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Unversöhnlich. Richard Wagner, 1952 im rumänischen Lovrin geboren, studierte Germanistik und Rumänistik in Temeschwar. Seine Mission wurde die Aufklärung von schriftstellerischen Verstrickungen mit der Securitate.

© imago stock&people

Richard Wagner zum 65.: Rumäniendeutsche Endmoränen

Richard Wagners Werke sind für die rumäniendeutsche Literatur grundlegend. Eine Gratulation zum 65. Geburtstag, zu dessen Anlass zwei Jubiläumsbände erschienen sind.

Sein Schreiben, erklärte Richard Wagner 1993 in einer Frankfurter Poetikvorlesung, sei „von Anfang an eine Lektüre des Westens“ gewesen. „Ich saß in meiner isolierten Region Banat und baute mir einen Rand aus Wörtern. Mein Leben ist nicht eine Erzählung, sondern eine Collage.“ Seit sechs Jahren war der Autor damals in Deutschland, vor der Diktatur geflohen und doch seiner Sprache, dem Deutschen, treu geblieben. „Die Bedeutung der Ränder“ heißt dieser Text, der nicht nur für Wagner sondern für die gesamte rumäniendeutsche Literatur grundlegend ist. Er findet sich in dem Band „Poetologik“, einem Gesprächsband, der zusammen mit ausgewählten Gedichten unter dem Titel „Gold“ zum 65. Geburtstag des Autors am heutigen Montag erschienen ist.

Man lernt Richard Wagner neu kennen in diesen ausführlichen, ruhigen und genauen Gesprächen, die er mit der Literaturwissenschaftlerin Christina Rossi zwischen November 2015 und April 2016 geführt hat. Man sieht seine Widersprüche und Entwicklungen, auch wenn er selbst behauptet, alles sei von Anfang an in ihm angelegt gewesen, er habe es nur aus sich herauslocken müssen. „Man muss den Mut haben, das Querdenken zu wagen“ ist der Titel dieses einen von insgesamt sechs Gesprächen.

Gerade dieses eine aber ist besonders provokant, weil es fast genüsslich die krasse Gegenposition zu Wagners literarischen Anfängen behauptet. Er rechnet hier nicht nur mit allen, wie er meint, realitätsfremden Multikulti-Ideen ab und dem „Zusammenbruch der Kommunikation in der Flüchtlingskrise“, sondern er nennt sich einen Schüler des national-konservativen, von den Kommunisten zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilten rumänischen Philosophen Constantin Noica, für dessen raunende Heilslehre er in Aktionsgruppen-Zeiten wohl nur Hohn und Spott übrig gehabt hätte. Nicht zufällig wurde er in den vergangenen Jahren auch Autor des politisch nach rechts schielenden Blogs „Achse des Guten“.

Beat Generation plus Brecht

Die 1972 maßgeblich von Wagner mitbegründete Aktionsgruppe, die drei Jahre später vom Geheimdienst zerschlagen wurde, wollte die in der Banater Provinz entstehende Literatur an die Moderne anschließen: durch selbstbewusste Sprachartistik und einen lakonischen Ton, „eine Beat-Generation-Brecht-Kombination“. Die Sprachzweifel der Minderheit seien ein guter Ausgangspunkt gewesen, sagt Wagner. Dazu kam, wie in frühen, den Band ergänzenden Statements zu lesen ist, das Selbstverständnis als engagierte Autoren, die Wirklichkeit abbilden und „den Rückzug der Minderheit auf sich selbst verhindern“ wollten. Kaum zu glauben, dass Wagner heute meint, er habe sich damals, wie die Mehrheit seiner Landsleute, als „Reichsbürger“ gefühlt: Das Banat gehörte vor 1919 zu Österreich-Ungarn.

Im Gespräch mit Christina Rossi durchwandert Richard Wagner sein Werk. Ausführlich erzählt er vom Entstehen der drei Berlin-Romane, durch die er sich seine neue Heimatstadt erschrieb und sie gleichzeitig persiflierte. Rollenprosa (wie in dem Securitate-Roman „Miss Bukarest“) und pointierte Dialoge (wie im Familienroman „Habseligkeiten“) gehören zu seinen Stärken, ebenso die Form der Kürzestprosa.

Der Ostschriftsteller, sagt Wagner, gilt im Westen als unbelesen, politisch rüpelhaft und auf seine Herkunft fixiert. Deshalb hat er den Flaneur, der von einer Gesellschaft in die andere wechselt und dabei nicht nur seine Umgebung, sondern auch sich selbst beobachtet, zu einer zentralen Figur seines Werkes gemacht. Sein Flaneur ist ein Skeptiker und Spötter, der sich fremd fühlt im eigenen Leben.

Der Text wird selbst zur Metapher

Am konzentriertesten sprechen sich diese Themen in den Gedichten aus, die Herz und Motor seines Werkes sind. Die Auswahl in „Gold“ zeichnet vor allem die formalen und thematischen Koordinaten nach, von den aphoristischen Kurzgedichten der frühen Zeit zu den Langgedichten, die konkrete Situationen in ihrer Widersprüchlichkeit auffächern. „Rostregen“ und „Schwarze Kreide“, seine stärksten Gedichtbände, spiegeln die Not der letzten Jahre in Rumänien und mit der Auswanderung den existenziellen Bruch in seinem Leben. Es gibt keine Sprachbilder oder Arabesken in diesen streng gebauten, oft lakonischen Gedichten, in denen vor allem die Form das ausdrückt, was nicht gesagt wird – gemäß Wagners literarischem Credo, „dass es der Text selbst ist, der zur Metapher wird.“

Das hier erstmals veröffentlichte „Tapas“ schlägt allerdings einen neuen Weg ein, mit weit ausschwingendem Rhythmus und weicherem Klang, in dem der Sprachduktus Paul Celans nachhallt. Frech und traurig taucht ein neues „Du“ auf, das Wahrheiten von der Widerspenstigkeit des eigenen Körpers verkündet. Kein anderer Autor hat so offen über seine Parkinson-Erkrankung geschrieben wie Wagner in „Herr Parkinson“ und „Die letzten 24 Stunden“. Genau das gibt ihm nun die Kraft und die innere Freiheit, nochmals einen lyrischen Aufbruch zu wagen.

Richard Wagner / Christina Rossi: Poetologik. Wieser Verlag, Klagenfurt 2017. 184 S., 20 €.

Richard Wagner: Gold. Gedichte. Aufbau Verlag, Berlin 2017. 208 S., 20 €.

Nicole Henneberg

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