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AfD-Demonstranten im Jahre 2015 in Mecklenburg-Vorpommern.

© Bernd Wüstneck/dpa

Populismus-Studien: Alle sind das Volk

Aufklärender Lesestoff nach der Bundestagswahl 2017: In der Kolumne "Flugschriften" geht es diesmal um die Rhetorik der Rechten und den Diskurs über Flüchtlinge.

Von Caroline Fetscher

Als „rechtspopulistische Erlebnisangebote“ erkennt Jan Lohl die Großveranstaltungen von AfD, Pegida und anderen Akteuren der Gegenwart. Der Essay des psychoanalytisch geschulten Frankfurter Soziologen ist das aktuelle Kernstück eines erhellenden Bandes zum Thema Populismus. (Kurt Grünberg, Wolfgang Leuschner (Hrsg.): Populismus, Paranoia, Pogrom. Affekterbschaften des Nationalsozialismus. Oktober 2017. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main, 2017. 184 S., 19,90 €).

Tiefenhermeneutisch schlüsselt Jan Lohl die typische, „triadische“ Struktur populistischer Reden auf, wonach zunächst die vermeintlichen Gefahren für das geschwächte „Volk“ beschworen werden, dann dessen Größe suggeriert und schließlich die Rettung durch die Ideologie des Redners und seiner Gruppe als Verheißung erklingt.

Aufsätze, die aufklärender kaum sein könnten

Allen Autorinnen und Autoren der Anthologie geht es um intergenerationelle Affekterbschaften und den Umgang mit ihnen. Thilo Sarrazins Hetze („Deutschland schafft sich ab“, 2010), seine „autoritäre Antwort auf die Weltfinanzkrise“ deutet der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke in seinem Beitrag „Politik und Paranoia“ als Startpunkt einer Dynamik, die über Gruppierungen wie „Hooligans gegen Salafismus“ zur aktuellen Situation führt, in der Gewaltkollektive sich in Szene setzen.

Pünktlich zum Wahlausgang erschien dieser Band, was womöglich den Zeitdruck des Lektorats erklärt, dem so manche Druckfehler entgingen. Doch das soll und kann die anregende Lektüre kaum wirklich stören. Das Buch versammelt Aufsätze, die aufklärender kaum sein könnten, auch wenn die affektiven Erbstücke in erster Linie auf das NS-Regime bezogen werden und weniger – was ebenfalls naheliegt – auf das Regime der DDR. Wer die latenten Inhalte rechter Propaganda in deren manifestem Wortlaut lesen will, erhält hier einen exzellenten Leitfaden. Deutlich wird in sämtlichen Beiträgen, wie die Vergangenheit in der Gegenwart ihr je eigenes Regime führen kann. Je weniger es verstanden, entgiftet und transformiert wurde, desto wirkmächtiger pflanzt sich Vergangenes fort. In der Aufklärung über diese Dynamiken liegt eine elementare Aufgabe der heutigen Demokratie.

Rechte konstruieren die Figur des bedrohlichen „Fremden“

Mit gesellschaftlichen Imaginationen befasst sich auch die eben erschienene Studie der Ethnologin Heidrun Friese, Migrationsexpertin und Professorin für interkulturelle Kommunikation. (Heidrun Friese: Flüchtlinge: Opfer – Bedrohung – Helden. Zur politischen Imagination des Fremden. transcript verlag, Bielefeld, 150 Seiten, 14, 99 €.). Die Forscherin geht der Frage nach, welches Bild von „Flüchtlingen“ in welchen Milieus und auf welche Weise entsteht. Rechte Sprechweisen konstruieren die Figur des bedrohlichen „Fremden“ als Basis für rassistische Exklusion, humanitäre Positionen sehen Geflüchtete als hilfsbedürftige Objekte für ethisches Handeln, während linke Diskurse Geflüchtete zu Heroen stilisieren, die sich, quasi als Aufständische wider den Kapitalismus ihr Recht nehmen. Mit literarischer Verve und kluger Analyse untersucht die Autorin die sprachlichen und visuellen Repräsentationen der drei Imaginationswelten. Über eigene Subjektivität, so der Schluss, verfügen die Objekte dieser Diskurse nicht.

Eine weitere Anthologie (Frank Dietrich, Hrsg: „Ethik der Migration“, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2017, 262 Seiten, 18,50 €.) widmet sich den theoretischen Grundlagen von Mobilität. So möchte der kanadische Politikwissenschaftler Arash Abizadeh die „fundamentale Spannung zwischen Liberalismus und Demokratietheorie, wenn es um Grenzen geht“ auflösen. Die Demokratietheorie müsse sich etwa der Frage stellen, wodurch das hoheitliche Recht, Grenzen zu schließen, überhaupt legitimiert werde.

Um „Demos“ und „Ethnos“, die Begriffspole Bevölkerung und Volk, geht es in Michael Wildts herausragender Untersuchung zur Frage, wie und woraus sich der Anspruch für die Erklärung „Wir sind das Volk. Die Anderen nicht“ ergibt. Prallgefüllt mit Ambivalenzen und Abgründen ist das politische Konzept „Volk“ und war es, so erklärt es der Historiker, von seiner Genese an. (Michael Wildt: Volk, Volksgemeinschaft, AfD. Verlag Hamburger Edition, Hamburg 2017. 160 Seiten, 12 €.). Alle diese Titel bieten eins: Aufklärenden Lesestoff nach der Bundestagswahl 2017.

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