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Tanz: Wer ist Sasha Waltz?

In Paris wird sie verehrt. Ihre Leidenschaft aber ist Berlin. Die Choreografin eröffnet dem Tanz neue Räume. Doch sie selbst sucht einen neuen Ort. Sasha Waltz ist Deutschlands berühmteste Choreografin.

Von Sandra Luzina

Woher kommt sie?

Sie ist nicht nur mit der Kunst aufgewachsen, sondern förmlich in ihr. Denn ihr Vater ist Architekt und hat das Haus, in dem sie in Karlsruhe lebten, selbst entworfen. Und ihr Mutter war als Galeristin tätig und nutzte die Zimmer als Ausstellungsorte: Mal hat sie Werke eines Künstlers ausgestellt, mal Schmuck und ethnografische Objekte. Auch die künstlerische Begabung der Tochter zeigt sich schon früh. Mit fünf Jahren erhält Sasha Waltz ihren ersten Tanzunterricht bei der Mary-Wigman-Schülerin Waltraud Kornhas. Da wurde barfuß getanzt und sehr viel improvisiert. Kornhas habe sie zur „Freiheit des Ausdrucks“ ermutigt, sagt Waltz. Dabei will sie zu diesem Zeitpunkt noch Malerin werden. Sie zeichnet leidenschaftlich gern, angeregt von den Kunstobjekten, die ihre Mutter zu Hause ausstellt.

Als Zehnjährige hat sie ihren ersten großen Auftritt: im elterlichen Garten. Zusammen mit ihren beiden Geschwistern und den Nachbarskindern inszeniert sie ihre ersten Theaterstücke – mit Kostüm und Bühnenbild. „Die abgeschlagene Hand“ heißt eines der Stücke. Mit 16 Jahren wird ihr endgültig klar: Sie will Tänzerin werden. Initialzündung war ein Workshop mit Laurie Booth in Kontakt-Improvisation, eine damals neue, sehr physische Technik aus den USA. Nach dem Abitur nimmt Waltz ihr Studium an der School For New Dance Development in Amsterdam auf, eines der progressivsten Ausbildungsinstitute Europas. 1986 ging sie für zwei Jahre nach New York. Hier erhielt sie wichtige Impulse für ihren weiteren Werdegang. Und hier sieht sie auch das erste Mal eine Aufführung von Pina Bausch. Doch es ist die amerikanische Avantgarde, der sogenannte Postmodern Dance, der sie beeinflusst. Trisha Brown gehört zu ihren Vorbildern. Ein Stipendium des Künstlerhauses Bethanien führt die unbekannte Waltz 1993 nach Berlin. Hier entsteht das erste „Dialoge“-Projekt. Waltz lädt dabei Künstler aus unterschiedlichen Disziplinen ein, um mit ihnen kleine Studien zu erarbeiten. Die Aufführungen sind wild, verrückt und sehr physisch – sie legen den Grundstein für ihre weiteren Arbeiten.

Wofür steht sie?

Nach dem Tod von Pina Bausch gilt Sasha Waltz als die bedeutendste deutsche Choreografin. Ihr multinationales Tanzensemble wird in aller Welt gefeiert. Ihr Stil folgt einem Grundmuster: Sasha Waltz sucht sich außergewöhnliche Orte in der Stadt und erobert somit dem Tanz neue Räume. Mit „Twenty to Eight“, dem ersten Teil ihrer berühmten „Travelogue“-Trilogie, gelingt ihr 1993 der Durchbruch. Kurz nach der Uraufführung in Groningen kommt die Aufführung nach Berlin. Eine neue Ästhetik ist zu bestaunen. Schauplatz ist eine Küche. Hier wird gegessen, gestritten und geliebt. Die Aktionen zwischen Tisch, Bett und Kühlschrank werden auf irrwitzige Weise beschleunigt und rhythmisiert, banalen Verrichtungen verleiht Waltz eine wilde Traumenergie. Wer Sasha Waltz mit ihrem Pagenkopf und rotem Kleid sah, hat sich gleich in sie verliebt. Denn sie ist eine vorzügliche Tänzerin und strahlt eine wunderbare Sinnlichkeit aus.

1996 wieder ein außergewöhnlicher Ort: Berlin-Marzahn. Für „Allee der Kosmonauten“ führte Waltz Interviews mit Bewohnern von Plattenbauten in Marzahn und entwickelte daraus eine Familiengeschichte, mit der die Sophiensäle eröffnet wurden. Das Stück ist aber keine trockene Sozialreportage, sondern herrlich überdreht, von groteskem Witz – und preisgekrönt. Drei Jahre später nimmt sie sich das damals noch leer stehende Jüdische Museum in Berlin vor. Mit 17 Tänzern bespielt sie das Gebäude und lässt sich auf die beklemmende Geschichte des Baus ein.

Einen Wendepunkt stellt die Aufführung „Körper“ im Jahr 2000 dar, ihre Antrittsinszenierung an der Schaubühne. In dem spröd-abstrakten Stück wirft sie diesmal einen wissenschaftlich kühlen Blick auf den Körper. Schwelgerischer nimmt sie diesen in „Dido & Aeneas“, ihrer ersten Operninszenierung, in den Blick. Unvergesslich der Unterwassertanz in einem riesigen Aquarium. 2009 weihte sie das Neue Museum von David Chipperfield auf der Museumsinsel ein.

Was verbindet sie mit Berlin?

Sasha Waltz hat eine atemberaubende Karriere absolviert, und die ist – wie ihre Aufführungen zeigen – eng mit Berlin verbunden. „Die Entwicklung der Stadt hat meine Arbeit geprägt, denn hier fand man immer wieder Freiräume“, erklärt Waltz. „Hier hatte ich Zugriff auf Räume wie zum Beispiel die Sophiensäle.“ Diese wichtige Produktionsstätte für freies Theater hat sie 1996 zusammen mit ihrem Ehemann Jochen Sandig gegründet. Von 1999 bis 2004 gehörten Waltz und Sandig außerdem dem Vierer-Direktorium der Schaubühne an. Seit März 2004 arbeitet Sasha Waltz aber wieder unabhängig. Obwohl ihre Arbeitsbedingungen schwierig sind und sie immer wieder neu für eine angemessene Förderung kämpfen muss, entschied sie sich für Berlin. Versuche, sie abzuwerben, gibt es. Denn auch ihr internationaler Ruhm mehrt sich stetig, die Franzosen etwa verehren Waltz wie eine Königin.

In Berlin hat sie nun einen neuen aufregenden Ort bezogen: das Radialsystem V an der Spree. Dort feiert sie am Freitag mit dem Stück „Métamorphoses“ Premiere. Ihre Verbundenheit mit der Hauptstadt demonstriert Waltz auch auf anderem Gebiet. „Bürger in Bewegung“, ein gemeinsamer Entwurf von Sasha Waltz und der Agentur Milla & Partner, gehört zu den drei Gewinnern des Wettbewerbs für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin. Dieses Denkmal in Form einer Schale können die Bürger betreten und bewegen – eine „soziale Plastik“. Sie folgt damit dem Credo, dass jeder Mensch durch kreatives Handeln zum Wohl der Gemeinschaft beitragen kann.

Was sind ihre Pläne?

„Sasha Waltz & Guests“ sind ein deutscher Exportschlager. Durch die Gastspiele und internationalen Koproduktionen finanziert sich das Ensemble. Doch ihr Wunsch sei es, mehr Aufführungen in Berlin zu zeigen, erklärt Waltz. Das Radialsystem sei zwar ein wunderbarer Ort der Kreation, aber ihre Opern und die größeren Repertoire-Arbeiten könne sie in dem umgebauten Pumpwerk nicht zeigen. Mit ihrem Ensemble ist sie in den vergangenen vier Jahren auch in der Staatsoper Unter den Linden, in der Schaubühne, im Haus der Berliner Festspiele und im Neuen Museum aufgetreten. Das sei eine interessante Erfahrung gewesen, bedeute aber auch, dass sie von den Spielplänen der Häuser abhängig sei. So finde sie derzeit auch keinen Ort, an dem sie ihre neue Produktion „Passion“, die im Oktober in Paris uraufgeführt wurde, zeigen könne.

Sasha Waltz ist eine überaus produktive und mutige Künstlerin, sie hat immer wieder Neuland erobert, sie hat dem Tanz eine neue Bedeutung und Attraktivität verliehen. Jetzt träumt sie von einem eigenen Haus, wo Tanz und Musik zusammenfinden. Am liebsten in Berlin – ihrem Kunstraum.

Sasha Waltz wurde am 8. März 1963 in Karlsruhe geboren. Mit fünf Jahren bekam sie ihren ersten Tanzunterricht. Sie studierte in Amsterdam und New York, 1992 zog sie nach Berlin, wo sie ein Jahr später zusammen mit Jochen Sandig die Tanzkompanie „Sasha Waltz & Guests“ gründete. 1996 eröffneten beide die Sophiensäle. Von 1999 bis 2005 übernahmen sie gemeinsam mit Thomas Ostermeier und Jens Hillje die künstlerische Leitung der Schaubühne am Lehniner Platz. Seit 2005 ist Sasha Waltz wieder mit ihrem Tanzensemble selbstständig. Sasha Waltz und ihr Mann Jochen Sandig haben zwei Kinder, László und Sophia.

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