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Bewegender Sänger mit geschundener Gitarre: Willie Nelson.

© AFP

Konzertkritik: Willie Nelson: Wie die Zeit vergeht

Enthusiastische "Willie, Willie"-Rufe im voll besetzten Tempodrom. Der 77-jährige Willie Nelson schreitet unter stürmischem Jubel drahtig lässig auf die Bühne, in schwarzen Jeans, Hemd, Cowboyhut, unter dem die langen weißen Haare hervorquellen.

An der Rückwand hängt eine riesige Fahne des Staates Texas, in Texas ist er aufgewachsen und nach Texas ist er zurückgegangen, nachdem er Nashville, Tennessee, den Rücken gekehrt hatte, sowie seiner dortigen Plattenfirma RCA, die ihm für seine Aufnahmen den typischen sterilen Nashville-Country-Sound aufdrängen wollte.

"Whiskey River", der erste Song des Abends, stammt vom Album "Shotgun Willie" (1973), dem ersten, das er für die Firma Atlantic mit größerer künstlerischer Freiheit aufgenommen hat, und das seinen Ruf als "Country-Outlaw" begründete. Schon damals begleiteten ihn seine ältere Schwester Bobbie am Piano, der Bassist Dan Spears und der Drummer Paul English, die noch heute zur Willie Nelsons "Family"-Band, gehören. Bobbie tinkelt flinke Honky-Tonk-Figuren und Nelsons alter Freund Paul bedient offenbar nur eine Snare, sehr gekonnt, ohne Becken, ohne alles, während dessen Bruder Billy diverse Perkussionsinstrumente schüttelt und klopft. Mickey Raphael bläst eine abwechslungsreiche Mundharmonika, die kreischt, heult und weint - und gelegentlich wie ein Tex-Mex-Akkordeon klingt. Die Gitarrenparts zaubert Nelson mühelos lässig improvisiert auf seiner geschundenen, legendären 1969er Martin N-20 Nylonsaiten-Akustikgitarre "Trigger". Sehr einfallsreich und vielseitig, von mexikanischen Akkordfolgen über vertrackte Jazz-Skalen bis zum bodenständigen Blues.

Eine festgelegte Setliste gibt es nicht, Nelson singt und spielt, was ihm gerade Spaß macht, und schöpft dabei aus einem enormen Fundus. "Funny How Time Slips Away" geht nahtlos über in "Crazy", das er einst für Patsy Cline geschrieben hat, ein großer Hit 1961. "Nightlife ain't no good life, but it's my life" singt Nelson mit seinem unverwechselbaren näselnden Bariton und spielt ein berauschendes Blues-Solo auf der Gitarre. Texas-Swing und Soul, "Georgia On My Mind" von Ray Charles. Beseelt interpretiert er den alten Elvis-Hit "You Were Always On My Mind" und ehrt den großen Hank Williams mit rasanten Versionen von "Jambalaya", "Hey Good Looking" und "Movin' On Over". Die Band folgt ihm traumwandlerisch, wohin auch immer es ihn zieht. Piano-Solo, Harmonika-Solo und wieder Willie an der Gitarre. Alles wird immer besser, eingespielter, bewegender, mitreißender. Nach 34 berauschenden Songs, "The Party's Over" und "I Saw The Light" stehende Ovationen und tosender Jubel für einen ganz großen Musiker, der glänzte und verzauberte mit Aufrichtigkeit und tiefer Seele.

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