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Die Schriftstellerin Theresia Enzensberger, 30.

©  Rosanna Graf/Hanser Verlag

Roman "Blaupause": Mitten im Jetzt

Theresia Enzensberger kratzt mit ihrem gelungenen Debütroman „Blaupause“ am Bauhaus-Mythos.

Es ist ein Streitgespräch, das Luise Schilling mit ihrer Freundin und Mitstudentin Maria führt. In regelmäßigen Abständen, in zunehmender Heftigkeit. Es ist ein Streit über den Gegensatz von Kunst und Pragmatismus, von Esoterik und Nützlichkeit. Oder genauer gesagt: Benutzbarkeit. Maria verachtet den elitären Dünkel, der jeden Entwurf zu einem einzigartigen Kunstwerk stilisiert.

Luise wendet sich gegen billige Massenproduktion. Fortschritt gegen Sektierertum. Massenkompatibilität versus übersteigerten Individualismus. Zwei Extreme, die aufeinanderprallen und die ihre ideologische Fortsetzung in der Politik finden. Die Gespräche zwischen Luise, der Ich-Erzählerin, und Maria führen immer wieder ins Zentrum von Theresia Enzensbergers aus vielerlei Gründen bemerkenswertem Debüt.

Theresia Enzensberger, Jahrgang 1986, ist die Tochter des großen deutschen Überintellektuellen Hans Magnus Enzensberger. Sie hat Film und Filmwissenschaft studiert, als Journalistin gearbeitet und 2014 das mehrfach mit Preisen bedachte „Block Magazin“ gegründet; ein Crowdfunding-Projekt, das erst ab einer bestimmten Zahl von Vorbestellungen überhaupt in Druck geht. Wie umtriebig Enzensberger im Berliner Kulturbetrieb offensichtlich ist, zeigt die verdächtig große Anzahl der Dankesadressen am Ende des Romans. Doch all das sind Nebengeräusche, die angesichts der großen literarischen Qualität von „Blaupause“ schnell verstummen dürften.

Luise wird von den Bauhaus-Meistern nicht ernst genommen

Der Roman setzt ein im Jahr 1921. Luise Schilling, Tochter aus großbürgerlichem Hause in Berlin-Charlottenburg, kommt an die zwei Jahre zuvor gegründete Bauhaus-Kunstschule nach Weimar, um, so ihre Vorstellung, bei Walter Gropius, dem Gründer und Leiter der Hochschule, Architektur zu studieren. Die Eltern haben sie nur mit Widerwillen gehen lassen. Die Mutter ist tief verhaftet in den klassischen Rollenvorstellungen; der Vater, der in seiner Fabrik gusseiserne Pfetten herstellt, erteilt seine Zustimmung nur, weil am Bauhaus auch praktisch und handwerklich in Werkstätten gearbeitet wird. An Geld mangelt es Luise, im Gegensatz zu vielen ihrer Kommilitonen, nicht; die Unterstützung von zu Hause fließt zunächst großzügig. Luise gerät nicht nur in eine Männerdomäne hinein, in der auch die Meister, wie die Leiter der Fachbereiche sich nennen, ihre Ambitionen nicht ernst nehmen. Vor allem sind es das ideologisch aufgeladene Spannungsfeld und die sich immer wieder verschiebenden Fronten von ästhetischen, politischen und individuellen Positionen, die dem Roman seine Verve und seine Spannung verleihen.

Die Sprache ist gradlinig, schnörkellos und elegant

Theresia Enzensbergers Erzählen hat nichts Auftrumpfendes, nichts Brillierendes. Ihre Sprache ist gradlinig, schnörkellos und auf dezente Weise elegant. Es muss ein ungeheurer Rechercheaufwand in diesem Text stecken, doch das merkt man ihm nicht an. Die Figuren werden nicht zu Platzhaltern von Weltanschauungen, sondern bleiben, obwohl sie von außen betrachtet bestimmten geistigen Strömungen zugeordnet werden können, ambivalent geformte Charaktere.

Das gilt im Übrigen auch für Luise selbst. Sie schließt sich, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich in den schönen und schwer einzuschätzenden Jakob verliebt, dem Kreis der sogenannten Itten-Jünger an. Der Schweizer Bergbauernsohn Johannes Itten war bekennender Anhänger des sogenannten Mazdaznan, einer – aus heutiger Perspektive – kruden Lehre, in der zarathustrische, christliche und hinduistische Elemente zusammenflossen. In der Nachkriegszeit wurde der Mazdaznan in seiner innigen Hinwendung zur Natur, seiner verschwörerischen Geheimbündelei und aufgrund seines latenten Rassismus und Antisemitismus in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt, obwohl die Nationalsozialisten den Bund bereits 1935 verboten. Der Nationalsozialismus wiederum, und das ist die interessante Perspektive des Romans, ist zum erzählten Zeitpunkt nur ein fernes Donnergrollen, das sich in den politisch aufgeheizten Konstellationen ankündigt.

Der Vater dreht den Geldhahn zu

Auf einem relativ schmalen Raum von 256 Seiten entfaltet Theresia Enzensberger ein Panorama der aufgeregten Weimarer Republik. Otto, Luises Bruder, entwickelt sich zum strammen Nationalisten; am Bauhaus streiten kampfbereite Kommunisten mit weltabgewandten, in Kutten gekleideten Esoterikern. Und mittendrin kämpft Luise um ihre Position, um ihre Wahrnehmung als Gleichberechtigte, um ihre Daseinsberechtigung als Geliebte.

Luise wird nicht als reines Opfer einer männerdominierten Welt dargestellt, sondern als Treibgut im Meer der Zeit; sie ist eifersüchtig und zögerlich zugleich; sie vernachlässigt ihr Studium und lässt sich stattdessen von den Strömungen der Epoche und ihren persönlichen Zuneigungen hin- und herspülen – bis ein Brief des Vaters dem Ganzen ein Ende setzt. Er dreht den Geldhahn zu, beordert sie nach Berlin zurück und schickt sie auf eine Haushaltsschule. Schnitt.

Drei Jahre später ist Luise zurück am Bauhaus, nicht in Weimar, wo die progressive Schule im rechtskonservativen politischen Kontext nicht mehr erwünscht war, sondern in Dessau. Das Spiel aber geht weiter, nur haben sich die Spielregeln verschärft.

Enzensberger zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt: Werbung und Propaganda, Engagement und Gleichgültigkeit, konkrete Agitation und künstlerisches Elfenbeinturmdasein. Zwischen alldem sucht Luise nach Freiheitsräumen – und trifft dabei wieder einmal auf einen Mann, dessen Indifferenz ein Problem ist, bis er seinen wahren Kern offenbart.

„Blaupause“ kratzt am Bauhaus-Mythos, aber nicht in denunziatorischer Absicht. Der Roman ist auf unaufdringliche Weise gelehrt und lehrreich, frei von Stereotypen und unterhaltsam. Es ist keine kleine Leistung, einen historischen Roman zu schreiben, der fiktionales und reales Personal zusammenbringt und zugleich Wege in die Gegenwart ebnet. Theresia Enzensberger ist dieses Kunststück gelungen.

Theresia Enzensberger: Blaupause. Roman. Hanser Verlag, München 2017. 256 Seiten, 22 €.

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