zum Hauptinhalt
Argument oder Protest? Gegendemonstranten bei einer Lesung mit dem AfD-Politiker Björn Höcke.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Rechte Verlage auf der Frankfurter Buchmesse: Strategie des Einhegens

Schuldzuweisungen von allen Seiten: Nach den Tumulten um den rechtsgerichteten Antaios-Verlag auf der Buchmesse bleiben die Gemüter erhitzt.

1000 Autoren, 4000 Veranstaltungen, 286 425 Besucher, was ein Publikumsplus von 6,5 Prozent bedeutet – und trotzdem reden alle nur über das eine nach der 69. Frankfurter Buchmesse: über die Tumulte bei den Veranstaltungen des rechtsgerichteten Antaios-Verlags am frühen Samstagabend.

Auch nach dem Ende der Messe hat ihr Direktor Juergen Boos die Entscheidung nochmals verteidigt, Verlage der Neuen Rechten in Frankfurt zuzulassen. „Der Tradition gemäß, in der wir uns sehen, müssen wir Meinungsäußerungen jeder Couleur zulassen“, sagte Boos der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er spricht von „einer langen Tradition der Unruhe“, erinnert an vergangene Konflikte, etwa bei Auftritten von Franz Josef Strauß oder bei der Aufregung um das Verbot des iranischen Messestands nach der Fatwa, die Ayatollah Khomeini über Salman Rushdie wegen der „Satanischen Verse“ verhängt hatte. Boos verweist auch auf die Vielzahl ganz anderer Veranstaltungen in Frankfurt zu den Themen Schreiben im Exil, Fake News oder Hass im Netz.

„Nichts ist so kalt wie der heiße Scheiß von gestern“, hatte der Kreuzberger Heimatdichter und Element-of-Crime-Sänger Sven Regener dem Buchmessen-Publikum noch am Freitag zugerufen, bei der Vorstellung seines Romans „Wiener Straße“. Aber der „heiße Scheiß“ vom Samstag erregt weiter die Gemüter, vor allem in den sozialen Netzwerken.

Hat die Messe die "bewusste Inszenierung" der rechten Verlage unterschätzt?

Die antirassistische Amadeu Antonio Stiftung in Berlin kritisierte in einem Statement die „rechtsextreme Raumgreifung“. Die Stiftung, deren Buchmesse-Stand sich schräg gegenüber von dem des Antaios Verlags in Halle 3.1. befand, sagte dem Tagesspiegel am Montag, dass die Organisatoren der Messe die bewusste Inszenierung der rechten Verlage unterschätzt hätten. „Der Auftritt von Antaios war durchchoreografiert bis ins Detail und wird nun von den Rechten als beispielhaft dargestellt, wie man sich in Zukunft auf solchen Veranstaltungen darstellen will“, sagte Geschäftsführer Timo Reinfrank.

Was ging den Tumulten rund um die Lesebühne in Halle 4.2 voraus? Eskaliert war eben jene Debatte, die die Buchmesse von Beginn an begleitet hatte: Dürfen Verlage wie der vom rechten Vordenker Götz Kubitschek geleitete Antaios Verlag sich auf einer Messe präsentieren wie alle anderen auch, also mit Stand, Buchpräsentationen und Lesungen? Die Organisatoren hatten die Auftritte mit Verweis auf die Meinungsfreiheit genehmigt. Eine Strategie der Einhegung: Schon die Platzierung der Amadeu Antonio Stiftung gegenüber Antaios war kein Zufall. Die Messeleitung hatte explizit bei der Stiftung angefragt. Dazu war man gerne bereit, wie eine Mitarbeiterin noch am Samstag betonte. Man könne so ein Zeichen setzen gegen den Auftritt der Neuen Rechten.

Rechter Verlag und antirassistische Stiftung sind schräg gegenüber voneinander platziert

Dem Vis-à-vis von antirassistischer Stiftung und rechtem Verlag ging ein offener Brief von Antaios an die Stiftung voraus, unterschrieben von der Publizistin Ellen Kositza, Kubitscheks Ehefrau. Er enthält eine Aufforderung zur öffentlichen politischen Diskussion, „auf Augenhöhe“. Kositza schrieb: „Entgegen ihrer Annahme reden wir gern. Mit jedem! Nur zu!“ Die Stiftung lehnte ab, in Form eines weiteren offenen Briefes. Eine öffentliche Diskussion auf Augenhöhe mit den Neuen Rechten hieße, ihre Argumente diskutabel zu machen. Dazu sei man nicht bereit.

Mit Blick auf den erwartbaren Rechtsruck bei den Wahlen in Österreich hatte Buchpreisträger Robert Menasse ("Die Hauptstadt") es am Freitag in Frankfurt formuliert: „Mit den Rechten auf Augenhöhe zu diskutieren bedeutet, sich flach auf den Boden legen zu müssen“. Ebenfalls am Freitag war es zu einem ersten gewalttätigen Angriff gekommen: Am Stand der rechtsgerichteten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ hatte Achim Bergmann, der Verleger des Alt-68er-Verlags Trikont, einen Faustschlag von einem Zuhörer erhalten, direkt ins Gesicht. Gleichzeitig machen Meldungen die Runde, der Gemeinschaftsstand der ebenfalls rechtsgerichteten Zeitschrift "Tumult" und des Verlags Manuscriptum seien geplündert worden.

Freundliche Antaios-Mitarbeiter erläutern am Stand das Verlagsprogramm

Zu echten und nicht handgreiflichen Diskussionen um Ressentiments und Religion, Ängste und politische Positionierungen kommt es trotzdem auf der Messe. Nicht auf offener Bühne, sondern an den Ständen. Am Samstagmorgen etwa erklärt ein Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung einer aufgebrachten Besucherin, dass nicht der Islam daran schuld sei, dass mancherorts der Weihnachtsmarkt Wintermarkt heiße. Und dass es, entgegen ihrer Behauptung, sehr wohl noch Weihnachtsbeleuchtung in Berlin-Neukölln gebe.

Bei der Lesung des Antaios-Verlags, auf der auch Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke anwesend war, musste schließlich die Polizei einschreiten.
Bei der Lesung des Antaios-Verlags, auf der auch Thüringens AfD-Landes- und Fraktionschef Björn Höcke anwesend war, musste schließlich die Polizei einschreiten.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Gegenüber, bei Antaios, wird man am Publikumstag von freundlichen Mitarbeitern über das Verlagsprogramm aufgeklärt. Auch darüber, wie das große Poster mit der Überschrift „Eros“ und dem Zitat „ Nein war schon immer ein Teil des Rituals“ zu verstehen sei. Natürlich beziehe es sich auf Sex, so eine junge Mitarbeiterin. Das Zitat mache deutlich, dass das „Nein“ der Frau Teil des Liebesspiels sei. Der Satz stamme immerhin von der Frauenrechtlerin Camille Paglia. Ob man in den letzten Tagen mal zur Amadeu Antonio Stiftung rübergegangen sei? Sei man. „Aber die hatten Schiss vor einer Diskussion.“ Daneben drückt ein anderer Mitarbeiter gerade seine Enttäuschung darüber aus, dass der Messetag direkt nach den Lesungen der Antaios-Autoren enden werde. „Heute also vermutlich kein Fackelzug mehr.“

Immer wieder sieht man , wie Ellen Kositza von kleinen Gruppen umringt wird und zustimmendes Nicken erntet. Sie wiederholt ihr Unverständnis, dass man dem Verlag mit so viel offener Ablehnung begegne. Einige Stunden später, bei der Präsentation des Buchs „Mit Linken leben“ mit Björn Höcke kommt es dann zu jenen Rangeleien zwischen „Nazis raus“- und „Jeder hasst die Antifa“-Demonstranten, bei denen die Polizei schließlich eingreifen muss. Als Ellen Kositza mit dem wegen Volksverhetzung verurteilten Rechtspopulisten Akif Pirinçci spricht, geht die Diskussion noch in skandierten Parolen unter. Das für 18 Uhr anberaumte Gespräch mit dem Ex-Neonazi Mario Müller und dem Aktivisten Martin Sellner von der Identitären Bewegung muss abgebrochen werden. Seitdem genießt kein Verlag mehr öffentliche Aufmerksamkeit in den Buchmesse-Bilanzen als Antaios – worüber Götz Kubitschek sich ebenso öffentlich freut, wie andere Neurechte über den „linken Faschismus“ derer wettern, von denen sie niedergebrüllt werden.

Die Auseinandersetzung wurde an uns delegiert, sagt die Amadeu Antonio Stiftung

Was ist die Strategie also wert, die Rechten einzuhegen, indem man eine antirassistische Stiftung in ihrer Nähe platziert? Anscheinend nicht viel. „Das war ganz und gar nicht ausreichend, das haben wir im Verlauf der Messe gemerkt“, sagt Amadeu-Antonio-Geschäftsführer Reinfrank. Die Messeleitung hätte selbst mehr dafür tun müssen, den Auftritt der Rechten öffentlich einzuordnen und zu kritisieren. „Diese Auseinandersetzung hätte nicht einfach an uns delegiert werden dürfen.“

Jürgen Boos kritisierte auf „Spiegel online“ wiederum die Medien, die durch ihr „Interesse an der Sensation“ den Auftritt der Rechten von vornherein skandalisiert und so zum hohen Erregungsgrad auf der Frankfurter Buchmesse beigetragen hätten. Von Selbstkritik keine Spur.

Zur Startseite