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April 1997. Mitglieder der IRA mit automatischen Waffen während einer republikanischen Osterparade im Norden Belfasts.

© dpa

Romandebüt von Paul McVeigh: Harte Schule

Der Ire Paul McVeigh legt mit „Guter Junge“ sein Romandebüt vor - ein Bildungsroman über das Aufwachsen während des IRA-Terrors in Irland, der einem fast das Herz zerreißt.

Die Fantasie ist eine Superkraft. Mit ihrer Hilfe kann man zum Beispiel Brachland „in einen Meeresboden voller Schätze“ verwandeln. Der 11-jährige Mickey hält sich die hässliche Wirklichkeit so gut es geht vom Leibe. Allerdings muss er demnächst auf „die härteste Schule Irlands“. Die Rüpel aus dem katholischen Belfaster Arbeiterbezirk Ardoyne werden ihm dort keinen Frieden lassen. Er prügelt nicht, er rotzt nicht, sondern hilft seiner Mutter und spielt mit der kleinen Schwester. Er ist ein „Muttersöhnchen“, eine „Schwuchtel“, wie die Mädchen finden, ein „Guter Junge“, wie dieser Roman des nordirischen Schriftstellers Paul McVeigh heißt.

Mickey darf kaum allein auf die Straße, so verfügt es seine Mutter – aber mit gutem Grund, wie er bald selbst herausfindet. Im Belfast der achtziger Jahre herrscht Bürgerkrieg. Ardoyne ist das Rückzugsgebiet der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), die raus aus dem Vereinigten Königreich will und gegen die britische Armee für den Anschluss Nordirlands an Irland kämpft. Täglich gibt es Razzien, Schießereien und Bombenexplosionen, das feindliche protestantische Lager befindet sich nur wenige Straßenzüge von Mickeys Zuhause entfernt. Zudem grassieren Armut und hohe Arbeitslosigkeit, gerade bei der Minderheit der Katholiken.

Atemlos-assoziatives Präsenz in Belfaster Mundart

Dieses Belfast betrachtet Paul McVeigh durch die Augen eines 11-Jährigen, der in diesem Sommer den Angriff der Wirklichkeit auf seine Fantasie-Welt erlebt. Sein Vater, ein Säufer, ist eine einzige Enttäuschung, die Mutter schafft es nicht, die Familie zusammenzuhalten. Und dann sind da noch die Jungs in seinem Alter, die schon für die Hilfstruppen der IRA rekrutiert sind. Mickey steht auf ziemlich verlorenem Posten. Aber er tritt die Flucht nach vorn an und erkundet die abgebrannte Eierfabrik mit den Klebstoff-Kindern sowie die verbotenen Hügel. Mickey erfährt das „Lose-Münder-kosten-Leben“-Regime der IRA und die Brutalität des Krieges. Und er wirft zum ersten Mal einen Blick über die Grenzen seines Bezirks hinaus.

Paul McVeigh ist selbst in Belfast geboren und hat sich als Verfasser von Bühnenstücken, Kurzgeschichten und Comedy-Serien sowie als Gründer des Londoner Short Story Festivals einen Namen gemacht. „Guter Junge“ ist sein Romandebüt, mit einer Geschichte, die in Form der ungefilterten Gedanken seines Helden Mickey förmlich auf die Seiten sprudelt: in direktem, atemlos-assoziativem Präsens und in Belfaster Mundart (die Nina Frey und Hans-Christian Oeser überzeugend ins Deutsche übertragen haben). Während Mickey seinen Weg geht und Klarheit in seine Gedanken bringt, geht ihm aber auch etwas verloren. Er erkämpft sich seinen Platz in der Welt – und verliert dafür seine Unschuld. Die Empathie, mit der Paul McVeigh diesen Bildungsroman erzählt, zerreißt einem das Herz.

Paul McVeigh: Guter Junge. Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Nina Frey. Wagenbach, Berlin 2016. 256 Seiten, 22 €.

Carolin Haentjes

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