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Achtung, Gewissen! Dimitrij Schaad und Taner Sahintürk (vorne).

© Barbara Braun/drama-berlin.de

Uraufführung von Marianna Salzmann: Quickie im Klamottenladen

Klamauk, was das Zeug hält: Babett Grube inszeniert die Uraufführung von Marianna Salzmanns Stück „Wir Zöpfe“ am Maxim-Gorki-Theater

Opa Konstantin weiß Bescheid. „Wenn du Probleme im Alltag hast, kannst du sie im Bett lösen“, erklärt er dem Ex-Lover seiner Enkelin Nadeshda und schwingt dabei vielsagend seine Knarre. Hast du allerdings Probleme im Bett, kannst du den Alltag gleich vergessen! Natürlich wird Opa Konstantin (Tim Porath), vormals „Held der Roten Armee“ und heute ein medizinischer Pflegefall, in Marianna Salzmanns Stück „Wir Zöpfe“ am Maxim Gorki Theater angemessen ernst genommen. Auch Regisseurin Babett Grube richtet in ihrer Uraufführungsinzenierung das Augenmerk mehr aufs Bett als auf den Alltag.

Nadeshda (Anastasia Gubareva) zum Beispiel hat gerade erst die gescheiterte Beziehung zu John (Taner Sahintürk) miteinem flotten One-Night-Stand aufgewärmt. Schon steht John als Verkäufer in einem hippen Klamottenladen und fällt über die erstbeste Kundin her. Dass es sich dabei um Nadeshdas Mutter Wera (Ilknur Bahadir) handelt, weiß er natürlich nicht. Wera wiederum, von Salzmann als „die schönste Frau der Welt, ohne es zu wissen“ eingeführt, geht eindeutig als erotische Siegerin aus dem Abend hervor.

Kaum kommt die Ärztin vom Quickie aus Johns Klamottenladen, wird sie bereits sehnsüchtig von ihrem Patienten Imran (Mehmet Yilmaz) erwartet. Ihn haben Neonazis lebensgefährlich zusammengeschlagen, doch nun entfaltet er im (Krankenhaus-)Bett derart anregende Entertainer-Qualitäten, dass Wera sich aus lauter Überforderung mittels unkontrollierten Lebkuchenkonsums außer Gefecht setzt.

Tatsächlich könnte man in Babett Grubes betont klamaukiger Inszenierung fast vergessen, worum es im Stück sonst noch so geht: Wera und Nadeshda sind russische Jüdinnen, Klamotten-John ein Amerikaner mit deutschen Wurzeln und Imran „Kurde, Türke, Blumenverkäufer“. Und zwar in Berlin, dieser „schon lange nicht mehr Arm- und Sexy-, sondern einfach nur Dumm- und Einsam-Stadt“, wie es an tragender Stelle heißt. Und gemeinsam-einsam sieht man nun, ob man will oder nicht, dem christlichen Weihnachtsfest entgegen. Ursprünglich sollte die Premiere auch im Dezember stattfinden, musste aber wegen eines Trauerfalls verschoben werden.

Eingedenk der Weihnachtsthematik hat Bühnenbildnerin Léa Dietrich einen überdimensionalen Kaninchen-Hinterlauf an die Rückwand gezimmert: Gänse- statt Karnickelkeule hätte einfach nicht so gut zu Opa Konstantins Weisheit von der Kraft des sprichwörtlichen Rammelns gepasst. Schließlich ist es ja kein Zufall, dass man sich zum Sex hier gern in die Kaninchenfellfalte zurückzieht.

Marianna Salzmann, deren Vorgänger-Stücke „Muttersprache Mameloschn“ und „Schwimmen lernen“ erfolgreich am DT beziehungsweise im Gorki-Studio laufen, hat sich in ihrem neuen Text möglicherweise ein bisschen zu viel vorgenommen. Denn dem Titel „Wir Zöpfe“ gemäß, wird das Geschichts- und Identitätssujet zusätzlich mit diversen Generationskonflikten verknüpft. Ob man die Haare lang oder kurz trägt oder schon ganz los ist, ob Zöpfe wachsen oder abgeschnitten werden, ist hier von sinnbildlicher Bedeutung. So haben es die Figuren schwer, unter der dramatischen Konstruktionslast nicht zu Stereotypen zerdrückt zu werden.

Daran, dass Grubes Regie diese Gefahr durch die Überdrehung in die Farce eher noch verstärkt, kann auch Ljubov nichts ändern. Nadeshdas abgetriebenes Kind, das Salzmann als eine Art Repräsentantin alles Verdrängten angelegt hat und das auch bei Grube dafür zuständig ist, die bösen Wahrheiten wieder unter dem Teppich hervorzukehren. Dimitrij Schaad spielt Ljubov tragikomisch als schlechtes Gewissen, das sich durch gefühlte Hundertschaften politisch unkorrekter Witze durchdeklamiert. Am Ende sitzt das ungeborene Kind hoch oben auf dem Kaninchenbuckel und blickt auf die irdischen Niederungen herab. Christine Wahl

Wieder am 8.2., 18 Uhr sowie am 5. und 19.3., 19.30 Uhr

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