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Urlaub in Kreta. Damals noch mit Walkman - und den labyrinthischen Klangverästelungen der Progrocker Van der Graaf Generator auf den Kopfhörern.

© pla soe/dpa

Sommerhits (8): Meeresrauschen gegen Gebrüll

Ob alte Schlager im Autoradio oder scharfe Rhythmen am Strand: Sommerhits gehören zum Urlaub wie die Sonnenbrille. In den Ferien erzählen wir von der besten Musik für die heiße Jahreszeit.

Von Jörg Wunder

Der Plan klang super: Mit einem Freund von Südniedersachsen „für lau“ nach Griechenland trampen, dort eine ehemalige Klassenkameradin, die mit ihrem Vater auf Kreta „ausgestiegen“ war, besuchen und erholsame Sommerferien unter mediterraner Sonne genießen. Nun war trampen früher, wir schreiben das Jahr 1983, zwar selbstverständlicher als heute, aber trotzdem eine unberechenbare Angelegenheit. Nach unfreiwilligen Übernachtungsstopps in Holledau (Autobahnraststätte) und Graz war vor Zagreb die Anhaltergeduld erschöpft. Die restlichen gut 1500 Kilometer wurden im überfüllten Fernzug, auf einer schwankenden Fähre und auf Kreta wieder per Autostop zurückgelegt. Dauer der Hinreise: fünf Tage. Kosten: höher, als wenn wir gleich geflogen wären.

Dass die Stimmung angesichts des widrigen Reiseverlaufs nicht kippte, hatte auch damit zu tun, dass ich seit Kurzem stolzer Besitzer eines Walkmans war, mit dem ich mich zumindest akustisch aus der anstrengenden Realität wegbeamen konnte. Ein Walkman, das war ein kompaktes, tragbares Kassettenabspielgerät mit Kopfhörern. Die Nutzung dieses für damalige Verhältnisse revolutionären Gadgets erforderte im Gegensatz zu heute, wo einem auch unterwegs via Streamingdienst ein grenzenloses Musikrepertoire zur Verfügung steht, dass man vor Antritt einer Reise eine Auswahl der mitzunehmenden Tonträger treffen musste. Ich hatte seinerzeit drei C-90 Chromdioxid-Kassetten mit Musik aus den Beständen meiner noch bescheidenen Plattensammlung aufgenommen. Auf einer waren zwei Alben der britischen Progressive-Rock-Band Van der Graaf Generator aus den frühen 70er Jahren.

Nie wieder hat mich Musik so berührt

Das hatte mich zu der Annahme verleitet, diese ausschließlich aus hyperkomplexen, hochdramatischen und im Schnitt viertelstündigen Songungeheuern bestehenden Platten könnten ein passender Urlaubssoundtrack werden. Ich kannte Van der Graaf Generator nicht wirklich, Progrock war aber irgendwie mein Ding. Und die Cover sahen spannend aus. Was soll ich sagen: Meine Ahnung hat mich nicht getrogen. Es brauchte ein wenig, bis ich mich in den labyrinthischen Klangverästelungen von Stücken wie „Man-Erg“ oder dem 23-minütigen „A Plague Of Lighthouse Keepers“, beide vom tollen 1971er Album „Pawn Hearts“, zu Hause fühlte. Doch irgendwann kam ich nicht mehr los von dem Zeug.

Der Walkman hat mächtig gelitten in den folgenden vier Wochen, sternenklare Nächte und sonnendurchflutete Tage am kretischen Strand haben Spuren hinterlassen. Wenn ich heute auf Reisen bin, erfreuen mich die Annehmlichkeiten meines acht Jahre alten iPods, auf dem ich eine exquisite Auswahl von tausenden handverlesenen Perlen der Musikgeschichte durch die Welt tragen kann. Aber nie wieder hat mich Musik unterwegs so tief berührt wie damals, als ich mit surrealen Progrock-Gewittern im Ohr einen gewaltigen, im Wasser ruhenden Felsen an der Südküste von Kreta erklomm und durch das majestätische Gebrüll von Van-der-Graaf-Sänger Peter Hammill noch das Rauschen des Meeres tief unter mir hören konnte.

Zurück sind wir übrigens von Athen aus mit dem Bus gefahren. Hat läppische zweieinhalb Tage gedauert. Aber das ist eine andere Geschichte.

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