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Steve Reich, geboren am 3. Oktober 1936 in New York.

© dpa

Steve Reich wird 80: Rhythmus der Räder

Harmonien ohne Süße: Steve Reich, Protagonist der Minimal Music, wird 80. Und ist so aktiv wie eh und je.

Es ist ein denkbar einfaches Stück, um es aufzuführen, braucht man nicht einmal Instrumente. Zwei Paar Hände reichen aus, dazu Konzentration und Gottvertrauen, dass das, was langsam auseinanderdriftet, wieder zusammenfinden wird. „Clapping Music“ verschiebt zwei geklatschte Rhythmen Takt für Takt gegeneinander. Es zeigt in nicht einmal vier Minuten exemplarisch und ohne harmonischen Überglanz jene Momente, die magisch sind im Schaffen von Steve Reich: unmerkliches Loslösen vom geeinten Beat, Überlagerung von Schlagmustern, finales Zurückgleiten in den einen Strom. 1971 hat der Komponist seine „Clapping Music“ geschrieben, zu Beginn seiner beispiellosen Karriere. Natürlich darf sie nicht fehlen auf dem Doppelalbum, mit dem Kristjan Järvi und das MDR-Sinfonieorchester dem amerikanischen Komponisten zum 80. Geburtstag am 3. Oktober gratulieren. Reich, wie immer im schwarzen Hemd und mit Baseballkappe, führt „Clapping Music“ darauf mit dem befreundeten Dirigenten auf: eine Musik, die kein Alter kennt.

Steve Reich wird am 3. Oktober 1936 in New York geboren. Er ist noch ein Baby, als sich seine Eltern trennen – und damit, ohne es zu ahnen, die Grundlage für seinen späteren Beruf legen. Die Mutter zieht nach Los Angeles, und der kleine Steve pendelt mit seiner Gouvernante regelmäßig auf der langen Bahnstrecke. Sein Gefühl für sich wiederholende rhythmische Strukturen rühre vom Rattern der Räder auf den Gleisen, wird Reich später sagen. Und mit „Different Trains“ für Streichquartett und Tonband eine seiner erfolgreichsten Kompositionen schaffen. Irgendwann begeistert sich der Heranwachsende für Schlagzeug, Bach, Strawinsky und die endlosen Improvisationen von John Coltrane. Der Weg durch das von seriellen und aleatorischen Techniken, von Schönberg und seinen Antipoden beherrschte Studium fällt dem jungen Musiker nicht leicht. Er bastelt mit Tonbändern und entdeckt durch Zufall, weil zwei Bandmaschinen nicht gleich schnell laufen, welche Kraft in leicht divergierenden Rhythmussystemen steckt.

Ein langes, immer klangmächtiger werdendes Kreisen

Die Kränkung, dass sein Instrument, das Schlagzeug, akademisch nur wenig geschätzt wird, überwindet er mit Studien in Afrika und der Gründung seines eigenen Ensembles „Steve Reich and Musicians“. Es entstehen Werke, die Ende der 70er, Anfang der 80er geradezu kultisch verehrt werden, wie „Music for 18 Musicians“, „Music for a Large Ensemble“, „Violin Phase“ und „Tehillim“, die das ECM-Label zu Reichs Geburtstag als 3-CD-Box neu herausbringt. Das Pulsen, die reinen Harmonien, Stimmen, die wie Instrumente geführt werden, und ein langes, immer klangmächtiger werdendes Kreisen – das macht Reich zum Protagonisten der Minimal Music, ebenso wie Philip Glass, mit dem er zeitweise zusammen studiert.

Doch Reich, der mit seiner zweiten Frau auch seine jüdischen Wurzeln wiederentdeckt, hat seine ganz eigene Stimme, die aus den repetitiven Takten aufsteigt. Eine aufleuchtende Hymnik bar jeder Süßlichkeit, die den Zuhörer teilhaben lässt am endlosen Strom einer letztlich immer positiven Energie. Selbst wenn er sich der menschlichen Hybris widmet wie in seiner Videooper „Three Tales“, die von der Explosion des Zeppelins Hindenburg, den Atomversuchen auf dem Bikini-Atoll und dem Klon-Schaf Dolly handelt. Das Jubiläumsalbum „Duett“ (erschienen bei Sony) aus Leipzig, wo Reich als Composer in Residence wirkte, teilt davon mit vollen Händen aus, vor allem mit den Ersteinspielungen seiner Variationszyklen „You are“ und „Daniel“ für Orchester und Chor. „Ich hoffe wirklich, dass Gabriel, wenn alles vorüber ist, meine Musik gefällt“, ist das „Daniel“-Finale überschrieben. Wenn Engel nicht aus Erz sind, hat Steve Reich nichts zu fürchten.

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