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Kabelsalat. Die Decke des Pavillons wirkt wie ausgeweidet. Tatsächlich besteht die Arbeit aus Pappe und Klebefolie.

© Schinkel Pavillon / Nina Pohl

Thomas Hirschhorns Skulptur "Höhere Gewalt": Chaos im Schinkel-Pavillon

Zum Hinschauen gezwungen: Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn erklärt seine Skulptur „Höhere Gewalt“ im Berliner Schinkel-Pavillon.

Thomas Hirschhorn, 1957 in der Schweiz geboren, ist einer der großen Künstler seines Landes. Er nahm mit einer großen Skulptur an der 11. Documenta teil und vertrat die Schweiz 2011 auf der Biennale Venedig. Die Installation im Schinkel-Pavillon ist seine erste Berliner Ausstellung nicht in in einer Galerie, sondern in einer Kunst-Institution.

Herr Hirschhorn, mögen Sie den Schinkel-Pavillon nicht, oder weshalb haben Sie ihn so zugehängt, dass man von seiner einzigartigen Architektur kaum etwas sieht?
Im Schinkel-Pavillon auszustellen ist wunderbar, in aller Hinsicht. Für mich gilt aber: Ich gehe immer von meiner Arbeit aus, nie vom Kontext. Ich will – so auch im Schinkel-Pavillon – eine Setzung machen. Ich will nicht für aber auch nicht gegen die bestehende Architektur arbeiten, sondern mit der bestehenden Architektur. Das heißt, ich will eine Arbeit machen, die ihre eigene Form behauptet und sie zum Thema macht.

Die Decke des achteckigen Saals wirkt wie geschlachtet: Überall hängen Lüftungsrohre heraus, Dämmstoffe, Kabel und Schläuche scheinen sich in den Raum zu ergießen. Weshalb dieses Chaos in einem Gebäude mit klarer Struktur?
Die Decke im Schinkel-Pavillon ist der einzige Freiraum. Und sie ist auch der Ort, an dem, wie der Titel indiziert, die Schwerkraft wirken kann – und das wollte ich mit der größten Evidenz zeigen, deshalb wurde die – außen klar gestaltete Decke – ausgeschlachtet, wie Sie treffend sagen. Es könnte an einem Leck gelegen haben, einer Bombe, einer Flutkatastrophe, einer Explosion, einem Materialfehler, an Korruption, einer Unachtsamkeit oder einem Unfall. Die Decke brach ein, fiel herunter und mit ihr alles, was über meinem Kopf verborgen war: das Nichtgezeigte, das Versteckte, das Chaos, das Komplexe, das Unsichtbare hängt herunter und es offenbart sich nun, was ich nicht sehen konnte. Plötzlich, wegen der Schwerkraft, ergießt sich alles, verteilt sich alles, liegt offen und bildet neue Zusammenhänge, neue Dynamiken. Die unsichtbaren Mechanismen und Verbindungen werden enthüllt.

Der Schweizer Thomas Hirschhorn, Jahrgang 1957.
Der Schweizer Thomas Hirschhorn, Jahrgang 1957.

© Schinkel-Pavillon / Nina Pohl

Das Werk heißt „Höhere Gewalt“. Dabei haben Sie das denkmalgeschützte Haus höchstpersönlich zu einem Ort der Katastrophe gemacht. Geben Sie die Verantwortung dafür ab?
Als Künstler übernehme ich die volle Verantwortung für meine Arbeit, diesen ‚kritischen Körper'. Der Titel verweist auf oben, weil der Durchbruch nicht verhindert werden kann. Der Durchbruch ist zwingend. Die Skulptur, der ‚kritische Körper' fällt einem auf den Kopf, man kann nicht weglaufen vor dieser widerspenstigen, chaotischen, komplexen, unlösbaren Logik. Dieses ‚Höhere' ist mitleidslos und zwingt mich zum Hinschauen. „Höhere Gewalt“ zwingt mich den Kopf zu heben, meine Augen weit zu öffnen und auf das zu schauen, was ich nicht sehen will. Das ist die Logik und die Form dieser Skulptur. Nur von oben ist ein gewalttätiger Durchbruch möglich. Dieser von oben ausgeübten ‚Gewalt' kann man sich nicht erwehren, man ist ihr ausgeliefert – deswegen „Höhere Gewalt“. Es ist Gewalt mit einer externen Kraft, unendlichen Kraft und unermesslichen Kraft. Es liegt am Betrachter, das Chaos – im Sinne von Edouard Glissants „Chaos-Welt“ – zu berühren. Es geht darum, das Unermesslichkeit zu sehen, sich ihm zuzuwenden, sich ihm zu öffnen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken und dabei wach zu bleiben.

Der Pavillon ermöglicht Durchblicke nach allen Seiten. Hier sieht man luxuriösen Wohnraum entstehen, dessen Fassade so tut, als stünde sie schon ein Jahrhundert in Berlins Mitte. Nimmt Ihre ästhetische Dekonstruktion Bezug auf diese Täuschung?
Ja, es wäre schön wenn meine Arbeit diesen Bezug – auch – schaffen kann. Ich wollte, dass man an den Sinn des Zitats von Antonio Gramsci denken muss: „Dekonstruktion ist schwierig; Sie ist ebenso schwierig wie Kreation.“ Sie füllen den Raum derart mit Kunst, dass man sich ganz auf das Innen konzentriert. So wird der Pavillon zu einem abgeschotteten White Cube.

Mit Ihrem „Bataille Monument“ sind Sie 2002 zur Documenta in eine Wohnsiedlung gezogen, und auch sonst suchen Sie ein breites Publikum. Warum dieser Rückzug?
Ich denke nicht, dass „Höhere Gewalt“ etwas mit dem White Cube zu tun hat. Tatsächlich will ich eine dichte, geladene, komplexe, konzentrierte Arbeit machen, die es einem nicht erlaubt, sich zurückzulehnen oder Abstand zu nehmen. Es geht mir um eine frontale Konfrontation. Nicht darum, den Schinkel-Pavillon als Aussichtsplattform oder Wohlfühlraum zu benutzen, es geht darum – es geht immer darum –, eine Arbeit zu machen, die universell ist, die also auch woanders gezeigt werden kann. Bei „Höhere Gewalt“ ist es so, dass man mit der Konzentration auf das Innen eine neue Verbindung mit dem Außen eingehen kann. Ich habe das gemacht, indem ich das fotokopierte Buch „Zettel's Traum“ von Arno Schmidt in die Arbeit integriert habe. Der gesamte Text dient als Isoliermaterial, das in den Hohlraum in der Decke hineingestopft wurde und nun heraushängt.

Weshalb ist Ihre Wahl auf ein monumentales, über tausend Seiten langes Buch aus den siebziger Jahren gefallen?
Ich habe dieses Buch ausgesucht, weil „Zettel's Traum“ von der Ideologie des Verbrauchertums Abstand nimmt, wie sie für andere Bücher gilt. Es gibt für den Autor keinen Grund, Zugeständnisse an mögliche Leser zu machen. Großartige Bücher liest man nicht, um sie zu verstehen. Es geht nie um Verständnis. Die Bücher, die mich interessieren, sind Bücher, die ich nicht verstehe. Bücher, die mir zuviel abverlangen. Bücher, die mich zwingen mich mit dem auseinanderzusetzen, was ich nicht weiß. Bücher, die mich etwas von außen Kommendes erfahren lassen. Da liegt für mich der Bezug und die Form zum Außen, zum Heute und auch zum nicht-exklusiven Publikum.

Welche Orte oder Räume braucht Kunst, um gesellschaftlich zu wirken? Und wie kann sie das überhaupt?
Kunst kann – ganz einfach, weil sie Kunst ist – Wirkung erzielen, und das überall und immer. Ich bin davon überzeugt, dass Kunst keinen besonderen, geschützten Raum braucht. In der Kunst geht es darum, ein Anliegen, ein Problem, eine Mission zu haben und ihr in absoluter Dringlichkeit eine Form zu geben. Ich verstehe die Frage der Wirkung meiner Arbeit als eine Behauptung und Herausforderung an mich selbst: Habe ich eine Form zu geben? Habe ich eine Position? Habe ich die Kraft, den Willen, die Leidenschaft, eine Arbeit zu machen, die für sich steht, die Biss hat und vom Betrachter so viel fordert wie ich von mir selber? Ich will die Frage stellen: Wo stehst du? Was willst du?

Das Gespräch führte Christiane Meixner.

Die Ausstellung läuft bis zum 28.9. im Schinkel-Pavillon, Oberwallstr. 1, Do–So 12–18 Uhr

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