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Ryan Adams: 16 Alben in 17 Jahren.

© dpa

Ryan Adams im Tempodrom: Der letzte Zug aus Woodstock

Im Tempodrom bringt Ryan Adams seine Fans zur Ekstase. Der Sänger ist im besten Dad-Rock-Alter - was überhaupt nicht schlimm ist.

Eines wird klar, lange bevor Ryan Adams die Bühne betritt: Das Tempodrom ist an diesem Sonntag die Dad Rock’n’Roll Hall of Fame. Eine Gruppe Vollbärtiger – zu alt, um Hipster zu sein, zu jung für den Weihnachtsmann – macht ein Gruppenfoto, im Foyer kauft sich ein Mann mit wenig Bart und noch weniger Haaren eines von Adams’ knallgelben Bandshirts mit dem Comic-Katzenkopf und zieht es unter seine schwarze Lederjacke. Die gefühlte Mehrheit der Fans, die sich vor dem Eingang zu „Mr. Tambourine Man“ Biere und Rostbratwürste kaufen, sind Männer zwischen 45 und 60 Jahren. Dad Rocker eben.

Das ist, um es gleich vorweg zu sagen, überhaupt nicht schlimm. Väter haben im Rock durchaus was verloren. Man war nur an diesem Abend nicht auf sie vorbereitet. Bei einem Konzert von Mark Knopfler oder Sting, klar, da rechnet man damit. Aber bei Ryan Adams?

Der war doch dieser junge Sänger aus North Carolina, der mit 25, nachdem er schon drei Alben mit seiner Alt-Country- Band Whiskeytown veröffentlicht hatte, sein Solo-Debut „Heartbreaker“ veröffentlichte. Ein Alternative-Feuerwerk, auf dem sich schon der erste Song „To Be Young (Is to Be Sad, Is to Be High)“ an die eigene, gefühlte Unvergänglichkeit richtete. Das war doch der, der dann trotz massiver Drogenprobleme ein Album nach dem anderen in die Welt schmiss, jedes einzelne voller Songs, in denen er von der Liebe erzählte, von Traurigkeit und Exzess, auf eine Weise, wie das nur denen gelingt, die sich an all das noch nicht ganz gewöhnt haben. To be young is to be sad, is to be high.

Was hat der bitte mit graumelierter Rocknostalgie zu tun?

Der Ryan Adams, der am Sonntagabend im Tempodrom die Bühne betritt, ist 17 Jahre älter als der, an den man sich erinnert. Er hat die Drogen überlebt und zwei Gedichtbände geschrieben. Hat wegen einer chronischen Innenohrerkrankung mit dem Live-Spielen aufgehört und wieder angefangen. Hat Sängerin Mandy Moore geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Hat in siebzehn Jahren sechzehn Alben veröffentlicht. Der Ryan Adams, der um kurz nach neun mit seiner vierköpfigen Band im Tempodrom zu spielen beginnt, ist 42 Jahre alt. Bestes Dad-Rock-Alter also.

Satirisch große Verstärker

Er fängt dann auch gleich mit einem Brett an. Reißt die schweren Riffs von „Gimme Something Good“ aus den satirisch großen Verstärkern, die eine Pyramide aus Röhrenbildschirmen am hinteren Bühnenrand flankieren. Das Publikum im Tempodrom lässt sich gern mitzerren. Beim Auftritt der Vorband Paradisia – bisschen Harmonising, bisschen Keyboard und Harfe – wurde es nur kurz einmal laut, als die drei Frauen Bruce Springsteens „Dancing in the Dark“ coverten. Und da war nicht klar, ob aus Begeisterung oder Empörung. Jetzt, wo Ryan Adams in Jeans und Heavy-Metal-Shirt auf der Bühne steht, erreicht die Halle einen Zustand, den man – angesichts der Tatsache, dass die Hälfte sitzt – fast Ekstase nennen könnte.

„Great to be here“, ruft Adams, und das Publikum sieht das genauso. Fast ohne Pause spielt er sich quer durch sein Opus, Songs vom neuen Album „Prisoner“ und ältere Lieder. „Dancing where the Stars go Blue“, der Song, der vor allem dadurch berühmt wurde, dass er von Bono und den Corrs gecovert wurde, ist genauso dabei wie „New York, New York“. Das Video dazu drehte Adams vor der Skyline von Manhattan, wenige Tage vor dem 11. September 2001.

Der Höhepunkt kommt, als sich Sänger und Band zwischen „Magnolia Mountain“ und „Cold Roses“ in einem fast zehnminütigen Solo verlieren. Hier wird klar, dass Adams absolut kein gealterter Alternative-Jüngling aus den frühen Nullerjahren ist. Schon damals klang seine Musik schließlich manchmal, als hätte er in Woodstock den letzten Zug verpasst. Und während sich Jazz-Orgel und E-Gitarre im gemeinsamen Solo bis unter die Spitze des Tempodroms hochschrauben, wartet man fast darauf, dass plötzlich Neil Young und Jerry Garcia hinter Adams auftauchen wie Yoda und Obi-Wan Kenobi neben Luke Skywalker in der letzten Szene von „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“. Adams’ Improvisationslust und die Absolutheit, mit der er sich in seine Musik fallen lässt, steht in direkter Nachfolge zu den Größen der späten 60er – und ist deshalb, im besten Sinne des Wortes, natürlich: Dad Rock.

Nach 24 Songs, zwei Stunden und einer Zugabe mit Mundharmonika ist Schluss. Kurz überlegt man, ob man sich ein gelbes Katzenshirt kaufen soll. Und lässt es. Man hat keine Lederjacke. Und keine Kinder.

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