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Sonny Rollins: "Ich war der Godfather"

Der Jazz-Saxofonist Sonny Rollins über Obama und die Kraft der Musik. Am Montag spielt er in Berlin.

Mister Rollins, vor genau fünfzig Jahren erschien Ihr Album „Freedom Suite“. Sie waren der erste Jazzmusiker, der sich noch vor Beginn der Bügerrechtsbewegung politisch äußerte.



Für mich ist die „Freedom Suite“ die erste Bürgerrechts-Aufnahme. Später nahm Charles Mingus „Fables Of Faubus“ auf, aber ich war der Erste. Noch vor dem politischen Erwachen in den Sechzigern. Ich war der Godfather, sozusagen.

Was war der Anlass?

Ich hatte ein Konzert in der Carnegie Hall gegeben, das war die höchste künstlerische Weihe in Amerika, und wurde von der Presse gefeiert. Anschließend versuchte ich, eine Wohnung zu mieten. Ich bekam sie nicht, wegen meiner Hautfarbe. Das brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück.

Politische Äußerungen von Künstlern waren nicht erwünscht, schon gar nicht von schwarzen Jazzmusikern. Ihre Plattenfirma Riverside weigerte sich, auf dem Album Ihre Liner Notes zu drucken.

Damals hatte ich keine Kontrolle über meine Musik. Deshalb habe ich mich dann sehr schnell unabhängig gemacht und meine eigene Plattenfirma gegründet.

Trotzdem haben Sie sich damals für zwei Jahre zurückgezogen. Zwischen 1959 und 1961 traten Sie nicht auf, übten aber jeden Tag auf der Williamsburg Bridge. Ihr Schlagzeuger Max Roach schrieb daraufhin die „We Insist! Freedom Now Suite“.

Ja, das war eine sehr schwierige, harte Zeit. Ich bin froh, dass ich überlebt habe.

1963 rasierten Sie sich einen Irokesenschnitt, um ein Zeichen für die amerikanischen Ureinwohner zu setzten. Glauben Sie, dass Musik die Kraft hat, eine Gesellschaft zu verändern?

Ich habe keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Aber nachdem, was ich bis jetzt erlebt habe, würde ich sagen, dass die Musik diese Kraft nicht besitzt. Denken Sie an all die wunderschöne Jazzmusik, die über die Jahre entstanden ist. Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, John Coltrane – ihre Musik hat die Gesellschaft nicht verändert. Die Musik hat vielleicht die Ansichten einiger weniger verändert. Aber selbst da bin ich mir nicht sicher.

1998 schrieben sie das Album „Gobal Warming“ als Kritik an den Folgen der Erderwärmung. Das Kyoto-Protokoll wurde von den USA bis heute nicht unterzeichnet.

Es war mir wichtig, mich dazu zu äußern. Ich habe die Freiheit, das zu tun und nutze sie. Das Album zeigte immerhin, dass es auch ein anderes, bewusstes Amerika gibt. Das ist der Punkt.

Als Sie jung waren, haben Sie den Rassismus mit eigener Haut erlebt. Ist es möglich, über diese Verletzungen hinwegzukommen?

Ja, das ist das Ideal. Ich möchte nicht von Hass zermürbt werden. Jeder wird doch irgendwann mal schlecht behandelt. So ist das Leben. Als ich jünger war, habe ich das natürlich anders gesehen. Ich fühle immer noch diese Wut, sie wird immer ein Teil von meinem Leben sein, aber ich gehe anders mit ihr um. Ich habe immer noch die gleichen Gedanken wie als 25-Jähriger, ich habe immer noch die gleichen Gefühle, wenn ich an die „Freedom Suite“ denke, aber jetzt verstehe ich die Welt etwas besser. Ich bin jetzt 78, es ist ein großes Geschenk, dieses Alter erreicht zu haben. Von meinen Wegbegleitern sind nicht mehr viele da. Aber ich möchte noch immer Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Das ist Jazz. Daran glaube ich und so bin ich.

Mister Rollins, vor den Präsidentschaftswahlen sagten Sie, Amerika sei noch nicht reif für einen „Vertreter einer Minderheit“. Fühlen Sie sich widerlegt?

Natürlich. Ich hatte wirklich nicht an diesen Wahlausgang geglaubt. Nun bin ich glücklich, denke aber trotzdem nicht, dass Obama viel verändern kann. Doch die Stimmung im Land hat sich verändert. Vielleicht wird es jetzt etwas mehr Respekt gegenüber Minderheiten geben.

Weil Sie zu oft enttäuscht wurden?

Natürlich gab es Verletzungen und Demütigungen. Die Narben bleiben. Aber beim Umgang damit hilft mir der Buddhismus und die Erkenntnis, dass die Welt aus Ying und Yang besteht, aus gegensätzlichen Kräften. Es wird nie alles nur „gut“ sein, so ist die Welt nicht.

Warum arbeiten Sie so selten mit Pianisten?

In New Orleans wurde der erste Jazz bei Picknicks gespielt oder bei Nachmittags-Tanztees. Es wurde draußen gespielt, ohne Klavier. Ich komme aus dieser Tradition. Aber vor allem fühle ich mich so freier. Das Klavier ist in der Musik sehr dominant und ich bin ein Free Spirit, ein freier Geist. Ich hatte das Glück, mit einigen der großartigsten Pianisten zu spielen, mit Bud Powell, Thelonious Monk und Hampton Hawes. Doch mein eigener Stil ist der klavierlose Jazz.

Sie leben seit 1972 in Germantown, New York State, etwa zweieinhalb Autostunden von New York City entfernt. Sind Sie immer noch täglich in Ihrem hauseigenen Studio?

Ja, ich übe täglich drei Stunden Saxofon. Aber ich höre schon seit vielen Jahren keine Musik mehr. Ich habe so viel Musik in meinem Kopf. Leider verschwende ich seit dem Tod meiner Frau viel Zeit mit Fernsehen. Es ist komplette Zeitverschwendung, mein einziges Laster.

Das Gespräch führte Maxi Sickert.

Sonny Rollins, 78, gilt als der größte lebende Jazz-Saxofonist. Am heutigen Montag spielt Rollins, der eigentlich Theodore Walter heißt, um 20 Uhr in der Berliner Philharmonie.

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