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Der „Heilige Sebastian“ von Agnolo Bronzino entstand 1528/29 und ist eine Leihgabe aus dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid.

© Museo Thyssen-Bornemisza

Städel Museum Frankfurt/Main: Die jungen Wilden von Florenz

Spannende Einblicke in die toskanische Kunstszene des 16. Jahrhunderts gewährt die „Maniera“-Ausstellung im Frankfurter Städel Museum.

Der Begriff „Manierismus“ verdankt die Beliebtheit, die er lange Zeit besaß, seiner Unschärfe. Seit der Wiener Kunsthistoriker Max Dvorák ihn 1920 in einem Vortrag auf die eigene, so furchtbar zerrissene Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ausgedehnt hatte, ließen sich alle gehäuft auftretenden Regelverstöße, wie sie in der Geschichte der Kunst immer wieder zu verzeichnen sind, als „Manierismus“ etikettieren und damit scheinbar in einen größeren Zusammenhang stellen.

Tatsächlich stammt der Begriff von dem Maler, Architekten, Kunstorganisator und ersten Kunsthistoriker überhaupt, Giorgio Vasari. Er hatte ihn auf seine eigene Zeit der Mitte des 16. Jahrhunderts bezogen, als mit dem Tod Michelangelos 1564 die Hochrenaissance endgültig zu Ende ging und die maniera, die „Handschrift“ des Meisters als nie mehr zu übertreffender Maßstab feststand. Diese „Manier“ galt Vasari als maniera moderna schlechthin, die der Kunst seiner Zeit und ihres Zentrums Florenz.

Die Etablierung einer eigenständigen künstlerischen Epoche zwischen Renaissance und Barock ist mittlerweile eher umstritten, während der Blick auf einzelne künstlerische Zentren schärfer wurde. Von dieser Nahsicht ist die Ausstellung „Maniera. Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici“ im Frankfurter Städel Museum gekennzeichnet. Indem sie sich auf das Florenz des Cinquecento zwischen Republik und Medici- Herzogtum konzentriert, kommt sie den niemals nur künstlerischen Strategien der Protagonisten so nah wie möglich.

Kunst wird bewusst von den Mächtigen instrumentalisiert

Der politische Subtext ist jederzeit lesbar: Diese Epoche benutzte wie kaum eine zuvor die Kunst als Mittel der Behauptung herrschaftlicher Ansprüche. Man betrachte nur das Bildnis des Herzogs Alessandro de’ Medici, das Vasari um 1534 schuf und sogar – ein Novum – mit einer eigenhändigen Lobrede versah. Denn dieser Alessandro, der zwei Jahre später einem familiären Meuchelmord zum Opfer fiel, war ein Usurpator, kein geborener Herzog. Er herrschte als gewählter „Herzog der Republik“, der sich in seiner kurzen Regentschaft der republikanischen Opposition nur mit Gewalt erwehren konnte. Erst sein Nachfolger Cosimo I. erreichte 1537 die kaiserliche Bestätigung seines Ranges.

Viel davon ist in Vasaris Porträt zu deuten. Wie sehr die Fabrikation opulenter Bildnisse der Herrschaftsstabilisierung dienten, hat im vergangenen Jahr die Pariser Ausstellung „Porträts am Hofe der Medici“ anschaulich gemacht (vergl. Tagesspiegel vom 30.12.2015). Auf sie wie auf die weiter zurückliegenden Ausstellungen des Palazzo Strozzi in Florenz, zunächst zu Agnolo Bronzino (1503–1572) und dann zu den gleichaltrigen Rivalen Jacopo Pontormo (1494–1557) und Rosso Fiorentino (1494–1540) stützt sich das Städel und führt sie zugleich zur Synthese. Mit 50 Gemälden, 80 Grafiken und einigen Skulpturen von insgesamt 50 Leihgebern aus aller Welt bezeugt sie das Potenzial des Frankfurter Museums.

Konzipiert hat die Ausstellung Bastian Eclercy, der sie in kluger Verschränkung von Chronologie und Themen vom Vorbild Raffael mit einer idealtypischen Madonna von 1508 bis zum Schlusspunkt des sagenhafterweise ausgeliehenen handschriftlichen Tagebuchs Pontormos von 1554/56 sowie der für Jahrhunderte prägenden Künstlerviten Vasaris von 1568 führt. Gleich neben der Raffael-Madonna, die hier blass und förmlich wirkt, zeigt Rosso Fiorentinos „Madonna mit Kind und Johannesknaben“ in aller drängenden Körperlichkeit, was Manierismus sein kann.

Zu entdecken gibt es die große Kunst des Georgio Vasari

Die „jungen Wilden von Florenz“, wie der ausgezeichnete Katalog sie nennt, drängen über Maß und Mäßigung hinaus, sie verdrehen die Körper, ziehen die Extremitäten in die Länge, lassen Licht aufleuchten und flackern, ohne dass eine gleichmäßige Sonne schiene. Doch das Urteil späterer Verächter wie des Theoretikers Bellori von 1672, die Künstler hätten das „Studium der Natur“ aufgegeben und die Kunst durch eine „fantastische Idee“ verdorben, lässt sich allenfalls auf einzelne Künstler, ja lediglich einzelne Werke beziehen.

Im Gegensatz dazu steht der in herrscherliche Kälte gesteigerte Detailrealismus der Bildnisse Bronzinos, des Hofmalers Herzogs Cosimo I., der aus der Toskana einen Musterstaat zentralisierter Verwaltung macht, mit zeittypischer Härte.

Vasari kam an Bronzino nicht vorbei, erst 1554 stieg er in den ersehnten Rang des bezahlten Hofmalers auf. Zugleich verpflichtete ihn Cosimo zu rastloser Arbeit als Kunstorganisator. Ihn als Maler in sein Recht zu setzen, ist ein Anliegen der Ausstellung. Allein schon, wer den geistvollen Freskenzyklus im Stadthaus Vasaris kennt, kann an dessen genuiner Qualität nicht zweifeln; noch weniger, wer in Frankfurt die großartige „Toilette der Venus“ von 1558 sieht. Vasaris Problem ist vielmehr die unablässige Ausrichtung seiner Kunst an den Bedürfnissen der Auftraggeber. Seine „Sechs toskanischen Dichter“ – eine der zahlreichen nur selten zu sehenden Leihgaben – sind solch ein Programmbild; dass aber der zentrale Profilkopf Dantes auf eine verlorene Vorlage Bronzinos zurückgeht, macht deutlich, wie sehr auch diese Frankfurter Ausstellung, wie jede Beschäftigung mit der Epoche Stückwerk bleiben muss, weil Querverbindungen, Ursprünge, Verweise wohl erklärt, aber nicht vorgeführt werden können.

Rosso Fiorentinos „Madonna mit Kind und dem Johannesknaben“ (um 1515)
Rosso Fiorentinos „Madonna mit Kind und dem Johannesknaben“ (um 1515)

© Städel Museum/ARTOTHEK

Das tut der Schaulust in einem Kapitel wie den Porträts hochstehender Damen keinen Abbruch. Hier entfaltet des Städels eigene „Dame in Rot“ von Bronzino ihren ganzen Zauber; ihr gleich tun es die Herrscherportraits in einem der achteckigen Tribuna in den Uffizien nachempfundenen, hier in Blau ausgeschlagenen Raum.

Ja, auch den Raum haben die manieristischen Strebungen verändert: Dafür steht die Überraschung der Ausstellung, ein Modell des berühmten Treppenhauses der Biblioteca Laurenziana, der Medici-Hausbibliothek in Florenz, die Michelangelo ab 1524 entworfen hat, im Maßstab 1:3. Wie hier der Raum optisch zusammengedrückt und zugleich geweitet wird, wie ein Vexierspiel aus lehrbuchmäßig korrekten Elementen und deren Verneinung getrieben wird, das unterstreicht den Manierismus als intellektuelles Spiel einer gebildeten Oberschicht.

Deren Angehörige konnten ein Bild wie das des Francesco Salviati eines bis heute nicht identifizierten jungen Mannes von 1548 „lesen“, konnten es als Allegorie erkennen, als Verbildlichung bestimmter Begriffe und Sinnzusammenhänge. Und sie konnten sich an dem auffälligen weißen Faden ergötzen, der aus dem Hemdsärmel herabhängt, nicht als Etikettefehler, sondern im Gegenteil als Ausweis der sprezzatura, der gekonnten Lässigkeit des Jünglings.

Gekonnt lässig zu sein und mit den Regeln zu spielen, nebenbei auch den Konventionen religiöser Kunst, das ist die eine Seite des Florentiner Manierismus. Die andere ist die glasharte Umsetzung ideologischer Vorgaben. Dies hier ist Kunst im Dienste von Macht und Geld, keine Frage; aber zugleich deren subversive Kritik. Florenz ist auch im kriegsgesättigten 16. Jahrhundert ein eigener Kosmos, der nichts als Staunen macht.

Frankfurt/Main, Städel Museum, Schaumainkai 63, bis 5. Juni. Katalog bei Prestel, 39,90 €. www.staedelmuseum.de

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