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Eine Stimme von Gewicht: Ralph Giordano.

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Ralph Giordano gestorben: Eine Stimme von Gewicht

Ralph Giordano war in Deutschland jahrzehntelang ein gefragter intellektueller Kopf. Seine Verfolgung in der NS-Zeit hat ihn bis zuletzt nicht losgelassen - ebenso wie sein Kampf gegen "die zweite Schuld". Jetzt ist der Schriftsteller und Journalist in Köln mit 91 Jahren gestorben.

Der Nachwelt wolle er als Aufklärer und Humanist in Erinnerung bleiben, hatte Ralph Giordano einmal gesagt. Am frühen Mittwochmorgen starb der Journalist und Publizist im Alter von 91 Jahren in einem Kölner Krankenhaus. Dort wurde er wegen eines Oberschenkelhalsbruchs behandelt, den er sich bei einen Sturz in seiner Wohnung zugezogen hatte. Von den Folgen der Verletzung und einer Operation erholte er sich nicht mehr.

Von besonderer Art war Giordanos Verhältnis zu Israel. Immer wieder machte er sich für den jüdischen Staat stark, verteidigte ihn, wo und wann immer es seiner Überzeugung nach nötig war. Vor allem erzürnte ihn die oft einseitige Schuldzuweisung im Nahostkonflikt. Und das bereitete im Kopfzerbrechen. "Ich wache morgens mit der Sorge um Israel auf und gehe mit ihr ins Bett – so hat Giordano selbst vor einigen Jahren einmal seine Beziehung zum "Mutterland" beschrieben.

Deutschland dagegen war nach eigenem Bekunden sein "kulturelles Vaterland". Und eine Heimat, die ihm oft genug das Leben schwer machte. Wie hätte es auch anders sein können! Giordano hat die Nazizeit im Untergrund überlebt – "Erinnerungen eines Davongekommenen“ lautet der treffende Titel seiner Autobiografie. Denn erst das "Dritte Reich" hatte aus ihm einen Juden gemacht. Und das bekam er erstmals in der Schule zu spüren.

Im Versteck überlebt

Als "Ralle" im Hamburger Johanneum April 1933 eingeschult wurde, das war im April 1933, wurden die Schüler in "Arier" und "Nichtarier" eingeteilt – Giordano und sein Bruder stellten sich zu den "Ariern". Sie wussten gar nicht, was das war. Doch fortan war er "der Jude". Damals begann für Giordano eine neue, schreckliche, Existenz bedrohende Zeit. Mehrmals verhörten und misshandelten Gestapo-Beamte den Sohn einer jüdischen Musikerin und eines italienisch-stämmigen Vaters. Er war 22, als die britische Armee ihn und seine Familie aus einen mit Ratten verseuchten Kellerloch im Norden Hamburgs befreite. Die Erlebnisse im unterirdischen Versteck verarbeitete Giordano zu seinem größten literarischen Erfolg: "Die Bertinis", einer stark autobiografisch geprägten Familiensaga, die 1982 erschien und später auch verfilmt wurde.

Aber die Nazis blieben auch nach dem Krieg eine bestimmende Größe in Giordanos Leben. Denn fortan kämpfte er gegen das in der Bundesrepublik um sich greifende kollektive Verdrängen an. Dass das neue Deutschland seinen Frieden mit den Tätern zu machte, empörte ihn. Die "zweite Schuld" nannte er das. "Sehr schnell nach 1945 war mir klar geworden: Hitler ist zwar militärisch geschlagen, aber geistig, oder besser gesagt ungeistig, nicht." Das war einer seiner Sätze, die oft von ihm – immer einen roten Schal um den Hals - zu hören waren

Ein streitbarer Geist, der auch verzeihen konnte

Doch Giordano war nicht nur ein streitbarer Geist, sondern konnte auch verzeihen. Und er schätzte die demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik. Auch weil sie ihm alle Möglichkeiten bot, sich beruflich zu verwirklichen – vor allem als Fernsehmann beim NDR und jahrzehntelang beim WDR. Kein Wunder, dass Giordano stets beteuerte, er werden den demokratischen Verfassungsstaat immer verteidigen. Vor allem gegen Angriffe von Rechts.

Allerdings teilte Giordano nicht nur aus, sondern musste oft auch heftige Kritik einstecken. Vor allem weil er immer wieder das "enorme Integrationsdefizit der muslimischen Minderheit in Deutschland" zum Thema machte und auf die "heillosen, haarsträubenden Zustände in Parallelgesellschaften" hinwies. So wetterte er lange Zeit gegen den Bau der Kölner Zentralmoschee, sprach sich für ein Minarettverbot aus und sprang Thilo Sarrazin bei.

Zuletzt aber gab sich Giordano auch selbstkritisch fiel: In der Auseinandersetzung mit dem Islam habe er sich in der Vergangenheit allzu leicht davontragen lassen: "Ich will nicht, dass mein Lebenswerk reduziert wird auf diesen Konflikt."

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