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Seminar bizarr. Franz Hartwig, Sebastian Schwarz, Robert Beyer in der Adaption des Bolaño-Romans „2666“.

© G. Bresadola

Theaterfestival in der Schaubühne: Germanisten grübeln über Frauenmorde

Internationale neue Dramatik: Zum Auftakt des FIND-Festivals zeigt die Berliner Schaubühne eine Adaption von Roberto Bolaños Monumentalroman „2666“.

Nach knapp vier Stunden, wenn der abendfüllend gesuchte Schriftsteller Benno von Archimboldi endlich leibhaftig auftaucht, um uns seine Lebensgeschichte zu referieren, hat der eine oder andere Premierenbesucher die Schaubühne längst verlassen. Dagebliebene kämpfen bei des Rätsels Lösung sichtlich mit dem Schlaf: Angesichts des aufregenden Romans, auf den Regisseur Àlex Rigola hier zurückgreift, eine durchaus bemerkenswerte Leistung!

Ausgerechnet Roberto Bolaños Tausendseiter „2666“ hat sich die Schaubühne zur Eröffnung ihres Festivals für internationale neue Dramatik vorgenommen. Eine gigantische Lektüre-Herausforderung, die in fünf Teilen in allen erdenklichen Abgründen schürft. Es beginnt mit vier Germanisten – drei Männern und einer Frau –, die dem Werk des verschollenen Archimboli regelrecht verfallen sind und dessen vager Spur ins mexikanische Santa Teresa folgen.

Statt Archimboldi zu finden, verstricken sie sich in recht komplexe (Sex-)Beziehungen und hören von rätselhaften Frauenmorden, denen Bolaño allein ein knappes Drittel seines Werkes widmet. Zudem treffen die Literaturwissenschaftler in Santa Teresa auf einen melancholischen Philosophieprofessor, dessen Tochter Rosa wiederum einen afroamerikanischen Journalisten fasziniert, der durch die Mordnachrichten zusehends von seinem eigentlichen Schreibauftrag – einem Boxkampf – abgelenkt wird.

„2666“ ist maßlos, erzähltechnisch grandios ausufernd und bei alledem philosophisch, ohne bedeutungshubernd daherzukommen. Bis zu seinem Tod schrieb der in Santiago de Chile geborene Bolaño, der 2003, 50-jährig, in Barcelona starb, als er auf eine Lebertransplantation wartete, an diesem Meisterwerk.

Die knapp 90-seitige Fassung, die Àlex Rigola und Pablo Ley daraus destilliert haben und die vom Schaubühnen-Dramaturgen Florian Borchmeyer in ein entsprechend pragmatisches Deutsch übertragen wurde, stutzt den Roman zu einer Art Best-of-Handlungsgerüst zurecht. Wo Bolaño absichtsvoll Chaos stiftet und gigantische Überschüsse produziert, übt sich die Theaterversion in biederem Ordnungswillen und stromlinienförmiger Erzähleffizienz.

Dazu herrscht jener aufgekratzt-verschmitzte Erzählton, der – um mit Elfriede Jelinek zu sprechen – einen Abgrund noch nicht mal wahrnimmt, wenn er längst hineingefallen ist. Zum Beispiel die Germanisten: Eine naturgemäß schwer selbstreflexive Spezies, die Bolaño in eine unzulängliche Dreiecksbeziehung mehr hineinschlittern als sich stürzen lässt und die intellektuell wie sexuell eher monoton-depressionsanfällig vor sich hin mäandert als in irgendeiner Weise voranzuschreiten. Dagegen lässt Àlex Rigola – Leiter der Theatersektion der Venedig-Biennale – Regine Zimmermann, Christoph Gawenda und Sebastian Schwarz nachgerade mit dem Charme kichernder Pennäler in eine flotte Ménage-à-trois hüpfen. Da der Regisseur sich auch nicht übertrieben bemüht, Dialog- oder gar Spielsituationen zu schaffen, hocken sie dabei zwischen Bücherstapeln und Flipchart in einer Art Seminarraum herum, erzählen abwechselnd die Digest-Romanfassung und tun einem ziemlich leid: Fast das gesamte Schaubühnen-Kernensemble ist hier am stark handlungseingeschränkten Start.

Strukturell ändert sich daran im Laufe des Abends nichts. Spektakulärer werden lediglich die Arrangements, in denen die Schauspieler herumstehen müssen. So trifft Rosa den Journalisten in einer grün unterlegten Quetschdiskothek, während der Teil über die Morde in einer Wüstenlandschaft vor blutüberströmter Fake-Frauenleiche spielt, deren Investigatoren interessanterweise veritablen Siebziger-Wildwest-Charme verströmen.

Kurzum: „2666“ ist der Inbegriff jener Roman-Digest-Nacherzählungsabende, an denen man sich sehnlichst nach den intelligenten Romanaufsprengungen eines Frank Castorf sehnt.

Wieder am 6.4. und 7.4., Infos: www.schaubuehne.de

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