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James Blake, der Schattenmann

© Universal

"The Colour In Anything" von James Blake: Funkstille in meinem Herzen

Meisterstück: James Blake und sein melancholisches Elektro-Album „The Colour In Anything“.

Als Beyoncé vor zwei Wochen völlig ohne Ankündigung ihr Album „Lemonade“ veröffentlichte, gab es bei dieser von einem einstündigen Film begleiteten Mega-Überraschung noch einen kleineren, fast zu überhörenden Wow-Moment: den Gastauftritt von James Blake im letzten Drittel des Werks. Eher ein Zwischenspiel als ein richtiger Song, markiert das knapp eineinhalbminütige „Forward“ jedoch einen wichtigen Wendepunkt in dem Eifersuchtsepos der R-’n’-B-Diva: Erstmals werden etwas versöhnlichere, in eine gemeinsame Zukunft weisende Töne angeschlagen. Und die darf – begleitet von wenigen Klavierakkorden – ein Mann singen.

Mit seinem zarten, immer ein wenig leidend klingenden Falsett trifft James Blake genau die richtige Lage für diesen heiklen Moment. Beyoncé singt nur eine einzige Zeile in „Forward“ – zusammen mit Blake: „Go back to your sleep in your favorite spot just next to me“. Schlaf wieder ein, an deinem Lieblingsplatz neben mir – intimer geht es kaum. Verständlich, dass Blake beim ersten Hören dieser Aufnahme erschauderte, wie er in einem Interview mit dem amerikanischen Internetportal „Pitchfork“ berichtet.

„Forward“ ließ sofort Sehnsucht nach mehr Musik von James Blake aufkommen. Dass sie nun so schnell gestillt wird, ist reiner Zufall, wie der Londoner Musiker im selben Gespräch sagt. So war die Veröffentlichung seines dritten Studioalbums „The Colour In Anything“ offenbar schon länger geplant, eine Ankündigung sparte sich der Post-Dubstep-Songwriter allerdings ebenso wie Beyoncé. Lediglich in einem Radiointerview am Donnerstag nachmittag gab er bekannt, dass das Werk ab Mitternacht bei den Streamingportalen zu hören sei. Warum er sich zu dieser bei Popstars derzeit offenbar angesagten Form des spontanen Raushauens entschieden hat, verriet er dabei nicht. Vielleicht wollte er die Veröffentlichung einfach nur hinter sich bringen. Schließlich hat er selbst in den drei Jahren, die seit seinem preisgekrönten Meisterwerk „Overgrown“ vergangen sind, mehrfach Spekulationen über eine neue Platte angefacht – und sich dann aber ziemlich rar gemacht.

Funkstille herrscht zwischen zwei Liebenden, aber auch im Herzen des Sängers

Passend dazu heißt das erste Stück des neuen Albums „Radio Silence“, also Funkstille. Sie herrscht in dem Stück zwischen zwei einstmals Liebenden, aber auch im Herzen des Sängers. „I can’t believe that you don’t wanna see me“, wiederholt James Blake zur Eröffnung dreimal. Ein verhalltes Klavier, ein reduzierter Beat und ein ferner „Uhhuh“-Backgroundgesang begleiten seine wehmütige Klage. Etwas Hoffnung bringt nach etwas mehr als eineinhalb Minuten eine strahlende Synthesizer-Harmonie hinein, die auch die Bass-Drum für eine Weile in ein warmes Four-to-the-Floor-Pochen schubst. Doch es hilft alles nichts: Am Ende steht eine Entschuldigung („I’m sorry that I don’t know how you feel“) und ein einsam gesungenes „Huhuhu“.

Damit hat Blake, der von Jamie Woon über Sohn bis hin zu Moderat viele Kollegen beeinflusst hat, die wichtigsten Markenzeichen seines Sounds schon einmal aufgefächert. Weitere folgen – etwa das Zerhäckseln, Übereinanderschichten und Hoch- oder Runterpitchen der Gesangsspuren. In den 17 Stücken von „The Colour In Anything“, das mit 76 Minuten fast doppelt so lang ist wie „Overgrown“, setzt der Brite eine Entwicklung fort, die schon auf dem Vorgängeralbum zu beobachten war: Er verfeinert, verschiebt und verdichtet sein Klangbild gerade so weit, dass es noch klar ihm zugeordnet werden kann, ohne in Selbstplagiatsregionen abzudriften.

Immer wieder verblüffen die Klarheit und die Schönheit des Albums. Die Beats müssen längst nicht mehr so abstrakt und verwinkelt wirken wie noch zu Zeiten seines Debüts. Es darf auch mal eine einfache R-’n’-B-Anmutung sein wie in „My Willing Heart“ oder eine Techno-Bass-Drum wie in „I Hope My Life“, das um ein spitz in die Höhe schießendes Synthie-Motiv und die Zeile „Maybe I just place my hands on you“ rotiert – eine clubtaugliche Anknüpfung an das House-artige Stück „Voyeur“ vom letzten Album. Es zieht den 27 Jahre alten James Blake eindeutig mehr auf die Tanzfläche, was sich auch an dem Titel „Timeless“ zeigt, der beginnt wie der Elektropop-Hit „Hide U“ von Kosheen.

"The Colour In Anything" bringt tatsächlich etwas mehr Farbe in Blakes Kosmos

James Blake hat „The Colour In Anything“, das tatsächlich etwas mehr Farbe in seinen melancholisch-introspektiven Kosmos bringt, größtenteils in den USA aufgenommen. Statt wie früher alles allein im Heimstudio auszutüfteln, hat er in Malibu Rat bei Großproduzent Rick Rubin gesucht und in dem Soul-Erneuerer Frank Ocean einen wichtigen Berater gefunden. Seinen Einfluss hört man etwa in dem wunderschönen „Noise Above Our Heads“, das mit warmen Orgelakkorden und klug gesetzten Gesangssamples arbeitet.

Eine weiterer Mitstreiter war Justin Vernon, der unter seinem Künstlernamen Bon Iver eine Blake seelenverwandte Musik produziert. Überdies singt er ähnlich sehnsuchtsvoll-anrührend. Das Duett der beiden – das einzige auf „The Colour In Anything“ – ist ein Höhepunkt des Albums. Die beiden setzen im sparsam instrumentierten „I Need A Forest Fire“ ganz auf ihre Stimmen, die hervorragend zueinander passen. Aber auch die Arrangements, die Blake mit seiner eigenen manipulierten Stimme zusammenbastelt, sind beeindruckend. So klingt etwa „Choose Me“ wie der abgefahrene Remix eines Sade-Stücks. Es hat Suchtpotenzial – wie das ganze Album, mit dem der Londoner seine Stellung als herausragender Klangschöpfer seine Generation festigt.

„The Colour In Anything“ erscheint bei Polydor/Universal.

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