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Erinnerung an bessere Tage. In der Altstadt von Damaskus, 2009.

© Rolf Brockschmidt

Rafik Schami und sein Syrien-Roman: Die Narben des Lebens

Rafik Schami erzählt in dem bewegenden Roman „Sami und der Wunsch nach Freiheit“ von der Stimmung vor den Aufständen in Syrien

Ein Romancier kann anders als ein Journalist oder Dichter nicht direkt auf die Ereignisse seiner Gegenwart reagieren, und wenn er es unter dem Druck einer Revolution, einer politischen Niederlage oder aus Bitterkeit tut, kommt meist kein gescheiter Roman heraus“, schreibt Rafik Schami in seinem neuen Buch mit dem Titel „Ich wollte nur Geschichten erzählen“. Darin spricht er erstmals von seiner Tätigkeit als Schriftsteller im Exil.

Nun hat er parallel dazu mit „Sami und der Wunsch nach Freiheit“ einen Jugendroman zur syrischen Revolution geschrieben. Dieser Roman ist ganz anders konzipiert, als man es erwarten würde. „Romane, Erzählungen und Geschichten wachsen langsam wie Olivenbäume“, schreibt Schami, und so geht er auch bei Samis Geschichte vor. „Unser Leben ist keine stetige Linie. Es ähnelt eher einem Mosaikgemälde“, schreibt er zur Konzeption seines Erinnerungsbuches, und das gilt auch für seinen Jugendroman. Gewidmet hat er ihn den „tapferen Kindern von Daraa“, die im Frühjahr 2011 rebellierten, um den Erwachsenen zu helfen, aufrecht zu gehen“. Mit dem unschuldigen und harmlosen Protest der Kinder von Daraa begann das syrische Drama.

Rafik Schami hat einen wunderbaren Roman über eine Freundschaft in Syrien geschrieben.
Rafik Schami hat einen wunderbaren Roman über eine Freundschaft in Syrien geschrieben.

© Philip Waechter

„Sami und der Wunsch nach Freiheit“ ist die wunderbare Geschichte einer unzerstörbaren Freundschaft zwischen Sami und Scharif, die beide in der Altstadt von Damaskus aufwachsen.

Scharif, der 2012 nach Deutschland flüchtete und bei einem befreundeten Ehepaar des Autors untergekommen ist, erzählt diesem um den Preis einer Oud, einer arabischen Laute, die er so gerne spielt, die Abenteuer mit Sami. Man merkt diesem Roman Rafik Schamis Vorliebe für mündlich überlieferte Geschichten an. Sie bilden die Mosaiksteine, aus denen allmählich die Stimmung im vorrevolutionären und revolutionären Syrien entsteht. Wenn Scharif etwas erzählt, neigt er oft zur Abschweifung, korrigiert sich aber immer, um den Faden nicht zu verlieren.

Die beiden Jungen wachsen in einer Gasse im Christenviertel von Damaskus unter ärmlichen Bedingungen auf. Hier kennt jeder jeden, es ist fast wie in einem Dorf. Die Väter sind einfache Polizisten, die Mütter sind beste Freundinnen, die ihre Kinder fast zeitgleich zur Welt brachten – „Zwillinge von zwei Müttern“ nennt das Scharif. Zu den Protagonisten der Nachbarschaft gehört Elias, der pensionierte Postbote, der alles weiß, jeden kennt und unter armseligen Bedingungen in einem Zimmer lebt. Auch Elias ist ein guter Geschichtenerzähler, wie man im Laufe des Romans erfährt. Von ihm lernt Scharif die Oud zu spielen. „Doch so arm er als Rentner lebte, so reich waren seine Geschichten und Abenteuer, die er als Postbote erlebte“, erzählt Scharif. Die Kinder nennen ihn „Onkel“, weil er sie liebt und beschützt, auch gegen ihre Eltern.

In der Altstadt von Damaskus Altstadt im Frühjahr 2009.
In der Altstadt von Damaskus Altstadt im Frühjahr 2009.

© Rolf Brockschmidt

Schritt für Schritt führt Rafik Schami durch kleine Episoden in das Soziotop der Damaszener Altstadt ein, in der nachbarschaftlicher Zusammenhalt, aber auch Korruption an der Tagesordnung waren. Davon erfährt Scharif, wenn der Vater mit Lebensmitteln nach Hause kommt, die für ein Festessen reichen, nur weil er Händlern erlaubt hat, ihre Waren auf die Straße zu stellen, was eigentlich verboten ist.

Geschichte reiht sich an Geschichte, so, wie etwa Sami und Scharif nicht mehr mit ihren Müttern in den Hammam – „das Bad ist wie eine Kathedrale der Träume“ – dürfen, weil sie doch schon so groß seien. Für die beiden Jungs kommt das der Vertreibung aus dem Paradies gleich.

„Unsere Schule erinnerte eher an eine Kaserne und hatte mit einer Bildungseinrichtung für freie Menschen wenig zu tun. Hier wurden die Schüler gedrillt auf die Liebe zum ,Präsidenten’ und den Hass gegen seine Feinde“, erzählt Scharif. Die Episoden aus dem Unterricht sind für den Leser niederschmetternd. Beziehungen zu wichtigen Leuten in der Regierung und des Geheimdienstes spielten eine übergeordnete Rolle, sie entschieden über Karrieren von Schülern und Lehrern.

In einem Soukh in der Altstadt von Damaskus, 2009. Foto: Rolf Brockschmidt
In einem Soukh in der Altstadt von Damaskus, 2009. Foto: Rolf Brockschmidt

© Rolf Brockschmidt

Sami erscheint als ein Junge, der viel riskiert für seine Mitmenschen, der sich dabei auch Narben zuzieht. Jede verheilte Wunde hat eine Geschichte. Das Prinzip zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Mit den Jugendlichen erlebt man allmählich, wie sich die Zustände in Syrien verschlechtern, wie Ungerechtigkeit und Unterdrückung immer spürbarer werden, bis es im Alltag nicht mehr zu aushalten ist.

Rafik Schami erzählt die Geschichte vom „Wunsch nach Freiheit“ ganz unaufgeregt, der Druck im Kessel steigt, und damit auch der Mut der Protagonisten. Es ist kein Actionroman heroischer Widerstandskämpfer, sondern eine Hommage an Menschen, die sich ihre Würde bewahrt haben bis zum Schluss.

Rafik Schami: Sami und der Wunsch nach Freiheit. Roman. Beltz & Gelberg, Weinheim Basel 2017. 326 Seiten. 17,95 €. Ab 14 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

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