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Festung. Am Rosa-Luxemburg-Platz steigt das Gefühl der Bedrohung. 2017 soll Chris Dercon Frank Castorf als Intendant ablösen.

© imago/Hohlfeld

Regisseur Fritsch über Volksbühnen-Streit: "Mit Dercons Welt habe ich nichts mehr zu tun"

Die Volksbühne, Chris Dercon und der Protestbrief der Mitarbeiter: Was sagt der Regisseur und Mitunterzeichner Herbert Fritsch zu dem schon lange schwelenden Streit? Wir haben mit ihm gesprochen.

Am Mittwochabend feiert in Ihrer Regie in der Volksbühne die „Apokalypse“ Berlin- Premiere, ein Abend mit Wolfram Koch nach der Offenbarung des Johannes. Wird der Weltuntergang lustig?

(lacht) Das kann ich noch nicht sagen. Das hängt von Wolfram ab.

Die Mitarbeiter der Volksbühne befürchten zurzeit einen ganz realen und ziemlich unlustigen Untergang – nämlich den ihres Hauses und einer jahrhundertealten Theatertradition. Wie ist die Stimmung in der Volksbühne?

Es ist nicht so, dass man hier mit Tränen in den Augen herumläuft. Es wird normal weitergearbeitet. Es geht um eine ganz klare, sachliche Auseinandersetzung, wie man mit Kultur umgeht, wie das Verhältnis zwischen Kultur und Politik ist.

Sie und 179 weitere Volksbühnen-Mitarbeiter protestieren in einem offenen Brief an die Parteien im Abgeordnetenhaus und Kulturstaatsministerin Monika Grütters scharf gegen die Intendanzübernahme durch den Museumsmann Chris Dercon im Herbst 2017 – ein bemerkenswerter und ziemlich einmaliger Vorgang. Warum?

Es geht hier nicht darum, jemanden wegzumobben oder sich Neuem zu verschließen. Die Volksbühne war immer offen für neue Formen und neue Möglichkeiten. Ich habe von Anfang an gesagt: Chris Dercon kommt von der Tate Modern – why not? Das Problem ist, dass die Sachen, die jetzt hier von der künftigen Leitung als neu verkauft werden, in den letzten Jahren in der Volksbühne alle schon ausprobiert wurden und stattgefunden haben. Und das ist ein bisschen erstaunlich.

Zum Beispiel?

Wenn man sagt, das Haus soll endlich internationaler werden, finde ich das lächerlich. Hierher kommen Leute aus allen möglichen Ländern, und die stoßen sich nicht an der Sprache, die auf der Bühne gesprochen wird. Jetzt soll sich die Internationalität in der englischen Sprache erschöpfen.

Was hat die neue Leitung noch vor?

Dercon sagt, er will auch bildende Kunst und Stücke ohne Worte machen. (lacht) Alles Dinge, die wir in den letzten Jahren hier so noch überhaupt nicht hatten.

Sie beziehen sich, auch in dem offenen Brief, auf eine Vollversammlung in der Volksbühne, in der Chris Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock der Belegschaft kürzlich ihre Pläne vorgestellt haben. Inwiefern haben sich diese Pläne seit Dercons Vorstellungspressekonferenz vor einem Jahr konkretisiert?

Ich selbst war nicht auf der Versammlung, ich habe gerade in Zürich geprobt. Aber nach dem, was ich höre, gar nicht. Entweder Dercon macht seine Kiste nicht auf und plant geheim ein Riesending, oder er schwimmt tatsächlich, was die Planung angeht. Angeblich soll jetzt Sophie Rois zur Eröffnung einen Monolog einstudieren und Birgit Minichmayr plötzlich was bei Susanne Kennedy machen, weil man sonst fürchtet, schlechte Karten beim Publikum zu haben.

Apropos: Wie soll es denn mit dem Sprechtheater generell weitergehen?

Sprechen könne er selber, sagt Dercon, wenn sich jemand nach dem Sprechtheater erkundigt. Das erzählen die Kollegen.

Haben Sie persönlich mit ihm geredet?

Ja, aber das Gespräch war nicht besonders ersprießlich. Dercon sagte, er fände es toll an meinen Stücken – die er nie gesehen hat –, dass alle Schauspieler austauschbar sind. Da wurde mir klar: Das ist eine ganz andere Welt, die da kommt. Damit habe ich nichts mehr zu tun.

Murmel, murmel. Herbert Fritsch war bis 2007 Schauspieler an der Volksbühne. Seitdem feiert er als Regisseur und Bühnenbildner große Erfolge.
Murmel, murmel. Herbert Fritsch war bis 2007 Schauspieler an der Volksbühne. Seitdem feiert er als Regisseur und Bühnenbildner große Erfolge.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Auf seiner Vorstellungspressekonferenz ist Chris Dercon damals Befürchtungen entgegengetreten, er wolle das Ensemble-Theater und den Repertoire-Betrieb abschaffen. Laut Ihrem offenen Brief klingt das jetzt anders.

Dass das Ensemble – die Schauspieler – gekündigt wird, wenn ein neuer Intendant kommt, ist ja normal. Aber Dercon hat bis jetzt auch noch kein neues vorgewiesen. Und diese Strukturveränderungen, die geplant werden, sind es vor allem, die vielen Mitarbeitern Angst machen.

Haben Sie den Eindruck, Dercon schätzt als Museumsmann den Theaterbetrieb falsch ein? Auch, was die Gewerke betrifft?

Nach dem, was ich hier von den Abteilungen höre, ist er diesbezüglich tatsächlich ziemlich blauäugig. Ich glaube, er weiß sehr wenig darüber, wie ein Theaterapparat funktioniert und was da alles dranhängt. Bei der Versammlung soll er gesagt haben, wir brauchen kein Bühnenbild. Wir hängen da einen Vorhang rein und machen eine leere Bühne. Er will eine Woche en suite spielen und dann sofort auf internationale Tournee.

Wie geht es für Sie persönlich weiter?

Ich persönlich bin es gewöhnt, weggehen zu müssen. Dass man sich bewegen muss, ist der Theaterkunst immanent. Das ist für uns alle normal.

Ihr offener Brief endet mit der Bitte an die Kulturpolitik, das Konzept zu überprüfen. Was erwarten Sie konkret?

Es geht tatsächlich überhaupt nicht um einen Weg zurück. Sondern um den Erhalt der Volksbühne als Korpus, der er bisher war – unter einer Führung, die auf all dem aufbauen kann, mit Respekt vor der Tradition und Vergangenheit des Hauses. Ich fürchte – weil von Berlin eine republikweite Signalwirkung ausgeht –, dass es ist wie damals mit dem Schillertheater: Dessen Schließung war der Auftakt für ganz viele Schließungsdebatten. Und ich will nicht, dass jetzt mit der Volksbühne, die ja wirklich eine weit ausstrahlende Kraft hat, etwas stattfindet, von dem alle sagen: aha, okay, das kann man also auch machen, was die vorhaben.

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