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Der Geist der großen Zeit. Gäste vor der Kneipe „Kommandantur“ in der Rykestraße, Ecke Knaackstraße im Juli 1999. Foto: Ullstein

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Prenzlauer Berg: Tristesse royale

Luxuswohnungen, Schummerkneipen, Szenebars: In Prenzlauer Berg stimmen die Klischees. Aber auch das Alte lebt. Ein kleiner Rundgang durch den Kiez.

Das Schöne an Prenzlauer Berg ist, dass sich hier alles genau so schlimm darstellt, wie man immer hört oder in zahllosen Texten liest – es gibt sie tatsächlich , die fiesen „Lassen-Sie-mich-durch-ich-bin-doch-Mutter“-Mütter, die neuen Väter, die doch auch die alten sind, weil sie das Geld ranschaffen, die verwöhnten Kinder, die explodierenden Mieten, die allgegenwärtige Verdrängung. Dann aber stellt sich doch vieles wieder ganz anders dar. Neben dem Schlimmen existiert in Prenzlauer Berg viel Seltsames, Gutes, und das ändert sich so lange nicht, wie mit den Straßenbahnen auch der Autoverkehr vierspurig durch Prenzlauer Allee, Schönhauser Allee und Greifswalder Straße rollt.

Man muss nur die Prenzlauer von der Raabestraße auf der rechten Seite Richtung Norden laufen, um gleich drei Lokale zu entdecken, in die die Bewohner der Dachgeschosse am Kollwitzplatz oder im Bötzowviertel nie einen Fuß setzen würden. Das „Café Prenzlau“, in dem sich früher an bestimmten Tagen Nazis und Skins trafen, das heute aber auf „gutbürgerlich“ setzt, donnerstags Eisbein anbietet und samstags zur „Disco“ lädt. Ein Haus weiter gibt es eine Sportsbar, die sich auch nach der Hausrenovierung hält („Bodega“ steht nun drüber) und immer voll ist, wenn Fußball kommt. Schließlich, kurz hinter der Immanuelkirchstraße, eine Schummerkneipe namens „Bine“. Hier gibt es auch Fußball, dann kostet das gezapfte Bier 1,50. Hier sitzen aber auch sonst Alteingesessene, trinken, essen garnierte Wurstbrote, rauchen billige Zigarren, spielen Karten.

Die Frage ist, ob man das Leben in Läden wie diesen angesichts des Bevölkerungsaustauschs in Prenzlauer Berg schon „Subkultur“ nennen soll. Oder ob sich diese nicht doch in herkömmlichen Szeneläden findet. So wie etwa im „Neu“, einer Bar, die seit fast zwei Jahren auf der Greifswalder ansatzweise die Lücke besetzt, die die Konzertläden Knaack und Magnet hinterlassen haben.

Das „Neu“ erinnert an eine dunkle, lauschige Höhle und an die 8-mm-Bar an der Schönhauser Allee (die Betreiber sind dieselben, heißt es). Hier läuft Musik von Nick Caves Altmänner-Krachrock-Combo Grinderman, von Sonic Youth, aber auch Sixties-Beat. Hier sitzen und stehen Amis, Spanier und Prenzl- und Kreuzberger zusammen, 20- wie 50-jährige, und manchmal sind gar mehr Frauen als Männer da, was vielleicht mit Lucien zu tun hat, einem der DJs, der für neuere Sounds von Panda Bear, Burial bis The XX zuständig ist.

Rappelvoll ist es selten im „Neu“. Steht man aber wochenends ein paar Stunden am Stück herum, herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, und man fragt sich: Wo kommen die bloß alle her? Ist Prenzlauer Berg doch ein Szenebezirk? Ist der Bezirk doch noch nicht so schrecklich homogen, wie alle immer sagen und schreiben? Gibt es hier nicht noch immer viele Menschen, die weder alteingesessen noch Gentrifizierer sind, zwischen dreißig und fünfzig und kinderlos?

Das „Sorsi e Morsi“ in der Marienburger, betrieben von einem Italiener, entspricht der Homogenitätsthese eher. Es ist der Treffpunkt der von Arbeit und Kindern erschöpften Neu-Prenzlauer-Berger, die hier tatsächlich leckeren Wein trinken und vor allem rauchen, was die Lungen vertragen – und was in der eigenen Wohnung nicht erlaubt ist. Das „Sorsi e Morsi“ ist der Klischeeladen schlechthin. Trotzdem dürfte sich das Publikum hier etwa mit dem der in der Prenzlauer Allee, fast an der Danziger Straße wiedereröffneten „Luxus Bar“ durchaus kreuzen.

Die Räume im „Luxus“ sind größer als ehedem in der Belforter Straße, der spezielle Charme aber hat sich erhalten: Wenn es voll ist, ist alles gut. Wenn nur ein paar Leute da sind, ist die Tristesse groß, aber für die meistens allein an der Theke sitzenden Männer genau das Richtige.

Man kommt in dieser dann trübseligen Atmosphäre auf den Gedanken, dass es natürlich auch bei den Neu-Prenzlauer-Bergern Verlierer geben muss. Vor beruflichen Abstürzen ist in Dauer-Finanzkrisenzeiten keiner gefeit, vor Sinnkrisen sowieso nicht. Und Kummer ertränken kann man im „Luxus“ genau wie in der „Bine“.

Ein Soziallabor dürfte der Bezirk weiterhin bleiben, mit neuen, feinen Unterschieden – und auch weil es inzwischen mehrere Generationen von Zugezogenen gibt und irgendwann Zwölf- bis 18-Jährige das Straßenbild dominieren müssten. Wiewohl es die, die in den neunziger Jahren gekommen sind, nicht leicht haben. Denn etwa innerhalb des Bezirks die Wohnung zu wechseln, zumal mit Kindern, ist als Durchschnittsverdiener fast unmöglich.

Da standen wir also am Silvestermorgen in einer 125 Quadratmeter großen, in einer Seitenstraße der Prenzlauer gelegenen 4-Zimmer-Wohnung von weitläufig Bekannten, die Berlin aus beruflichen und familiären Gründen im März verlassen. Die beiden, er Ingenieur, sie Ärztin, ein Kind, hatten die Wohnung 2006 gekauft, sie betrachten sie jetzt als „Investment“, wie er sagt. Mieter, die sie kennen und die lange bleiben, die wären ihnen am liebsten. Auf Scherereien mit ständig wechselnden Mietern haben sie keine Lust. Von Zugeständnissen ist vorher am Telefon die Rede, und bei der Besichtigung sagt er doch tatsächlich: „Wir gehen von zwölf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter auf elf Euro runter, das scheint mir angemessen.“ So, so. Der Mann ist kein Immobilienhändler, kein klassischer Vermieter. Aber den Markt, den kennt er, da interessiert ihn auch der Berliner Mietspiegel nicht, der für seine Straße noch immer höchstens 5,82 Euro Kaltmiete vorsieht.

Nur gut, dass es noch Menschen gibt, die Glück haben. Wie eine Kollegin, die nach einem Ausflug in eine riesengroße Wohnung in Pankow mit Mann und Kind partout in den Wins-Kiez zurückwollte: „Die Wohnung, die wir jetzt gefunden haben, ist kleiner und teurer. Aber es gibt nichts Schlimmeres als reine Wohnstraßen“, so ihre Worte. 

Und nur gut, dass auch in von Grund auf sanierten Häusern nie alles rund läuft, es hier gewissermaßen spukt. So wie in dem Haus an der Ecke Ryke-, Knaackstraße, gegenüber dem Wasserturm. Hier befand sich in den neunziger Jahren die „Kommandantur“, eine halblegale Sauf-, Szene-, und Absturzbar, wie sie typisch war für die Zeit.

Nach Schließung und Sanierung (der Schriftzug „Kommandantur“ blieb seltsamerweise lange erhalten) versuchten sich unterschiedlichste Restaurantbetreiber in dem Haus, zumeist im Jahreswechsel. Seit November ist wieder ein Italiener drin. Hat den keiner gewarnt? Denn hier scheint der widerständige Geist des alten Prenzlauer Bergs den neuen sehr erfolgreich zu bekämpfen.

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