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Fressen und Moral. Stan (Richard Gere) und Katelyn (Rebecca Hall) verhandeln die Zukunft ihres Sohnes.

© Tobis

"The Dinner" mit Richard Gere: Prost Mahlzeit

Die Entlarvung einer liberalen Weltanschauung: Oren Movermans Kammerspiel „The Dinner“ ist eine unversöhnliche Amerika-Allegorie.

Von Andreas Busche

Die Bombe platzt irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang. Nicht, dass das Abendessen der beiden Ehepaare bis dahin reibungslos verlaufen wäre. Man kann die Spannung am Tisch förmlich mit Händen greifen, was vor allem an Paul (Steve Coogan) liegt. Der lässt seinen Widerwillen, sich mit seinem Bruder Stan (Richard Gere), einem erfolgreichen Kongressabgeordneten, und dessen Trophy-Wife Katelyn (Rebecca Hall) zu treffen, alle Anwesenden in jeder Sekunde spüren. Das Verhältnis der Brüder ist von einem tiefen Zerwürfnis gezeichnet, das lange unausgesprochen bleibt – wie so vieles, was in Oren Movermans Kammerspiel „The Dinner“ erst in komplizierten Rückblenden zum Vorschein kommt.

Dabei ist eine offene Aussprache der eigentliche Anlass für dieses höchst unangenehme double date. Die Söhne der beiden Ehepaare haben sich etwas Schwerwiegendes zuschulden kommen lassen, und nun müssen die Eltern verhandeln, wie darauf zu reagieren sei. Es geht um die Zukunft der Kinder, aber auch um Stans politische Karriere.

Amerika und seine Kinder. In gewisser Weise umkreisen alle Filme Movermans dieses Thema, in „The Dinner“ jetzt auch ganz ausdrücklich. Der aus Israel stammende Regisseur blickt als Außenseiter auf die amerikanische Gesellschaft, auf den Krieg zu Hause („The Messenger“) und die Obdachlosigkeit („Time Out Of Mind“), und dabei schwingt stets die kritische Frage mit, was das für ein Land ist, das sich zur moralischen Instanz erhebt, aber innerlich von Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit zerrissen ist.

Der verzogene Nachwuchs ist schuld

Zwar basiert „The Dinner“ auf einem Roman des niederländischen Autors Herman Koch, doch Moverman musste sein Drehbuch nur leicht adaptieren, um die Vorlage in ein amerikanisches Moralstück zu verwandeln. Das Setting hätte durchaus auch das Zeug zu einer Komödie: ein Nobelrestaurant, in dem avantgardistische Gerichte in aufwändigen Food-Choreografien aufgefahren werden. Währenddessen wird am Tisch ein Deal ausgehandelt, der über das Schicksal des verzogenen Nachwuchses entscheidet.

Darin besteht die böse Ironie von „The Dinner“: Nicht die Kinder gewährleisten mehr die Zukunft, die Eltern müssen es richten. Die Erziehungsberechtigten erscheinen jedoch denkbar ungeeignet dafür. Paul, ein Historiker, hat eine zutiefst fatalistische Neigung und ergeht sich in endlosen Tiraden über den Zustand der westlichen Zivilisation. Stan ist ein Karrierepolitiker, der eine wichtige Gesundheitsreform durch den Kongress bringen muss – weswegen seine Assistentin im Hinterzimmer auf Abruf bereitsteht und ihn gelegentlich aus der unerfreulichen Familienzusammenkunft herausreißt.

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Die Rollen sind, daran lässt schon die Besetzung keinen Zweifel, klar verteilt. Coogans zivilisationskritische Ausbrüche sorgen für comic relief, Geres selbstgerechter Moralismus weckt unwillkürlich Skepsis. Die Verhandlung ist zunächst reine Männersache, die Gattinnen scheinen sich mit der Rolle der Cheerleader zu begnügen – bis eine Wendung im letzten Akt die Rollen neu verteilt. Vor allem Laura Linney als Pauls Frau Claire läuft schließlich zu großer Form auf, je mehr sich die Fronten zwischen den Brüdern verhärten. Mit fortschreitender Dauer der Tafelrunde lässt sie ihren kühlen Machtinstinkt durchblicken. Fast unbemerkt reißen die Frauen die Verhandlungsführung an sich: Claire kämpft für ihren Sohn, Katelyn um die Karriere ihres Mannes.

Aber so überdeutlich sich „The Dinner“ auch auf der richtigen Seite der Moral wähnt, einfach macht es Moverman dem Publikum nicht, sich mit seinen Figuren zu arrangieren. Die Rückblenden und Erinnerungsfragmente, die die chronologische Struktur von „The Dinner“ mit erheblichem Stilwillen aufbrechen, werfen immer wieder ein neues Licht auf die fragilen Allianzen, die zunächst als alternativlos erscheinen. Plötzlich sind auch andere Konstellationen denkbar, Interessenlagen verschieben sich. Die Fieberkurve der öffentlichen Moral spiegelt sich in den erhitzten Diskussionen der Eltern wider, vor allem in den Beleidigungskaskaden des zunehmend labilen Paul.

Eine Nation aus Blut geboren

So verlagert Moverman dramaturgisch klug den Fokus sukzessive von der Tat der Kinder auf die Handlungsmacht der Eltern. Es entspinnt sich ein böses, stellenweise arg dialoglastiges Possenspiel, das jedoch keine Deutungshoheit einfordert. Die Beschränkungen des Kammerdramas umgeht Moverman, auch weil „The Dinner“ ganz grundsätzliche Bilder sucht. Ein früherer Roadtrip führt Stan und Paul auf die Schlachtfelder von Gettysburg: die unversöhnlichen Brüder, eine zerrissene Nation, aus dem Blut unschuldiger Amerikaner geboren. Man kann solche Motive (nicht zuletzt in Anbetracht der Massaker an den Ureinwohnern) abgeschmackt finden. Aber Moverman legt es darauf an zu reizen. Seine Bilder zielen auf die Desorientierung des Betrachters, die Tonspur nervt mit ziseliert-atonalen Sounds.

Die Entlarvung einer liberalen Weltanschauung hat im amerikanischen Kino gerade wieder Hochkonjunktur (zuletzt in in Jordan Peeles „Get Out“). Moverman teilt mit „The Dinner“ nach allen Seiten aus, was mitunter auch reaktionäre Züge bekommt. Stan und Katelyn haben ein schwarzes Kind adoptiert, Paul beharrt gegenüber Claire auf seinem Recht, den Jungen nicht zu mögen, ohne deswegen als Rassist beschimpft zu werden. „The Dinner“ fächert die Befindlichkeiten des liberalen Amerika so pointiert wie facettenreich auf. Seine Bestandsaufnahme bleibt niederschmetternd.

In 9 Berliner Kinos, OV: Cinestar Sony-Center, OmU: Rollberg, Filmkunst 66, Odeon, Kulturbrauerei

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