger in Unterhose fiel mit 16,4 Millionen Dollar fast schon etwas ab. Geschätzt waren 15 bis 20 Millionen Dollar, und man hatte eigentlich auf einen Rekordpreis getippt.

Die Bilder werden teuerer, aber die Liste der teuersten Künstler wird kürzer

Erst recht die Gala-Auktion zwei Tage davor. Es war die Edelauktion mit dem Titel „Looking Forward to the Past“, in der Christie’s die klassische Moderne für die Elite der Übersammler noch einmal ein bisschen trendiger und teurer machte. 705 Millionen Dollar für 34 Lose wurden eingenommen, ein Durchschnittspreis von fast 21 Millionen Dollar. Picassos „Les Femmes d’Alger (Version O)“, das mit 179 Millionen Dollar absolut programmgemäß das teuerste Bild der Auktionsgeschichte wurde, wechselte aus der Londoner Wohnung eines saudiarabischen Prinzen, der es 1997 aus der großartigen Nachlasssammlung von Victor und Sally Ganz gekauft hatte, zu einem anderen Anonymus.

Der Prinz hatte 31 Millionen Dollar bezahlt, und es war nicht einmal das teuerste Los der damaligen Auktion. Picassos „Le rêve“, direkter und erotischer als die kunsthistorisch komplexeren „Les Femmes d’Alger“ mit ihren inhaltlichen wie formalen Verweisen auf die Malerei von Matisse und Delacroix wurden damals als Toplos für 48 Millionen Dollar an den Casino-Magnaten Steve Wynn verkauft. Er stieß später mit seinem Ellenbogen in das Bild, konnte es aber 2013 trotzdem sauber repariert für 155 Millionen Dollar an Starsammler Steven Cohen weiterverkaufen. Nur, um zu zeigen, wie viel Spaß die Reichen mit der Kunst haben. Die Bilder werden teuerer, aber die Liste der teuersten Künstler wird eher kürzer als länger. Bacon, Freud, Warhol, Rothko sind immer dabei. Bei den älteren zählen Picasso und Alberto Giacometti, dessen Figur „L’Homme au doigt“ mit 141 Millionen Dollar nun die teuerste je versteigerte Skulptur ist. Eine lichte Version der von Vincent van Gogh mehrfach gemalten „L’allée des Alyscamps“ in Arles, dem chinesische Sammler nun neuen Auftrieb geben, kostete bei Sotheby’s 66 Millionen Pfund. Und von Claude Monet brachte ein Seerosenbild 54 Millionen Dollar – aber das sind nun fast schon wieder Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass Sigmar Polkes Bild „Dschungel“ von 1967 am Dienstag bei Sotheby’s den bisherigen Rekord des Künstlers plötzlich verdreifachte. Das Gemälde, fast zu lieblich für ein echtes Sujet von Polke, wurde für 27 Millionen Dollar verkauft – das ist halb so viel wie für Monet.

Tapisserien für die Preise von Vorstadtvillen

Kurzum: Gewöhnen wir uns einfach an die neuen Kunstpreise. Vor fast zehn Jahren erklärte der einstige Sotheby’s-Auktionsstar Tobias Meyer die Kunst zu einer „azyklischen“ Sonderökonomie. Womit er meinte, dass es mit den Preisen bloß noch aufwärts gehen könne. Es wiederholt sich, was wir aus dem 19. Jahrhundert kennen. Damals drang die Gründergeneration der rapide expandierenden Industriegesellschaft in den Kunstmarkt vor und löste einen ähnlichen Dauerboom aus. In den Kunstmarkthistorien ist er als das „goldene Zeitalter der lebenden Maler“ verzeichnet. Tapisserien (die heute ein paar tausend Dollar kosten würden) wurden damals für die Preise von Vorstadtvillen verkauft, die süffigen Ölgemälde viktorianischer Kitschmaler kosteten mehr als ein Werk von Rembrandt. Wäre es immer weitergegangen, wenn nicht der Erste Weltkrieg für eine Zäsur gesorgt hätte? Heute sind es nicht nur wie damals Europäer und Amerikaner, die diesen Markt stützen. Der ganze Globus ist von Gründerstimmung erfasst, oder wenigstens jene 170000 Superreichen, die zusammen über 21 Billionen Dollar besitzen – eine Summe, die im nächsten Jahrzehnt um weitere 34 Prozent wachsen soll.

Kann Kunst wirklich aus der Mode kommen?

Was wir auch lernen müssen: Die Kunstökonomie folgt dem in der globalen Wirtschaft fest etablierten Prinzip Winner takes all. So wie die Lücke zwischen den Löhnen der gelernten und der ungelernten Arbeiter immer größer wird, die Gagen der Hollywood-Stars heute haushoch über denen der Komparsen liegen, wie die besten Hedgefonds-Manager Millionen als Boni verdienen und die Transfersummen für die besten Fußballstars exponentiell wachsen, so kosten auch die Künstler, die alle haben wollen, immer mehr. Die besten sind unerschwinglich.
Christie’s klotzte bei den jüngsten Auktionen mit Preisgarantien wie nie. In den beiden wichtigsten Versteigerungen genoss rund die Hälfte der Lose solche Garantien durch das Auktionshaus selbst oder dritte „Rückversicherer“. Damit hält Christie’s nicht nur den Daumen auf guter Ware und baut seine Marktanteile aus. Es hilft auch beim „Strecken“ der Preise. Jedem verkauften Bild ist im Voraus ein Sicherheitsboden eingezogen, der das Preiswachstum schon garantiert. So kann es, nach Meyers Devise vom „azyklischen Markt“, wirklich nur nach oben gehen. Solange die Superreichen genug Geld dafür haben, gibt es keinen Grund für ein Ende des Vormarschs der Kunstpreise. Es sei denn, es setzt Langweile ein. Aber kann Kunst wirklich aus der Mode kommen?

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