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Lebt in New York. Salman Rushdie, 65, versteckt sich nicht mehr. Aber immer noch ist Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Foto: Reuters

© REUTERS

Rushdie-Buch "Joseph Anton": Das Schöne am Biest

Leben, bevor ich sterbe: Salman Rushdie erzählt in seiner Autobiografie „Joseph Anton“ von den Jahren der Fatwa.

Es war vier Wochen nach der Fatwa-Verkündung durch Ayatollah Khomeni am 14. Februar 1989, als Salman Rushdie nach dem ersten Schock endgültig klar wurde, dass sich alles für ihn ändern würde, wollte er überleben: „Er würde ein unsichtbarer Mann mit einer gesichtslosen Maske sein“. Dazu gehörte nicht nur der ständige Wechsel seiner Wohnorte und der aus zwei Leibwächtern und zwei Fahrern bestehende Polizeischutz rund um die Uhr, sondern auch der Verzicht auf seinen Namen. Ein neuer musste her, und die Polizei riet ihm zu einem, der nicht auf seine indische Herkunft schließen ließ.

Nach längerem Überlegen entschloss sich Rushdie für „Joseph Anton“, zusammengesetzt aus den Vornamen zweier seiner literarischer Vorbilder, Joseph Conrad und Anton Tschechow, und „Joseph Anton“ hat er nun konsequenterweise auch seine Autobiografie genannt. Denn in ihrem Zentrum stehen die langen Jahre, in denen die Fatwa Bestand hatte, Khomenis Aufruf an „das stolze muslimische Volk“, Rushdie wegen seines Romans „Die satanischen Verse“ hinzurichten, egal wo auf der Welt er sich aufhält. Der Grund: Beleidigung des Propheten, des Islam, obwohl die imaginäre Erzählung über die islamische Frühgeschichte nur einen kleinen Teil des Romans ausmacht. Und „die Frage nach der Qualität, nach ernsthafter künstlerischer Absicht“, weiß Rushdie, die jedenfalls stellte sich schon bald gar nicht mehr.

Rushdie erzählt die Fatwa-Jahre in der dritten Person, weil er sich in dieser Zeit gewissermaßen in eine fiktive Figur verwandelt hatte, eben jenen Mr. Anton. Diese Erzählweise behält er durchgängig bei, auch als er seine Herkunft aus einer nichtgläubigen, an Religion aber sehr interessierten Bombayer Familie schildert, seine Entwicklung bis hin zu den „Satanischen Versen“ und die Zeit nach der zumindest offiziellen Aufhebung der Todesdrohung 1999 durch den damaligen iranischen Präsidenten Khatami. Der personale Wechsel ist die offensichtlichste Literarisierung, die Rushdie sich erlaubt. „Joseph Anton“ ist jedoch vor allem ein stringent erzählter, sehr detaillierter, oft analytischer Bericht der Ereignisse nach dem Fatwa-Aufruf, angefüllt mit der Entstehungsgeschichte vieler seiner Bücher und hübschen Anekdoten über absurde Sicherheitsmaßnahmen oder Begegnungen mit Politikern.

Als „Die satanischen Verse“ am 26. September 1988 in London erscheinen, hat Rushdie noch knapp ein halbes Jahr „normales Leben“ vor sich: „Danach zog man ihm rüde die Patina der Gewohnheit und Selbsttäuschung von seiner Welt ab, doch sichtbar wurde nicht ihre surreale Schönheit, sondern ihre viehische Monströsität. Seine Aufgabe sollte in den kommenden Jahren sein, das Schöne an ihr wiederzuentdecken, das Schöne am Biest.“ Tatsächlich besteht seine Aufgabe darin zu kämpfen: ums Überleben. Um seinen Beruf. Um die Freiheit der Kunst, des Wortes, des Lesens. Um die Aufhebung der Fatwa und die Veröffentlichung der „Satanischen Verse“ als Taschenbuch. Der Privatmann Rushdie verschwindet hinter dem Politikum „Rushdie“, „die Kluft zwischen dem, was ,Rushdie’ tun musste, und dem, wie ,Salman’ leben wollte“, wird immer größer.

Diese Kluft spürt man beim Lesen dieser sich schonungslos selbstbefragenden Autobiografie. Rushdie erzählt vom Leben in seinem sprichwörtlichen Gefängnis, von privaten Malheurs, den vier Ehen, von denen zwei während der FatwaJahre in die Brüche gehen, dem schwierigen, um ein Mindestmaß an Normalität bemühten Verhältnis zum älteren Sohn Zafar. Andererseits erzählt er, wie er aus dem Gefängnis auszubrechen versucht, an die „Publikationsfront“ und in die „harsche, brutale Welt der Politik“, da er sich für seine Sache mit britischen Politikern trifft, mit skandinavischen, mit Vaclav Havel oder Bill Clinton.

Das Bindeglied dieser zwei Welten sind die Freunde und Kollegen, die ihm unverbrüchlich zur Seite stehen und einen „eisernen, inneren Ring“ um ihn ziehen, allen voran sein Agent Andrew Wylie. Aber es gibt auch Kollegen, die ihm nicht zur Seite springen, John Berger etwa. Oder John Le Carré, der meint, „dass es keinem von uns gegeben ist, die großen Religionen ungestraft zu beleidigen“. Rushdie scheint nichts vergessen zu haben, kein Für, kein Wider. Seine Buch ist so auch eine Mischung aus milder Abrechnung und freundlicher Danksagung, etwa an Deutschland.

Als Irans wichtigster Handelspartner ist man in Bonn auf offizieller Politebene zurückhaltend; aber die „taz“ mit ihren „Briefen an Salman Rushdie“, die „kleine grimmige“ Bundestagsabgeordnete Thea Bock, die dafür sorgte, dass er in Deutschland „jeden traf“, oder der „großartige“ Günter Wallraff, der ihn in Köln beherbergte, bekommen ihre credits. Überhaupt liest sich „Joseph Anton“ zuweilen wie ein Who-is-Who der Weltliteratur mit der Achse London – New York. Rushdie begegnet Graham Greene, der ihm zuruft: „Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und erzählen Sie, wie Sie es geschafft haben soviel Ärger zu veranstalten! Ich habe es nie geschafft, so einen Wind zu machen.“ Oder er isst in New York mit Thomas Pynchon zu Abend und beschreibt den großen Unsichtbaren der US-Literatur: „groß, rotweiß kariertes Holzfällerhemd und Jeans, weiße Albert-EinsteinFrisur und Bugs-Bunny-Zähne“.

Doch immer wenn der Eindruck entsteht, Rushdie gerate zu sehr ins Plaudern, nicht zuletzt um seiner Eitelkeit Genüge zu tun, bekommt er die Kurve, ist er wieder bei den Auf und Abs seines unfreien Daseins. Seine schlimmste Krise hat er, als er sich in einem Sitzungsraum der Polizeistation Paddington Green mit britischen Muslimvertretern trifft und ein Dokument unterzeichnet, das sein Freund Christopher Hitchens als „Unterwerfungserklärung unter den Islam“ bezeichnen wird. Rushdie empfindet Scham und erkennt: „Wie sorgsam er sein Werk auch erklärte oder seine Absichten darlegte, sie würden ihn niemals mögen. Der vernunftlose, von zweifelsfreien Glaubensgewissheiten getriebene Verstand konnte nicht durch vernünftige Argumente überzeugt werden.“

Von nun an ist er bereit, im Kampf für die Meinungsfreiheit, der nicht allein sein eigener ist, für sein „blutiges Buch“, wie Rushdies Gegner nennen, sein Leben hinzugeben. Und ganz bewusst schließt er einen ersten Kreis, indem er auf den 11. September 2001 zu sprechen kommt, dem Tag, an dem auch sein Roman „Wut“ in den USA veröffentlicht wurde. Im Licht der Terroranschläge von 9/11 erweist sich Rushdies Schicksal als das weitgehend ohne das Internet abgelaufene Vorspiel für das, was noch kommen sollte.

Der Autor der „Satanischen Verse“, als der er lange Zeit nur firmierte, hat sich gegen die Fatwa zur Wehr gesetzt. Er hat überlebt. Einige Freunde und auch seine erste Ehefrau Clarissa sind mittlerweile gestorben, an Krebs. Es hat etwas Plakatives, bemüht Symbolhaftes, wie Rushdie nicht müde wird, die Erkrankungen und alltäglichen Schicksalsschläge in seinem Umfeld zu schildern. Er wirkt da wie Canettis Überlebender, der befriedigt die Toten um sich herum zählt.

Man sieht ihm das aber bei der Lektüre genauso nach wie die Schilderung seiner wieder freieren Jahre in jüngster Zeit. Er verlässt seine dritte Ehefrau und beginnt eine stürmische, aber zerstörerische Beziehung zu dem indischstämmigen Model Patma Vijayan; er sonnt sich im Licht von Filmstars wie Warren Beatty oder Meg Ryan, freundet sich mit Bono an oder hat im Hollywood-Film „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ einen Cameo-Auftritt. Doch selbst in diesen Passagen legt er sich Fußangeln an, weiß um das Illusionäre dieses Treibens, seines Nachholbedarfs an Leben und Freiheit, versteht es zu erklären, warum er „eine Art Partymonster“ geworden ist.

Die Ereignisse der jüngsten Zeit, die die weltweite Veröffentlichung von „Joseph Anton“ begleiten, geben ihm Recht: die Fatwa aus dem Iran gegen den in Deutschland lebenden iranischen Rapper Shahin Najafi, die Todesdrohungen aus Pakistan gegen den Regisseur des Trashvideos „Die Unschuld der Muslime“. Oder auch die Erhöhung des Kopfgelds auf ihn selbst um eine weitere halbe Million Dollar (auf jetzt 3,3 Millionen) durch die iranische „15 Chordad Foundation“. Wirklich sicher kann sich Salman Rushdie in diesem Leben nicht mehr sein. Das Credo, das ihm kurz nach der Fatwa-Verkündung der Held des Conrad-Roman „The Nigger of the ’Narzissus’“ lieferte, dürfte weiterhin gültig sein: „Aber ich muss leben, bevor ich sterbe, oder nicht?“

Salman Rushdie: Joseph Anton. Die Autobiografie. Aus dem Englischen übersetzt von Verena von Koskull und Bernhard Robben. Verlag C. Bertelsmann, München 2012. 720 Seiten 24, 99 €.

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