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Das gab's noch nie. Ein schizophrener Jedermann (Tobias Moretti) tobt in der Psychatrie.

© Leonhard Foeger/Reuters

Salzburger Festspiele 2017: Premiere "Jedermann": Potzblitz am Domplatz

Tobias Moretti ist der neue Salzburger „Jedermann“. Die Inszenierung von Michael Sturminger löst gespaltene Reaktionen aus.

Die Götter scheint etwas gestört zu haben. Zumindest schleuderten sie zur Premiere des „Jedermann“ am Freitagabend mächtig zuckende Blitze. Dank moderner Wetterprognostik war das Ungemach jedoch abzusehen und der österreichische Schauspieler Tobias Moretti konnte sein Debüt in der prestigereichen Theaterrolle im Großen Haus der Salzburger Festspiele geben, statt jämmerlich auf dem Domplatz einzuregnen.
Sicher eine Enttäuschung für den 1959 in Gries am Brenner geborenen Schauspieler, denn der Tiroler liebt vollen körperlichen Einsatz. Nicht nur in Kino- und Fernsehfilmen, sondern auch im wirklichen Leben. Moretti ist einerseits Schauspieler, andererseits Biobauer, Autorennfahrer und war zeitweilig Präsident des Sportrodelverbands. An diesem Sonntag endet eine ihm gewidmete Werkschau auf 3sat, wo auch der Alpenwestern „Das finstere Tal“ lief, mit dem Moretti auf der Berlinale 2014 gefeiert wurde.
Mit Hugo von Hofmannsthals verzopftem Mysterienspiel, das 1911 im Berliner Zirkus Schumann von Max Reinhardt uraufgeführt wurde, ist Moretti bereits vertraut, auch wenn der wählerische Darsteller die Übernahme der Hauptrolle zweimal abgelehnt hatte. Unter Jürgen Flimm spielte er am Burgtheater die Nebenrollen des Guten Gesellen und des Teufels. In Salzburg beerbt er nun Cornelius Obonya und Nicholas Ofczarek.

Radikal aufklärerisch oder ein geschleiftes Nationalheiligtum?

Michael Sturmingers Neuinterpretation, die bereits im Vorfeld durch einen kurzfristigen Regiewechsel Aufsehen erregte, erntet in Österreich gespaltene Reaktionen. Die einen sprechen von einer Heimsuchung des christlich grundierten Traditionsstücks durch das moderne Regietheater, ja sogar von der Schleifung eines Nationalheiligtums. Die anderen preisen die wenig werktreue und säkulare Charakterzeichnung des sonst meist von einer sexy Buhlschaft (Stefanie Reinsperger) umflatterten und am Ende zuverlässig christlich erleuchteten Kraftkerls als radikal aufklärerisch.
Alle Darsteller – darunter Edith Clever als Jedermanns Mutter, Hanno Koffler als Guter Gesell und Peter Lohmeyer als Tod, der den eitlen Jedermann holen will – tragen Alltagskleider. Und Morettis leiser, von existenzieller Skepsis gepeinigter Reicher ist offenbar ein zerrütteter Schizophrener, der auf der Intensivstation landet. Am Ende drückt er dem Tod einen sehnsüchtigen Kuss auf den Mund. Wen wundert’s, dass da die Götter zürnten. Die Salzburger Festspiele laufen bis zum 30. August. (mit dpa)

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