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Kultur: Vernagelter Himmel

Philip Guston in der Galerie Aurel Scheibler

Eine Festgesellschaft scheint sich auf dem Bild ausgetobt zu haben: Man glaubt, ein Bankett zu erkennen, liegen gelassene Bestecke und Essensreste. Und man wird das Gefühl nicht los, im Tabakqualm, den die fette Pinselschrift imitiert, wären sich die Herrschaften an die Gurgel gegangen. Nur: Wie passt das mit jenem süßlich rosa Licht zusammen, das die verlassene Szenerie tränkt? Und warum wirkt letztlich doch alles so akkurat, so aufgeräumt?

Sieht man genauer hin, erkennt man auf Philip Gustons Gemälde „Painting Table“ von 1975 einen skizzierten Maltisch mit abgelegten Pinseln. Der paradoxe Eindruck aber bleibt: Da genießt einer das Malen wie ein exquisites Sieben-Gänge-Menü. Und hasst es zugleich.

Das Ringen um die adäquate Form gehört zum Metier, doch selten hat sich der Zweifel so in die Bilder geschrieben wie bei Guston. Um das wahrzunehmen, genügen in der Galerie Aurel Scheibler acht Gemälde (Preise auf Anfrage) und Lithografien (7000 bis 10 800 Euro) – eine Auswahl, die die Auseinandersetzung mit seinem überbordenden Bilderkosmos höchstens anzutippen vermag. Andererseits muss man diese Soloschau des großen Eigenbrötlers amerikanischer Nachkriegsmalerei als Pioniertat loben: Es ist die erste in einer deutschen Galerie. Sie folgt auf eine umfangreiche Präsentation von Gustons Papierarbeiten im Kunstmuseum Bonn. Aber obwohl auch „MoMA in Berlin“ dem Künstler 2004 ein Extrakabinett widmete: Hierzulande ist das große Guston-Fieber bisher ausgeblieben. Merkwürdig. Diese aus Alltagsdingen wie Zigaretten, Schuhen, Teekannen oder Malutensilien verstörend zusammengeschusterte Comicwelt kommt für viele wohl immer noch zu spröde und kryptisch daher. Dabei ließen sich interessante Parallelen zur Malerei des frühen Georg Baselitz entdecken: die subtile Farbschichtung, die groben Liniengitter, die fragmentierten Körperteile.

Manch Guston-Gemälde wirkt, als habe ein Disney-Zeichner den Verstand verloren. So ragt eine riesige Hand, eine Kreuzung aus Boxhandschuh und Pistolenlauf, in das Bild „Scared Stiff“ (1970). Sie zielt auf eine vermummte Gestalt mit Zigarre, die der Pranke aus Sehschlitzen entgegenstarrt. Offenbar hat sich Guston, der passionierte Raucher, Linksintellektuelle und Sohn russischstämmiger Juden hier selbst dargestellt – ausgerechnet im Ku-Klux-Klan-Gewand. Er habe „immer das Gefühl gehabt, dass schöpferisches Arbeiten etwas Böses sei – Satans Werk – vielleicht liegt da die Scham begründet“, bekannte Guston in einem Brief. Er wurde früh, vielleicht allzu früh in seiner wechselhaften Malerkarriere, ins Pantheon der Kunstgeschichte gestellt und neben Pollock als Mitglied der „New York School“ gefeiert. Zu Hause fühlte sich Guston in der gegenstandslosen Malerei aber nie. Als er 1970 in der New Yorker Marlborough Gallery seine Kapuzengespenster und befremdliches Alltagssammelsurium präsentierte, konnten ihm weder seine bisherigen Weggefährten noch die Kunstkritik diesen „Verrat“ an der reinen Lehre der Abstraktion verzeihen. Guston jedoch beharrte fortan auf seiner Maxime: „Malerei ist unrein“.

Inzwischen hat die Kunstwelt jenen Umbruch zur Gegenständlichkeit längst verkraftet und sich dazu die politische Dimension der Kunst wieder bewusst gemacht. Auch in den zwischen 1969 und 1980 entstandenen Werken bei Aurel Scheibler ist die nachhaltige Wirkung zu spüren, die eine Zeit der Studentenunruhen und Vietnamdemonstrationen auf Guston ausübte: Eine Hand mit qualmender Zigarette wirkt auf dem Gemälde „Untitled (Smoking)“ von 1969 wie eine agitatorische Geste, während „Untitled (Two Legs)“ Schuhe zeigt, in denen herrenlose und grotesk verdickte Beine stecken, die wie mit Blut gemalt sind.

Vom Comiczeichnen war Guston schon als Jugendlicher besessen, seine Zweifel an der Abstraktion führten ihn zu diesem Medium zurück. Die letzten Grafiken, die er sich nach einem schweren Herzanfall abtrotzte, zeigen zugenagelte Bildräume, als stemme sich jemand gegen die eigene Sterblichkeit. Den Himmel, so legt es die Grafik „Sky“ nahe, stellte sich Philip Guston als schrecklichen Ort vor, an dem Atompilze sprießen.

Aurel Scheibler, Witzlebenplatz 4, bis 30. Juni, Dienstag bis Freitag 10–13 und 15–18 Uhr, Sonnabend 11–16 Uhr.

Jens Hinrichsen

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