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Krieger aus Alufolie. Der japanische Bildhauer Toshihiko Mitsuya präsentiert sein Ensemble „Anonyme Verwandte“ im Ballsaal von Schloss Lieberose.

© Jan Brockhaus

Rohkunstbau-Ausstellung: Ritter von fröhlicher Gestalt

„Die Schönheit im Anderen“: Das Ausstellungsprojekt Rohkunstbau kehrt zurück in den Spreewald. Auf Schloss Lieberose geht es um das Thema der Fremde.

In den letzten Jahren schien Rohkunstbau, die Landpartie Berliner Kunst, fast so etwas wie eine Heimat gefunden zu haben: auf Schloss Roskow im Kreis Potsdam-Mittelmark. Dort zog immer im Sommer für zwei Monate die zeitgenössische Kunst ein und bandelte mit der ruinöser Noblesse des heruntergekommenen Adelssitzes derer von Katte an. Das Rezept, aktuelle Kunst mit einem pittoresken Schlösschen oder Gutshaus zu kreuzen, geht seit über zwei Jahrzehnten auf, ob in Marquardt, Sacrow oder zuletzt vornehmlich im Havelland. Das zumeist Berliner Publikum reist an und schaut klasse Kunst, die Dorfbewohnerschaft schmiert für die Städter Schmalzstullen und backt Streuselkuchen. Beide Seiten profitieren davon, nur schade wenn es an Unterstützung durch den Landkreis fehlt.

So hat sich das Ausstellungsprojekt Rohkunstbau in diesem Jahr wieder auf die Reise gemacht und ist mit Lieberose im Spreewald in die Nähe seines ersten Standorts zurückgekehrt. In Großleuthen fing es an, nicht in einem Feudal-, sondern Rohbau auf platter Wiese. Dort steht er immer noch: eine Betonhalle, die 1989 für die Arbeiterfestspiele der DDR errichtet worden war, aber nie vollendet wurde. Stattdessen zog die zeitgenössische Kunst immer im Sommer ein, bis Initiator Arvid Boellert das Schloss des Örtchens bekam, zumindest bis zum nächsten Besitzerwechsel. Der sonderbare Name Rohkunstbau aber blieb und ist zur Marke des Unternehmens geworden.

Fast ein Vierteljahrhundert später ist das Projekt nun wieder im Spreewald gelandet. Dort hat der Landkreis mit einigem Abstand erkannt, was er an dem ungewöhnlichen Kunstevent hatte und es nun nach Lieberose gelotst, in eines der größten Schlösser Brandenburgs, wo es ebenfalls malerisch bröselt und Geschichte um jede Ecke lugt. Mit dem bewährten Kurator Mark Gisbourne hat sich der Kunsttross nun hier niedergelassen. Ein übergreifendes Thema gibt es ebenfalls wie alle Jahre, um diverse Positionen unter einen Hut zu bringen: „Die Schönheit im Anderen“ – aus aktuellem Anlass.

Auseinandersetzung mit dem Ort selbst wäre wünschenswert

In Zeiten eines wachsenden Nationalismus, einem zunehmenden Desinteresse am Schicksal der vielen Flüchtenden soll die Kunst im dekadenten Ambiente das Loblied der Differenz singen. Mit dem dänisch-norwegischen Duo Elmgreen & Dragset, der afghanischen Bildhauerin Jeanno Gaussi, der senegalesischen Zeichnerin Pélagie Gbaguidi – längst wohnt nur noch die Hälfte der Künstler in Berlin – sind die richtigen gefunden, nur hätte man sich für die ersten Ausgabe an der neuen Adresse eine Auseinandersetzung mit dem Ort selbst gewünscht.

Im Schloss haben bis Mitte der vierziger Jahre die von der Schulenburgs residiert, von denen zwei Mitglieder am Attentat vom 20. Juli beteiligt waren und von den Nazis hingerichtet wurden. In Lieberose befand sich damals ein Außenlager des KZ Sachsenhausen, hier sollte einer der größten Truppenübungsplätze der Waffen-SS entstehen. Deshalb gingen bei Kriegsende in dem brandenburgischen Örtchen mehrere Bomben nieder und beschädigten auch das Schloss.

Heute steht es leer und wird mühsam von der brandenburgischer Schlössergesellschaft in seinem Verfall aufgehalten, wenigstens die Stuckaturen aus dem 17. Jahrhundert haben überstanden. Für Künstler wird Lieberose damit zum idealen Ort, um sich einzunisten und das eigene Werk noch einmal ganz anders wirken zu lassen. Den stärksten Auftritt hat der japanische Bildhauer Toshihiko Mitsuya, der aus Aluminiumfolie zwei Krieger auf gepanzerten Rössern schuf, die lebensgroß im Ballsaal stehen, wie lebende Tote, in einem bizarren Moment eingefroren. Sie sind eine Mischung aus Samurai und mittelalterlichem Ritter. Mitsuya nähert sich damit am stärksten der Geschichte des Hauses, das einst einem Rittergeschlecht gehörte und entsprechend einen Helm mit Visier im Wappen trägt.

Findling auf Trampolin. „Too heavy“, Skulptur des Künstlerduos Elmgreen & Dragset.
Findling auf Trampolin. „Too heavy“, Skulptur des Künstlerduos Elmgreen & Dragset.

© Jan Brockhaus

Das über 3000 Quadratmeter große Schloss eignet sich mit seinen Sälen und grandiosen Räumen geradezu perfekt für Arrangements mit Figuren. Diese geisterhaften Erscheinungen kommen aus allen Regionen der Welt, als würden sie sich ausgerechnet hier, an einem fast vergessenen Ort treffen, um über die verdrängte Vergangenheit zu konferieren. Von dem schottischen Bildhauer Andrew Gilbert stammt eine regelrechte Familienaufstellung im Herrenzimmer mit britischen Grenadieren in prachtvollen Uniformen, die allerdings wie Voodoo-Figuren mit eigentümlichen Requisiten ausgestattet sind: Masken, Schilden, Federschmuck, dazu Möhren, von Nägeln durchbohrt. Die britische Kolonialgeschichte erfährt hier eine makabre Wiederaufführung, jedoch mit humorvollem Einschlag. Zu Füßen des breitbeinigen Colonels mit Leopardenfell-Umhang im Zentrum, der dramatisch ein Speer zur Attacke hebt, steht ein bauchiger Teepott, wie er von den Vorkämpfern des Vereinigten Königsreichs noch in jedes eroberte Land mitgebracht wurde.

Die Suche nach verlorenen Wurzeln prägt viele Arbeiten

Wie viel Psychologie, Selbsttherapeutisches in den Figuren steckt, verraten Jeanno Gaussis „Imaginäre Freunde“. Sie hängen an Seilen von der Gewölbedecke, ihre Köpfe sind leere Wasserkanister, ihre Glieder geflochtene Makrameeschnüre mit Perlen. Die afghanische Künstlerin, die als Fünfjährige an der Hand ihrer Tante aus Kabul nach Deutschland kam und sich als Kind mit Hilfe selbst gebastelter Figuren ihre zurückgelassene Familie imaginierte, wendet die gleiche Technik nun als Stipendiatin in San Francisco an. Wenn auch nur vorübergehend heimatlos geworden, sucht sie sich als Erwachsene erneut ihre Bezugspersonen künstlich zu schaffen, ein trauriger Akt.

Die Suche nach den verlorenen Wurzeln prägt viele Arbeiten der elf Teilnehmer dieser 23. Ausgabe von Rohkunstbau. Geflohen, emigriert oder auch nur zum Studium aus dem Ausland nach Deutschland gekommen und geblieben, erfahren sie täglich das Gefühl des Andersseins. „Die Schönheit im Anderen“ zu entdecken, gehört für sie zur täglichen Praxis. Welche Mühe es kostet, lassen ihre Werke ahnen.

Schloss Lieberose, Landkreis Dahme- Spreewald. Bis 10. September; Sa / So 12 – 18 Uhr. Info: www.rohkunstbau.de

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