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Mit einem Puppenkopf, der Beate Zschäpe darstellen soll, proben die Schauspieler und Puppenspieler Michel Diercks (l-r), Tobias Eisenkrämer, Felix Schiller, Magda Decker und Gerlinde Tschersich für das Stück «Beate Uwe Uwe Selfie Klick oder Welthauptstrand Europa».

© dpa

Theaterreise mit Monika Grütters: Ein gutes Stück Stadt

Wie das Theater den öffentlichen Raum verteidigt: Eine Reise mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters durch Stadttheater in Ostdeutschland.

Gleich auf der ersten Station ihrer Reise, im Theater Chemnitz, hat Monika Grütters die Lacher auf ihrer Seite. Im Kulturressort gebe es zwar nicht den größten Etat und nicht die üppigste Personalausstattung, sagt sie. Dafür aber die besten Dienstreisen. Wie schon im vergangenen Jahr ist die Kulturstaatsministerin – begleitet von einigen Mitarbeitern, einem kleinen Team des Berliner Theatertreffens und Journalisten – per Bus von Berlin aus zu einer Theaterreise aufgebrochen, um sich an Ort und Stelle über die Arbeit der Häuser zu informieren.

Ging es letztes Jahr durch Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, bereist die Kulturstaatsministerin diesmal den Osten des Landes: Chemnitz, Halle, Jena, Senftenberg. Vier Städte, vier Bundesländer an drei Tagen, die entsprechend früh beginnen. Tagsüber werden Gespräche mit Intendanten, Regisseuren und Schauspielern geführt, abends Vorstellungen besucht, die die Vielfalt der Theaterregion spiegeln. Im Theaterhaus Jena, das einst nur dank bürgerschaftlichen Engagements die Wende überlebte und inzwischen als wichtige Adresse für ambitionierte junge Bühnenkunst gilt, stehen mit der deutschsprachigen Erstaufführung des Martin-Crimp-Doppels „Im Haus/Im Tal“ wirklich in jeder Hinsicht zeitgenössische Ehe- und andere (Post-)Apokalypsen auf dem Programm.

Dagegen wirft Alexander Flaches Goethe-Inszenierung „Stella“ am Theater Chemnitz die sehr grundsätzliche Frage auf, ob sich 200 Jahre alte Dreiecksbeziehungsklassiker eigentlich nahtlos ins Heute verpflanzen lassen. All das diskutiert die wache Kulturstaatsministerin gern noch in aller Komplexität bei einem After-Work-Drink an der Hotelbar weiter, weshalb die Tage nicht nur früh beginnen, sondern auch spät enden.

39 Millionen Besucher haben deutsche Theater pro Jahr

Die CDU-Politikerin erweist sich dabei als im besten Sinne streitlustig. Auch bei den Gesprächen mit Intendanten und Künstlern hakt sie nach und bremst bisweilen entgegenkommende Gesprächsfloskeln schon im Anflug ab, um auf konkrete Zahlen und Fakten einzuschwenken. 39 Millionen Besucher haben die deutschen Theater insgesamt pro Jahr, beginnt Grütters in Chemnitz mit einer erbaulichen Botschaft. Das sind dreimal so viele Live-Zuschauer wie in der ersten Fußball-Bundesliga in einer Saison. Trotzdem „kann natürlich nicht überall von einer heilen Theaterwelt die Rede sein“, weiß Grütters. Und will möglichst passgenau unterstützen, Instrumente „nachjustieren“.

Zwar darf der Bund nicht institutionell fördern, sondern nur projektbezogen und auch nur dann, wenn Land und Kommunen kofinanzieren, weil Kultur bekanntlich Ländersache ist. Mit Mitteln wie dem Fonds „Doppelpass“, in dem die Zusammenarbeit zwischen festen Häusern und Künstlern der freien Szene gefördert wird, kann er aber immerhin an „Stellschrauben“ drehen.

Steffen Mensching, Intendant in Rudolstadt, verkündet in klagloser Sachlichkeit, er sei der Chef des „am schlechtesten geförderten Theaters Thüringens“.
Steffen Mensching, Intendant in Rudolstadt, verkündet in klagloser Sachlichkeit, er sei der Chef des „am schlechtesten geförderten Theaters Thüringens“.

© dpa

Für Manuel Schöbel, Intendant und Geschäftsführer der Landesbühnen Sachsen Radebeul, sind solche Stellschrauben nicht nur wegen des ökonomischen Gehalts wichtig, sondern auch wegen des symbolischen. Die Wertschätzung, die der Bund auf diese Weise einer Institution oder Region entgegenbringt, wirke in der lokalen (Kultur-)Politik häufig über das konkrete Projekt hinaus als Gütesiegel: Eine enorme Hilfe gegen kommunale Rotstifte. „Wertschätzung“ – eine der meistgehörten Vokabeln auf dieser Theaterreise.

Was ist es nun konkret, woran es den Bühnen zwischen Chemnitz und Senftenberg zur „heilen Theaterwelt“ am nötigsten fehlt? Natürlich sind die Probleme so verschieden wie die Theater selbst und die Regionen, weshalb sich die Reise auch als hervorragende Anti-Pauschalisierungsmaßnahme erweist. Während etwa Schöbel - angesprochen auf den viel zitierten „demografischen Wandel“ – für das Dresden-nahe Radebeul nur mit dem Kopf schütteln kann („Wir haben keine Zuschauerrückgänge“), kennt die künstlerische Leiterin des Theater Brandenburgs, Katja Lebelt, mau besetzte Theatersäle durchaus. Aus einem bizarren Grund. Es gibt Regionen, erzählt sie, in denen die Leute nicht ins Theater gehen, weil sie nach der Vorstellung ohne eigenes Auto nicht mehr nach Hause kommen. Der letzte Bus ist dann längst weg. Und auch Taxifahrer arbeiten – wegen des gesetzlichen Mindestlohns – nicht mehr.

Schauspieler sind Identifikationsfiguren

Ein Thema zieht sich, Verschiedenheit hin oder her, wie ein roter Faden durch sämtliche Begegnungen: die Erkenntnis, wie buchstäblich Theater gerade in kleineren Städten Stadttheater sind. „Schauspieler sind Identifikationsfiguren“, erklärt Steffen Mensching, Intendant in Rudolstadt und als solcher Chef des „am schlechtesten geförderten Theaters Thüringens“, wie er in klagloser Sachlichkeit verkündet. Die Schauspieler seien sozusagen feste öffentliche Größen im Stadtbild, belebten beispielsweise abends die einzige offene Kneipe der Region. Da kann man sich vorstellen, warum das theoretisch plausible Konzept, in schrumpfenden Städten Theater zu fusionieren beziehungsweise ganze Sparten durch gastierende Künstler aus Nachbarorten abzudecken, in der Praxis nicht gut funktioniert: „Wenn das eigene Ensemble abgewickelt wird, wird das als Kränkung empfunden“, erklärt Mensching. „Die Leute gehen zu den gastierenden Ensembles dann nicht einfach so hin.“

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bei der Eröffnung des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele, im Mai 2016.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) bei der Eröffnung des Theatertreffens im Haus der Berliner Festspiele, im Mai 2016.

© imago/Piero Chiussi

Anfang der 90er Jahre, vertieft der Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Hasko Weber, diesen Punkt, habe es einen rigorosen Kahlschlag gegeben: „Orchester wurden abgewickelt, Sparten geschlossen, Häuser existenziell an den Rand ihrer Arbeitsmöglichkeiten gebracht“. Wenn in solchen Regionen der Begriff „Kooperation“ falle, so Weber sachlich, stehe bis heute die Befürchtung im Raum, das könne nur „Abbau“ bedeuten. Dass deshalb immer alles so bleiben soll, wie es ist, findet übrigens keiner in dieser konstruktiven und larmoyanzfreien Thüringer Theaterintendantenrunde. Aber es bedürfe, so stellvertretend Mensching, „langer Arbeit“, vertrauensbildender Maßnahmen und sachkundigen Augenmaßes.

Was dieser identifikationsträchtige Stadttheater-Charakter auch noch bedeutet, lässt sich dieser Tage besser beobachten, als einem im Grunde lieb sein kann. Das Rudolstädter Theater ist nicht das einzige, an dem montagsabends der Pegida-Ableger „Thügida“ vorbeimarschiert. Es hält trotz immensem lokalen Gegenwind mit der Entwicklung eines Bühnenprojekts zu den NSU-Morden dagegen.

Bernhard Stengele, Schauspieldirektor am Theater Gera-Altenburg, hat an seinem Haus einen Bürgerchor ins Leben gerufen, dessen Mitglieder er in der Mehrzahl als „gefühlt AfD-nah“ kategorisiert, und hat „Thügida“ vor Ort pfiffig den angestammten Montagabend „entwendet“ – durch eine zeitgleiche Gegendemonstration des Theaters.

Die politische Bedeutung der Bühnen wächst

Tatsächlich sind die Theater in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt ganz konkrete Orte einer Gegenöffentlichkeit. Und was sie dabei leisten, findet Manuel Schöbel speziell im Hinblick auf seine Kollegen vom Staatsschauspiel Dresden, geht im einhellig negativen Medienbild von der Region gelegentlich unter. Tatsächlich könne man die Verdienste der Theater, bringt es Monika Grütters auf den Punkt, gar nicht genug würdigen in diesem „Spannungsfeld zwischen Bevölkerungsschrumpfung bei gleichzeitig gewachsener und immer noch wachsender politischer Bedeutung“.

Bei Worten will es die Kulturstaatsministerin nicht belassen. Die Wichtigkeit der Bühnen als „soziale Orte“, resümiert sie, ziehe sich als Tenor derart durch die gesamte Reise, dass sie unterwegs eine konkrete Idee zur Spezifizierung ihres Theaterpreises gewonnen hat. Die mit insgesamt einer Million Euro dotierte Auszeichnung des Bundes, die vor allem die Arbeit kleinerer und mittlerer Häuser abseits der Metropolen würdigen soll, wurde 2015 ins Leben gerufen und erstmals vergeben. Jetzt, in der zweiten Auflage, möchte die Ministerin den Preis und das Geld in Regionen geben, in denen das Theater seine „soziale und gesellschaftlich-politische Funktion behauptet“ – als Ort ziviler Gemeinschaft.

Die Reise hat gezeigt, dass es an Kandidaten dafür nicht mangelt.

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