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Das Theater der Migranten ließ sich vom "Herz der Finsternis" inspirieren.

© Heimathafen Neukölln

Theater der Migranten: Flussfahrt mit Flüchtlingen

Knurrende Horde trifft Party-Boote: Das Berliner Theater der Migranten und der Heimathafen Neukölln zeigen unter dem Titel "Herz der Finsternis" ein fragwürdiges Spektakel.

Wenn man Elfriede Jelinek wäre, hätte man gleich zu Beginn was zu kalauern. Über das benachbarte Badeschiff, wo die Jungen und Schönen dichtgedrängt planschen, während für die Menschen hier auf der Bühne das Boot auch zu voll war und sie nur beten konnten, nicht baden zu gehen auf ihrem Weg nach Europa. Aber lassen wir das. Die Realität ist ja zynisch genug.

In einer Fabriketage am Flutgraben, gleich neben dem Club der Visionäre und dem White Trash, im Epizentrum von Party-Berlin also, empfangen Geflüchtete die Besucher und spielen mit ihnen erst mal bürokratischen Irrsinn: „Wie viel Geld haben Sie im Kopf?“, fragt einer. „Essen Sie gern Kartoffeln?“, blafft der nächste. Es sind Menschen aus Mali, Somalia, Syrien oder Afghanistan, die es nach Berlin geschafft haben und unterwegs mutmaßlich schlimmere Inquisitionen über sich ergehen lassen mussten. Wer ihre Spaßkontrolle durchlaufen hat, bekommt sein Armbändchen für die Überfahrt. Denn darum geht es hier: um eine nächtliche Tour auf Berliner Gewässern, frei nach Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“.

Ausgedacht hat sich das Ganze das Theater der Migranten in der Regie von Olek Witt, Partner ist unter anderem der Heimathafen Neukölln. Bevor es allerdings zu Wasser geht, setzt sich die Besucher- und Performer-Schar erst mal zu Fuß in Marsch, mit einem großen, gefalteten Boot im Papierschiffchen-Stil in ihrer Mitte, das unter anderem einen Hügel im Görlitzer Park hinaufgetragen werden muss – eine schöne Fitzcarraldo-Szene. Von leuchtender Absurdität ist auch der Moment, wo dann das hölzerne, sehr Coppola-mäßige Schiff am Görlitzer Ufer ablegt, nahe der Landwehrkanal-Biegung am Weichselplatz, und ein Chor der Geflüchteten die Heimweh-Weise „Muss i denn zum Städtele hinaus?“ anstimmt. Und los geht die Fahrt! Allerdings nicht gen Kongo, nur nach Neukölln.

Joseph Conrads Roman dient derzeit häufiger als Inspiration

Es wird eine Fahrt voller Fragwürdigkeiten. Die beginnen schon bei der Annahme, man könne sich per Erlebnis-Performance in die Situation von Menschen einfühlen, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut geflohen sind. Auch die Passagen aus „Herz der Finsternis“, die von der Schauspielerin Genifer M. Habbasch ziemlich pathosselig vorgetragen werden, bleiben seltsam anbindungslos. Conrads Roman hat als irrlichternde Imperialismus-Fibel ja zuletzt eine Reihe toller Theaterabende inspiriert, Castorfs „Baal“-Bearbeitung ebenso wie das Stück „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz. Hier wird die Beschreibung eines kolonialen Eindringens in die ach so bedrohliche Fremde aber vor allem mit der Geschichte einer Flucht verschnitten. Gegenläufige Bewegungen, die sich nicht bereichern.

Ein junger Mann namens Seyni Maiga schildert seine Passions-Odyssee. Allerdings nur über Lautsprecher. Am Ufer tauchen dazu immer wieder Performer auf, die Schilder mit Sinnsprüchen („Das Leben ist sehr ernst“) hochhalten. Und die mit Pferde- oder Kuhkopf verkleidet sind. Nicolas Stemanns Jelinek-Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“, die kürzlich beim Theatertreffen zu sehen war, hatte ja genau dieses Dilemma zum Thema: dass Geflüchtete für uns gesichtslose Masse bleiben. Ob hier ein ähnlicher Grad an Bewusstsein herrscht, wenn die Performer gen Ende einmal als knurrende, schwarz maskierte Horde über ein Gleisbett schleichen, bleibt zumindest zweifelhaft. Ihre Komparsen-Rolle hinterlässt ein ungutes Gefühl.

Am Ufer ruft ein Betrunkener "Prost!"

So ergeben sich die stärksten Szenen unfreiwillig. Während an Bord der aus Timbuktu stammende Seyni von Folter, Entbehrung und Todesangst erzählt, führt die Fahrt an fröhlichen Betrunkenen am Ufer vorbei, die „Prost!“, oder „Yo, Party-Boot!“ grölen. Die Gleichzeitigkeit von sorglosem Leben auf der einen und dem Massensterben auf der anderen Seite der Grenzzäune könnte man kaum schlagender ins Bild fassen. Vor dem Estrel-Hotel tanzen ein paar Touristen unterm Baldachin. Einer ruft „Mann über Bord“ und lacht schallend.

Start der Bootsfahrt: Flutgraben Kunstfabrik, Am Flutgraben 3. Wieder Fr 31.7. u. Sa 1.8., 21 Uhr, Restkarten an der Abendkasse. Nicht barrierefrei.

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