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Mehrere tausend Pegida-Anhänger bei einer Kundgebung am 16. Oktober 2016. Die Bewegung feierte ihr zweijähriges Bestehen.

© dpa

Studie über Deutschlands rechte Szene: Im Resonanzraum des rechten Randes

Der Politikwissenschaftler Hajo Funke durchpflügt in seiner gut recherchierten Studie "Von Wutbürgern und Brandstiftern. AfD, Pegida, Gewaltnetze" die Landschaft ethnonationaler Strömungen.

Von Caroline Fetscher

Aufgewühlt debattiert man dieser Tage in der „Alternative für Deutschland“ über Alternativen zum thüringischen Landeschef Björn Höcke. Mitte Januar hatte Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet. Ganz auf der Linie der Partei, erklären Höcke-Fans wie Alexander Gauland. Distanzieren, zumindest öffentlich, wollen sich Höcke-Gegner wie Frauke Petry. Dem kulturrassistischen Nationalismus des autoritären Agitators Höcke widmet Hajo Funke, Berliner Politikwissenschaftler, ein eigenes Kapitel in seinem Parforceritt "Von Wutbürgern und Brandstiftern. AfD, Pegida, Gewaltnetze" durch Deutschlands rechte Szene.

Allerdings ist Funke weniger auf der Suche nach einzelnen Protagonisten. Vielmehr fragt er nach dem „Resonanzraum“, den Höcke und Co für sich gewonnen haben, unter anderem mit Aussagen zu einem auf „völkischer Abstammung“ beruhendem „Selbstbestimmungsrecht“ der Deutschen, das „nicht an eine fremdstämmige Migranten-Mehrheit abgegeben“ werden solle. Während die AfD Ängste schürt vor „Asylchaos“ und „Eurokrise“, fischt sie wo und wie immer möglich in rechten Kadernetzen und rechten Mischszenen, die in ganz Europa beunruhigende Dimensionen annehmen.

Sozialstaat und Demokratie schwächen die Anziehungskraft des rechten Randes

Funke durchpflügt diese Landschaft von Pegida über Bärgida bis zur NPD, von Thüringen und Sachsen-Anhalt über das Saarland und Baden-Württemberg. Kompakt und gut recherchiert bündelt er Informationen zu Strategien ethnonationaler wie protektionistischer Strömungen der Gegenwart. Die inzwischen fast anrüchig gewordenen „Sorgen“ der Bürger nimmt Funke durchaus ernst, und angesichts des neoliberalen Marktradikalismus wirbt er um die „Offensive für eine soziale Demokratie“. Gehen Sozialstaat und Demokratie stabil Hand in Hand, schwinden die Fliehkräfte zum radikalen Rand. Laut eines Oxfam-Berichts vom Januar 2017 besitzen die acht reichsten Personen der Gegenwart 50,8 Prozent des Weltvermögens. Gerade in Deutschland sind Herkunft und Zukunft von Kindern enorm fixiert, traditionell weiterverkoppelt. Sorgen haben ihre Berechtigung.

„Alle Flüchtlinge unter den Generalverdacht zu stellen, sie seien potenzielle Attentäter, ist genauso absurd, wie alle Wähler der AfD unter Generalverdacht zu stellen, sie träten für Gewalt ein.“ Mit dieser Aussage ist der Wille zur Balance skizziert, der Funkes Studie zugrunde liegt. Solcher „Generalverdacht“, heißt es weiter, „führt zu Generalmobilisierung, zu Eskalationen in Vorbürgerkriege und Bürgerkriege.“ Genau das aber sei „die Absicht der Vertreter der extremen neuen Rechten, darunter vor allem die der ,Identitären’“.

Tagung der jungen, interdisziplinären Wissenschaft der Psychohistorie als Ergänzung zu Funkes Buch

Doch ökonomische Abstiegsängste allein erklären den emotionalen Klimawandel nicht, und so forscht die junge, interdisziplinäre Wissenschaft der Psychohistorie mit der Seelenlupe. Auf ihrer 31. Jahrestagung vom 17. bis 19. März in Heidelberg widmet sie sich dem „Wandel der Identitätsstrukturen und Beziehungen im Lauf der Geschichte.“ Sie empfiehlt Lektüre, die Medien und Politik bisher selten wahrnehmen (darunter: Lloyd DeMause: „Das emotionale Leben der Nationen“. Drava Verlag, Klagenfurt, 2005, 383 Seiten, 34 €. Oder den Sammelband der Herausgeber Ludwig Janus, Winfried Kurth, Heinrich Reiß und Götz Egloff: „Verantwortung für unsere Gefühle – die emotionale Dimension der Aufklärung“. Mattes Verlag, Heidelberg, 2015, 24 €)

Auf der Tagung wird es um Mentalitätswandel und Monotheismus gehen, um die Bildung von Mädchen und Frauen als Motor kulturellen Fortschritts, um Geschlechtsidentitäten, Identität und Kindheit, den Wandel der Elternschaft seit dem 2. Weltkrieg und postheroische Identitäten. Zentrales Theorem der Psychohistoriker ist die destruktive Rolle der Gewalt, vor allem gegen Minderjährige. Diese Gewalt findet sich, jenseits von Milieus und Märkten, brutal bis subtil, in sämtlichen Klassen und Gruppen der Gesellschaft. So umstritten dieser Ansatz in der etablierten Wissenschaft sein mag, so inspirierend ist er als Ergänzung zu Studien wie Funkes Wutbürger-Buch.

Hajo Funke: Von Wutbürgern und Brandstiftern. AfD, Pegida, Gewaltnetze. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin, 2016, 184 S., 16 €.

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