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Zwischendrin. Sivan Ben Yishai, Jahrgang 1978, studierte in Tel Aviv und Jerusalem Regie und Szenisches Schreiben. Sei fünf Jahren lebt sie in Berlin. Die Radikalen Jüdischen Kulturtage finden im Gorki Theater statt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Radikale Jüdische Kulturtage: Die Lichtanknipserin

Desintegriert aus Überzeugung: Die israelische Autorin Sivan Ben Yishai eröffnet die Radikalen Jüdischen Kulturtage im Berliner Gorki Theater.

Sorry, Missverständnis: „Ihr seid wirklich an einem ganz falschen Ort gelandet, meine Judenliebhaber. Hier gibt es weder die poetische Adaption von Texten eines erfolgreichen zionistischen Schriftstellers durch eine junge israelische Regisseurin noch drei unterdrückte Geigenspieler in identischen Kleidern, die euch Klezmerversionen von Wagner vorspielen!“ Stattdessen: eine Dankesrede, die bengalische Feuer zündet, wo der feierliche Rahmen sonst höchstens Wunderkerzen vorsieht. Die aus Champagnerkelchen einen Scherbenteppich schlägt und alle, die sich trauen, zum Lauf darüber einlädt.

Der Monolog, in dem eine jüdische Künstlerin vor Publikum einen Preis entgegennimmt, trägt den Titel „Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“. Geschrieben hat ihn die Dramatikerin Sivan Ben Yishai, die 1978 geboren wurde, in Tel Aviv und Jerusalem Theaterregie und Szenisches Schreiben studiert hat und die seit fünf Jahren in Berlin lebt. Fünf Jahre, in denen ihr Name verlässlich vom Klammer-Zusatz „israelische Künstlerin“ oder „jüdische Künstlerin“ begleitet wurde. Bloß was das bedeutet, mitten im Deutschland der Gegenwart, welche Wahrnehmung und Erwartung damit verbunden ist, das bleibt meist unhinterfragt. So einfach lässt der „Juppi Ja Jey Jude“ uns nicht davonkommen.

Das Stück, das die Dramatikerin und Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann („Außer sich“) als Regiedebüt zur Premiere bringt, eröffnet die „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ im Studio R des Gorki Theaters. Wie schon der Kongress „Desintegration!“ im vergangenen Jahr, wird dieses Festival – erneut von Salzmann und Max Czollek kuratiert – eine Positionsbestimmung jüdischen Kunstschaffens in Berlin vornehmen.

Radikal? Das steht für Sivan Ben Yishai nicht im Vordergrund: „Ich habe generell kein Faible für Adjektive und beschränke sie auch in meiner Arbeit auf ein Minimum“, sagt sie. Was sie tatsächlich radikal findet, wonach sie sucht, ist, „in der Kunst eine neue Perspektive einzunehmen.“

Die Liebe der Deutschen

Das gelingt ihr. Mit staunenswerter Beständigkeit. Ihr Stück „I know I’m ugly but I glitter in the dark“, das 2015 im Radialsystem anlässlich des ID-Festivals uraufgeführt wurde, beschrieb in irritierender Schwebe den Zustand einer inneren Emigration, gefedert durch die trügerische des Internets. „Your Very Own Double Crisis Club“ – ausgewählt für die diesjährigen Autorentheatertage am Deutschen Theater – verschärfte das Diaspora-Thema in Form eines wuchtigen Botenberichts Geflüchteter aus einer lodernden, sterbenden Stadt: „Unsere Mütter wurden auf den Straßen verbrannt wie Hexen, unsere Fußballmannschaften sind aus der Liga geflogen, und keine Eurovisions-Partys mehr für uns“. Eigentlich, sagt Ben Yishai, war auch der „Crisis Club“ schon eine Dankrede, „eine mit gebrochenen Knochen“.

In ihrem Monolog nun schlägt der geehrten Künstlerin von Seiten der Deutschen überwältigende Liebe entgegen. „Ich kann alles sagen, sie werden immer nicken, aber nicht auf die dumme Art, sie stimmen wirklich zu!“ Eine großartig entlarvende Überspitzung. Denn natürlich ist das Verhältnis komplizierter. Als sie nach Berlin kam, erzählt Ben Yishai, da wollte sie den Widerstand gegen die Politik der israelischen Regierung und die Okkupation über die Grenzen ihres Landes tragen. Eine internationale Debatte vorantreiben. Was ihr jedoch oft begegnete, das war die einseitige Sicht von vermeintlichen Musterschülern der Geschichte, die sich auf der sicheren, zivilisierten Seite wähnten. Und die mit Schaulust und Gruselgenuss einen Eindruck von der Gewalt und den Verfehlungen in Israel bekommen wollten. Die Situation erinnert die Autorin „an eine Peepshow“. Hier der helle Spot, dort das behagliche Dunkel. „Als Künstlerin kann ich die Nacktheit akzeptieren“, sagt sie. „Aber ich werde auch das Licht im Zuschauerraum anknipsen“. Zum gemeinsamen Tanz auffordern. Die Frage aufwerfen: „Was ist es, das ihr sehen wollt?“

Sivan Ben Yishai schreibt und spricht mit der geschärften Wachheit einer Wurzellosen. „Ich würde nie Berlin als meine Heimat bezeichnen. Und genauso wenig Tel Aviv“, sagt sie. Wie die amputierten Pflanzen im Garten der Diaspora des Jüdischen Museums Berlin – wo sie ihr Stück ironisch funkelnd ansiedelt – hänge sie in der Luft. Desintegriert aus Überzeugung. Bewusst in die älteste jüdische Tradition überhaupt gereiht: „Der wandernde Jude, der kein Land hat“. Von den gegenwärtigen Ausprägungen dieses Zustands werden die „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ einen Begriff geben. Mit den „Juden-Monologen“, zu denen auch Max Czolleks „Celan mit der Axt“ sowie Marina Frenks „Valeska Gert – The Animal Show“ zählen. Mit einer Diskurs- und Filmreihe, die überschrieben ist mit dem Titel „Neue jüdische Leitkultur“.

Ein eigener Blick aufs deutsche Theater

Einen willkommeneren Kontrast zu einer Gegenwart, in der mindestens 13 Prozent der Deutschen nach neuen Schlussstrichen rufen, kann man sich kaum denken. „Egal, wohin du gehst, du wirst immer auch den Hass in der fremden Kultur entdecken“, sagt Sivan Ben Yishai.

Die Künstlerin hat sich mit dem Weggang aus ihrem „brennenden Land“ auch von ihrer Muttersprache verabschiedet. Ihre Stücke entstehen auf Englisch, nicht auf Hebräisch, worin sie, mit Samuel Beckett, eine Notwendigkeit sieht - das Vertraute hinter sich zu lassen, um zu verstehen, was man wirklich sagen möchte. Das schützt nicht zuletzt vor Arroganz. Und blinder Wut. „Es ist schwer, aggressiv zu sein in einer fremden Sprache“, sagt Ben Yishai. Wäre auch eine gute Übung „für unsere wunderbaren politischen Führer“ – sich aufs Terrain des vorsichtigen Tastens zu begeben.

Dass jede kritische Haltung, jedes politische Statement, jedes Ringen um Identität schneller vom Kunstmarkt mit seinen neoliberalen Kräften vereinnahmt wird, als man Che Guevaras Konterfei aufs T-Shirt drucken kann, auch das weiß die Dramatikerin. Das ist ein weiteres großes Thema in der „Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“, dem zweiten Teil ihrer Tetralogie „Let the blood come out to show them“.

Niemand, der gehört werden will, entkommt dem Markt mit seinen Wettbewerben und Auszeichnungen, die tatsächlich nur die Künstler kontrollieren sollen, so sieht Ben Yishai das. „Füge ein bisschen des demokratisch-zivilisierten Spirits und eine dezente Referenz zur deutsch-jüdischen Geschichte fürs Karma, und Ching Ching, du hast das Geld“, heißt es im Stück über das berechenbare Subventionssystem.

Sivan Ben Yishai kann sich aus dem Widerspruch nicht lösen, Teil dessen zu sein. Will sie auch gar nicht. Aber sie schafft es, einen ganz eigenen Blick aufs deutsche Theater zu werfen. Einen radikal anderen.

„Die Geschichte vom Leben und Sterben des neuen Juppi Ja Jey Juden“: Do/Fr 2./3.11., 20.30 Uhr im Studio R des Gorki Theaters bei den „Radikalen Jüdischen Kulturtagen“ (2.-12. November)

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