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Solidarität. Zahlreiche Kulturschaffende verwenden sich für den Regisseur Kirill Serebrennikow.

© Bernd Weissbrod/dpa

Protestnote zu Serebrennikows Inhaftierung: Der letzte Zug

Der Dramatiker Marius von Mayenburg hat eine Petition gegen die Verhaftung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow initiiert. Zahlreiche Kulturschaffende unterstützen ihn.

Gemeinsam mit Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier hat der Dramatiker Marius von Mayenburg eine Petition gegen die Verhaftung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow initiiert. Das auf www.change.org veröffentlichte Schreiben wurde von zahlreichen namhaften Künstlern und Kulturschaffenden unterzeichnet, darunter Maren Ade, Cate Blanchett, Teodor Currentzis, Lars Eidinger, Carolin Emcke, Jürgen Flimm, Elfriede Jelinek, Barrie Kosky, Ulrich Khuon, Igor Levit, Julian Rosefeldt und Volker Schlöndorff. Sie fordern die russische Staatsanwaltschaft auf, die Strafverfolgung einzustellen und die fadenscheinigen Vorwürfe gegen Serebrennikow fallenzulassen. Auch appellieren sie an Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel, „aufs Schärfste darauf zu drängen, dass Serebrennikow nicht als Opfer eines politisch motivierten Rufmords im Gefängnis landet“. In diesem Beitrag schildert von Mayenburg die Absurdität des Falls und Serebrennikows Ensemblearbeit, die in Russland Tradition hat.

Am 22. August ist Kirill Serebrennikow verhaftet und bis zur Gerichtsverhandlung unter Hausarrest gestellt worden. Ihm wird vorgeworfen, staatliche Gelder veruntreut zu haben, unter anderem soll eine finanzierte Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ nie stattgefunden haben.

Natürlich hat diese Inszenierung stattgefunden. Es gibt Videoaufzeichnungen, die Produktion wurde sogar für den Russischen Nationaltheaterpreis nominiert, sie wurde in Moskau, Riga und Paris gezeigt und läuft immer noch im Gogol Center in Moskau. Tausende Zuschauer können es bezeugen. Theater ist eine vergängliche Kunst, aber so vergänglich dann auch wieder nicht, dass man eine ganze Inszenierung wie ein Geisterschiff im Nebel verschwinden lassen könnte, als hätte sie nie existiert. Aber genau das scheint das Ziel zu sein: Die Arbeit dieses Künstlers verschwinden zu lassen und eine unabhängige Stimme, die sich seit Jahren ohne Rücksicht auf staatliche Vorgaben lautstark zu Wort meldet, zum Schweigen zu bringen.

Serebrennikow hat sich mächtige Feinde gemacht

Es ist kein Geheimnis, Serebrennikow hat sich in den letzten Jahren mächtige Feinde gemacht. In seinen Inszenierungen hat er offen die Unfreiheit der russischen Gesellschaft, den wachsenden Einfluss der orthodoxen Kirche und die Willkür der staatlichen Organe kritisiert. Seiner Verfilmung des Lebens von Tschaikowski wurde 2013 die Finanzierung entzogen, aus Angst, der Film könnte die Homosexualität des Komponisten thematisieren. Ein Ballett am Bolschoi-Theater über Rudolf Nurejew wurde im Juli kurz vor der Uraufführung aus kaum verhohlenen homophoben Motiven abgesagt. Wunderten sich seine Freunde in Deutschland in den vergangenen Jahren noch, wie scheinbar unbehelligt der Regisseur seine Kritik äußern durfte, ist die Luft für ihn in Russland immer dünner geworden.

Ich habe Serebrennikow kennengelernt, als er mit seiner Adaption von Lars von Triers „Idioten“ 2014 beim „Festival Internationale Neue Dramatik“ (F.I.N.D.) an der Schaubühne gastierte. Schon zwei Jahre zuvor hatte er mit „Otmorozki“ das Studio der Schaubühne aufgemischt. „Idioten“ war eine ähnlich wütende Inszenierung, die sehr frei mit der Filmvorlage umging. Wo Lars von Triers „Idioten“ auf unterhaltsame Art die Toleranz der dänischen Gesellschaft einem Stresstest unterzogen, wandte Serebrennikow mit seiner jungen Schauspieltruppe den Stoff noch eindeutiger ins Politische.

Er erklärte mir nach der Aufführung, es gebe in der russischen Gesellschaft keine Toleranz, sondern eine dürftig kaschierte, staatlich tolerierte und manchmal auch geförderte Gewalt gegen Minderheiten. Diese unterschwellige Gewalt brachten seine „Idioten“ durch ihre gespielten Behinderungen in alltäglichen Szenen zur Explosion und zwangen sie so ins Rampenlicht. Es war eine Form von guerilla-artiger Intervention, die einen mit realistischer Wucht in Bann schlug.

Er ist Lehrer und Mentor einer Klasse der Moskauer Schauspielschule

Serebrennikow hatte eine Truppe von jungen Darstellerinnen und Darstellern um sich geschart, die in virtuosem Wechsel selbst noch die kleinsten Rollen mit Furor und künstlerischem Ernst erfüllten. Kern dieser Truppe, mit der er bis heute zusammenarbeitet, ist eine Klasse der Moskauer Schauspielschule, an der er als Lehrer und Mentor tätig ist. Mit diesen jungen Schauspielern gründete er zunächst eine freie Gruppe. Seit 2012 arbeitet er mit ihnen am Moskauer Gogol Center, das sich in kürzester Zeit zum Magnet für ein junges, liberales Publikum entwickelte.

Dass eine Theaterinstitution aus einer Schule, aus einer Schauspiel-Lehre heraus entsteht, hat in Russland Tradition. Stanislawski und Meyerhold waren Begründer solcher Schauspiel-Lehren. Wie diese großen russischen Theaterrevolutionäre weist Serebrennikow dem Theater eine klare Funktion zu. Es ist für ihn ein unbestechlicher Spiegel der Gesellschaft, auch wenn das Bild, das dabei gezeichnet wird, nicht allen Menschen angenehm ist. Die Schauspieler agieren als eigenständige Künstler, jeder von ihnen trägt die volle Verantwortung für sich selbst, seine Mitspieler und die gesamte Inszenierung. Es ist wahres Ensembletheater, wie man es nur sehr selten sieht. (Dass Meyerhold 1939 unter Stalin verhaftet und ein Jahr später hingerichtet wurde, ist in diesem Zusammenhang eine makabre Fußnote.)

Meine zweite Begegnung mit Serebrennikow fand im gleichen Jahr statt. Im Oktober 2014 inszenierte er mein Stück „Märtyrer“ am Gogol Center. Es handelt von einem Jungen, der immer tiefer in christlichen Fanatismus abdriftet und schließlich gewalttätig wird. Serebrennikow bat mich, einige kleine Änderungen am Text vornehmen zu dürfen, um das Stück der russischen Wirklichkeit anzupassen. Vor allem wollte er die Rolle des Pfarrers so fassen, dass das Publikum einen wiedererkennbaren Vertreter der orthodoxen Kirche vor sich hatte.

Der mit nichtstaatlichen Mitteln finanzierte Film lief sogar in Cannes

Aus der erfolgreichen Inszenierung entstand kurz darauf ein komplett aus nichtstaatlichen Mitteln finanzierter Film, der 2016 in Cannes lief und in Deutschland unter dem Titel „Der die Zeichen liest“ ins Kino kam. Gerade weil der Film präzise und satirisch russische Lebenswirklichkeit abbildet, kommt er zu einer globaleren Aussage über religiösen Fanatismus: Dass Menschen in einer aufs Jenseits fokussierten Ideologie die Legitimation suchen, um im Diesseits Macht und Kontrolle über ihre Mitmenschen auszuüben. Das stimmt für den islamistischen Fundamentalismus genauso wie für die orthodoxe Kirche in Russland. Nach der Filmpremiere in Berlin im Januar ging es um die momentane Situation der Künstler in Russland. Kirill sagte, das Hauptproblem sei nicht die Zensur oder Putins Gesetz „gegen homosexuelle Propaganda“, sondern die Tatsache, dass Künstler sich von Paragrafen einschüchtern ließen, noch ehe sie zur Anwendung kommen. Dass Künstler sich in vorauseilendem Gehorsam selbst zensierten.

Solchen Einschüchterungsversuchen hat er sich nie gebeugt. Aber er hat die Gefahr auch nicht unterschätzt. Er weiß sehr genau, welche Risiken er mit seinen Arbeiten eingeht. Thomas Ostermeier, der ihn oft in Moskau besucht hat, wollte einmal von ihm wissen, wie es um seine eigene künstlerische Freiheit bestellt sei. „Die Frage ist nicht die nach künstlerischer Freiheit“, meinte Kirill, „die Frage ist, ob ich den letzten Zug noch erwische oder ihn schon verpasst habe“. Die Antwort darauf erwarten seine Freunde und Kollegen in diesen Tagen mit großer Sorge.

Hier gelangen Sie zur Petition: www.change.org/kirill

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