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Stéphane Hessel, geboren 1917 in Berlin, starb 2013 in Paris.

© AFP / Boris Horvat

Stéphane Hessel zum 100. Geburtstag: Heiterer Rebell

Mit „Empört euch!“ erreichte er weltweite Bekanntheit. Heute wäre der Widerstandskämpfer und Holocaust-Überlebende Stéphane Hessel 100 Jahre alt geworden.

Einen „Tanz mit dem Jahrhundert“ hatte er seine gleichnamige Autobiografie genannt und ist spät, im neunten Lebensjahrzehnt, noch zu einer das 20. und 21. Jahrhundert verbindenden Figur geworden. Stéphane Hessel war der Sohn des flanierenden Berlin-Erzählers Franz Hessel und dessen eleganter Ehefrau und Modejournalistin Helen Grund – deren Ménage à trois mit einem französischen Schriftstellerfreund die Vorlage bildete zu François Truffauts wunderbarem Film „Jules und Jim“. Zunächst weniger bekannt war die Mitwirkung des als gebürtiger Berliner zum französischen Diplomaten gewordenen Hessel bei der Formulierung der UN-Menschenrechtscharta von 1948.

Eine Charta ist eine Charta. Aber der Zustand der Erde, nach allen Kriegen, Finanzkrisen, Klimawandel, ungelösten Konflikten, neuen Migrationen und dem Hunger in einer satten Welt, das hat ihn nie ruhen lassen. Mit dem Zorn des weisen alten Mannes schrieb er zu Beginn dieses Jahrzehnts in einem ihm befreundeten französischen Kleinverlag 14 Seiten mit der Titelbotschaft „Indignez-vous!“. Empört euch! Diese Broschüre wurde unverhofft ein Bestseller, in vielen Sprachen rund um den Globus. Plötzlich war der Weltbürger, der mit seiner Frau Christiane im 14. Pariser Bezirk in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung lebte, zum Weltstar geworden.

Kämpfer der französischen Résistance

Dass Stéphane Hessel als Emigrant, als Kämpfer der französischen Résistance und Überlebender des Lagers Buchenwald im Titel seines Buchs die Metapher „Tanz“ gewählt hat, zeigt ein Moment des Spielerischen: der Comédie humaine, die nach Menschenmöglichkeit auch über die Tragödie triumphiert. Sein späterer Biograf Manfred Flügge nannte ihn zu Recht „Ein glücklicher Rebell“.

Den Sinn für das Tragische in der Welt hat er sich trotz aller menschenfreundlichen Heiterkeit bewahrt. Vom inzwischen zum Gemeinplatz gewordenen Wutbürger steckte in ihm allerdings nicht der selbstsüchtige Bourgeois, vielmehr der gegenüber Minderheiten und Migranten großzügige, selbstreflexive Citoyen. Die Stadtverordneten von Weimar, im Schatten von Buchenwald, haben ihm übrigens noch 2012, zum 95. Geburtstag, die Ehrenbürgerschaft verwehrt.

Neue Erfahrung nach dem Tod

Durch solche Erfahrungen ging er bis zuletzt tatsächlich wie ein Tänzer, so elastisch weich, so zart und zugleich kräftig wie auch sein Händedruck und seine Stimme waren. 2013 ist Stéphane Hessel in Paris gestorben, heute wäre 100 Jahre alt geworden. Ein junger Alter.

Bei allen Begegnungen war immer seine Freude zu sehen, wenn er mit Begeisterung von ganz jungen Menschen aufgenommen wurde, die an seinen Lippen, an seinen Erinnerungen, an seinen Zweifeln und Hoffnungen für die Zukunft hingen. Oder auch von seinem Vortrag von Gedichten hingerissen waren, die er auf Französisch, Deutsch, Englisch immer auswendig und stehend, manchmal leicht tänzelnd oder wie träumerisch versunken vortrug. Darin ein großer Entertainer. Und auf seinen Tod, das sagte er bei einer Begegnung in Paris leicht lächelnd, würde er sich freuen, weil er doch, und wer weiß, was danach kommt, „eine ganz neue Erfahrung“ bedeute.

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