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Trauer und Wut. Diane Kruger als Frau, die Mann und Kind bei einem Anschlag verliert.

© Warner

Regisseur Fatih Akin über rechten Terror: "Diese Gewalt betrifft uns alle. Nicht nur Kanaken"

Anlass NSU: Mit "Aus dem Nichts" hat Fatih Akin einen Politthriller über rechten Terror in Deutschland gedreht. Ein Gespräch mit ihm und Hauptdarstellerin Diane Kruger.

Von Andreas Busche

Fatih Akin, was hat Sie bewogen, die NSU-Morde als Rachegeschichte zu erzählen?

AKIN: Mein erster Impuls war Wut. Gar nicht so sehr über die Morde an sich, sondern darüber, dass sich alle geirrt hatten: die Ermittler, die Presse, die Gesellschaft. Die Mörder waren eben nicht türkische Mafiosi oder Drogendealer, sondern Neonazis. Diese Wut wollte ich verarbeiten, aus der Sicht eines Opfers.

Frau Kruger, erinnern Sie sich daran, wie Sie damals die Nachrichten um die sogenannten „Döner-Morde“ wahrgenommen haben?

KRUGER: Ich lebte zu der Zeit in den USA und hatte über die Mordserie nur gehört, was die amerikanischen Medien berichteten.

AKIN: Ich hab den Artikel im „Spiegel“ gelesen, Soko Bosporus und so. Und natürlich habe ich damals geschluckt, was der „Spiegel“ schrieb. Wie wir alle.

Der Film hat eine klassische Drei-Akt-Struktur: Familie – Gerechtigkeit – das Meer. Warum diese Dramaturgie?

AKIN: Beim Schreiben setzt man dramaturgische Beats, dabei entstehen im Drehbuch Passagen. Ich muss genug Beats setzen, um zu zeigen, dass die Hauptfigur am Ende ist, sie trauert um ihren Mann und ihr Kind. Dafür brauche ich Zeit, sonst glaubt das Publikum nicht, dass sie sich schließlich sogar das Leben nehmen will. Der nächste Beat ist der Gerichtsprozess. Ich weiß bereits, dass die Täter freigesprochen werden. Aber auch dieser Beat braucht Zeit, sonst wirkt er wie eine Behauptung. Ich habe für das Verfahren viel recherchiert, zwei Juristen haben mich beraten. Auch der Prozess hat für die Figur Katja eine dramaturgische Funktion, ihr Vertrauensverlust in den Rechtsstaat muss motiviert sein. Diese Konstruktion läuft auf den dritten Akt hinaus, ihre Rache.

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Gab es für jedes Kapitel eine eigene visuelle Strategie?

AKIN: Kameraarbeit ist immer Rhetorik. Je nachdem, wo ich die Kamera positioniere, verändert sich die Vermittlung vom Gefühl der Figur zum Zuschauer. Wenn ich Diane im ersten Akt in den Bildwinkeln kadriere, nimmt man ihre Figur anders wahr, gebrochener, als wenn ich sie wie im Gerichtssaal frontal filme.

Jedem Akt ist ein kurzes Handyvideo mit Alltags- und Urlaubsszenen vorgestellt. Fungieren diese Aufnahmen als eine Art Eichung, um an die emotionale Fallhöhe des folgenden Kapitels zu erinnern?

AKIN: Ich verwende am Anfang des Films nicht viel Zeit darauf, die Familie einzuführen. Der Film kommt schnell zur Sache.

Kann man so sagen. Der Anschlag findet statt, noch bevor der Filmtitel zu sehen ist.

AKIN: Um also zu erzählen, mit was für einer Familie wir es zu tun haben, benutze ich die Handyaufnahmen. Ich fand es reizvoller, dem Publikum die Informationen häppchenweise zu geben, statt sie als Block an den Anfang zu stellen. Es ist natürlich auch ein attraktives Stilmittel zwischen den Kapiteln.

Ihr Film bezieht sich auf den Nagelbombenanschlag von Köln aus dem Jahr 2004. Ist dieser gut dokumentierte Fall exemplarisch für den Umgang mit rechtem Terror in Deutschland? Oder welche Gründe gab es, sich auf diesen Anschlag des NSU zu berufen?

AKIN: Ich habe beim Schreiben der Szenen ausschließlich filmisch gedacht. Der Anschlag in Köln war in filmischer Hinsicht der wirkungsvollste NSU-Mord, ich musste die Explosion dafür nicht einmal zeigen. Die sogenannte Ceska-Mordserie war ein völlig anderes Ritual, ein Anschlag mit einer Waffe berührt auch die Zuschauer ganz anders. Eine Bombe dagegen ist hinterhältig, feige. Man muss den Opfern nicht einmal ins Gesicht blicken.

Die NSU-Mordserie legte einen umfassenden Rassismus in Deutschland offen. Einerseits gibt es organisierte rechtsextreme Gewalt. Andererseits einen institutionellen Rassismus, der die Existenz von rechtsextremen Strukturen systematisch verdeckte. Ihr Film spricht lediglich vom rechten Terror einer kleinen Neonazi-Gruppe und geht überhaupt nicht auf den staatlichen „NSU-Komplex“ ein. Warum?

AKIN: „Aus dem Nichts“ handelt nicht vom NSU, ich habe mich da eher bedient. Der Prozess in München läuft ja auch noch, die Hintergründe werden wahrscheinlich nie geklärt werden. Was wäre das für ein Spielfilm, der den echten Fall aufgreift, während der Prozess noch läuft? Dafür macht man besser einen Dokumentarfilm.

Mir war auch nicht klar, in welcher Realität „Aus dem Nichts“ angesiedelt ist. Der Film spielt in einem Jahr 2016, in dem kein NSU existiert. Als deutscher Zuschauer sieht man den Film natürlich durch die NSU-Brille, während das rechte Netzwerk im Film eine große Enthüllung ist.

AKIN: Das ist wie in „Rocky“. „Rocky“ spielt in den Siebzigern, und Sylvester Stallone kämpft gegen einen schwarzen Boxer, der Attribute von Muhammad Ali vereint. „Aus dem Nichts“ existiert ebenfalls in einem solchen Paralleluniversum.

Kruger: „Deutsche Filme sind mir oft zu klein gedacht“

Regisseur Fatih Akin und Schauspielerin Diane Kruger gemeinsam bei den Bambis.
Regisseur Fatih Akin und Schauspielerin Diane Kruger gemeinsam bei den Bambis.

© Eventpress

Warum richtet sich die Wut im Film nur gegen die Neonazis und nicht gegen die Behörden?

AKIN: Die Polizei hatte in der NSU-Mordserie die falsche Fährte aufgenommen, das tut sie im Film auch. Ich habe darüber mit Hark Bohm, der beim Drehbuch geholfen hat, lange diskutiert. Würde die Polizei heute anders vorgehen als damals? Deswegen ist Nuri, Katjas Mann, auch ein vorbestrafter Drogendealer. Ich bin davon überzeugt, dass die Ermittlungen unter diesen Umständen heute, auch im Wissen um die NSU, genauso laufen würden. Das ist der wesentliche Unterschied zu den Opfern der NSU-Mordserie, die unschuldig waren und trotzdem verdächtigt wurden.

KRUGER: Ich habe mir diese Fragen nie gestellt, weil ich über die NSU-Hintergründe nur wenig wusste. Für mich ist „Aus dem Nichts“ ein Film über Trauer. Wie kann man sein Leben weiterführen, wenn einem alles genommen wird? Auch die Rache-Thematik führt letztlich zurück zu dieser Ausgangsfrage. Da spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Dschihadisten, einen Amokläufer oder um Neonazis handelt.

Frau Kruger, „Aus dem Nichts“ ist ihr erster deutscher Film. War es eine bewusste Entscheidung, auf eine solche Rolle zu warten?

KRUGER: Ich wollte unbedingt mit Fatih drehen. Mir war es aber auch wichtig, dass der Film kein rein deutsches Thema behandelt, sondern das Potenzial hat, international Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ich bekomme hin und wieder Angebote aus Deutschland, aber diese Filme sind mir oft zu klein gedacht.

Sie wurden in Cannes für ihre Rolle als beste Darstellerin ausgezeichnet. Bedeutet es Ihnen etwas, dass Sie für einen Film prämiert wurden, der ein so brisantes gesellschaftliches Thema angeht?

KRUGER: Eher unbewusst. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns an den Terror gewöhnt haben. Und wir neigen dazu zu vergessen, was das für Menschen bedeutet, die mit den Folgen dieser Realität leben müssen. Der erste Reflex ist meist die Frage nach den Motiven der Täter. Aber wir reden hier immerhin von neun Morden. Was ist mit den Opfern?

Die türkischstämmigen Hinterbliebenen der Mordserie wurden gleich zweimal zu Opfern gemacht. Sie verloren Familienangehörige und wurden aufgrund ihrer Herkunft kriminalisiert. Haben Sie darüber gesprochen, was es bedeuten könnte, dass in „Aus dem Nichts“ eine deutsche Frau die Opferrolle übernimmt?

KRUGER: Ich habe beim Lesen des Drehbuchs viel über Ressentiments nachgedacht. Dass man durch seine Herkunft diskriminiert werden kann. Oder Katja, die Drogen nimmt, um ihren Schmerz zu vergessen und sich damit selbst verdächtig macht.

AKIN: Wie gesagt, der Film ist keine Aufarbeitung der NSU-Morde. Das ist auch das markanteste Statement: dass das Opfer eine Deutsche ist und keine Türkin. Es betrifft jede und jeden, nicht nur „Kanaken“, sondern auch Weiße.

Sie wollten die Hauptrolle ursprünglich mit Denis Moschitto besetzen, der jetzt Katjas Anwalt spielt.

AKIN: Das war ein frühes Drehbuch-Stadium. Irgendwann hatte mich das, was ich geschrieben hab, gelangweilt. Als ich mich für eine weibliche Figur entschied, lösten sich automatisch auch einige dramaturgische Probleme.

Türkischstämmige Künstler stehen in Deutschland seit Erdogans Verfassungsreferendum unter Beobachtung. Gab es Reaktionen aus der Türkei darauf, dass Sie im Film aus türkischen Opfern eine Deutsche gemacht haben?

AKIN: Bisher nicht. Und der Film lief schon auf türkischen Festivals.

Glauben Sie, dass Erdogans Politik die türkische Community in Deutschland spaltet, wie nach dem Referendum im April gemutmaßt wurde?

AKIN: Ich glaube nicht, dass der Einfluss von Recep Tayyip Erdogan in Deutschland so groß ist. Der innertürkische Konflikt wird sich nicht auf Deutschland ausweiten, die Türken hier sind anders sozialisiert. Das Wahlergebnis des Referendums hat realpolitische Hintergründe. Die Türken sind sehr pragmatisch, sie wählen die Partei, von der sie sich einen persönlichen Vorteil versprechen. Auch der Kemalismus war – lange vor Erdogan – eine halb faschistische Angelegenheit. Die Anhänger haben teilweise den Völkermord an den Armeniern geleugnet – und trotzdem die SPD gewählt. Man muss nicht alles auf die politische Goldwaage legen.

Das Gespräch führte Andreas Busche.

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