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© AFP

Konzertkritik: The Killers klauben im Trash

Gerissene Gaukler: The Killers gehen ihren Weg vom Indie-Dancefloor zum Lasergewitter der Großraumdisco konsequent weiter - auch bei ihrem Konzert in der Berliner Max-Schmeling-Halle.

Kein Song hat in den letzten Monaten für so leidenschaftliche Kontroversen gesorgt wie „Human“. Die im September 2008 erschienene erste Single aus dem dritten Album der Killers wird gehasst von allen, die das Lied mit seinen Stampfbeats und dem debilen, aber unglaublich eingängigen Refrain als Ausverkauf an ein hässliches Eurodisco-Revival, als Geschmacksverirrung einer zu großen Hoffnungen berechtigenden Band bewerten. Von den etwa 12.000 Zuschauern in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle dagegen wird der Konzert-Opener „Human“ genau dafür bejubelt, dass er mit dem Märchen der vom Pfad der Tugend abgekommenen Gitarren-Band sofort aufräumt: Die Killers sind den Weg vom schummrigen Indie-Dancefloor zum Lasergewitter der Großraumdisco konsequent bis zum Ende gegangen. Und es wird deutlich, dass dies offenbar schon immer ihr Ziel war. Auch einige der älteren Stücke bekommen durch dezente Änderungen im Arrangement und untergeschobene Viervierteltakte den nachträglichen Ballermann-Wumms. Im Grunde waren bereits die frühen Singles „Somebody told me“ und „Mr. Brightside“, die zum Standardrepertoire jedes Indie-DJs gehören, durch Gitarrenpop-Elemente nur notdürftig getarnte Techno-Bomben, an die neue Songs wie „Spaceman“ oder „Losing Touch“ nahtlos anknüpfen. Live löst das beachtliche Mitklatsch-, Mitsing- und Mitspring-Choreografien aus, die die handelsübliche Dynamik bei Indie-Pop-Konzerten überbieten. Nicht umsonst heißt es in dem triphoppigen „Tranquilize“: „Deadbeat Dancers come to us and stay.“

Als Band scheinen die Killers zusehends hinter ihrer Musik zu verschwinden: Sänger Brandon Flowers wirkt zwar weniger verstockt als früher und gibt auch schon mal den Gockel auf den Monitorboxen. Herausragende Performer-Qualitäten sucht man indes vergebens, auch wenn das Publikum jeden Animationsversuch enthusiastisch bejubelt. Selbst die eitlen Gitarrenheldenposen von Dave Keuning sind zur Rarität geworden: In der Großraumdisco ist das Gitarrensolo überflüssig. Es zählt die Intensität und Dichte des Sounds, zu dem Keuning mit seinem imposanten Arsenal an Effektgeräten sicher etliches beisteuert. Man kann bloß nicht mehr identifizieren, was eigentlich. Deutlicher ist das bei Mark Stoermer und Ronnie Vannucci an Bass und Schlagzeug herauszuhören. Dafür sind beide brave Durchschnittsmalocher, deren Gesichter man zwei Minuten nach Ende des Konzerts vergessen hat. Gut möglich, dass der anonym bleibende Typ an den Keyboards, dessen Nichtzugehörigkeit zur Killers-Stammbesetzung durch eine Absperrung kenntlich gemacht wird, Hauptlieferant für die massiven Klangwalzen ist.

Paradoxerweise schärft die Band ohne Eigenschaften ihr Profil genau dadurch, dass sie sich am Sound gesichtsloser Eurodisco-Sternchen der frühen Neunziger orientiert: Eintagsfliegen wie Londonbeat, Ace Of Base oder Eiffel 65 sind zwar zurecht im Mülleimer der Geschichte gelandet. Die Killers aber klauben aus dem Trash das für sie Geeignete und präsentieren sich als Meister der polierten Oberfläche. Das vermeintlich Ehrliche, Erdige, das sie mit der interessanten Bruce-Springsteen-Mimikry ihres zweiten Albums „Sam‘s Town“ simuliert haben, war im Nachhinein betrachtet nur ein Ablenkungsmanöver. Vielmehr sind die Killers gerissene Gaukler in der Meat-Loaf-Tradition: Aus billiger Lauge erzeugen sie schillernde Seifenblasen, die jederzeit zu zerplatzen drohen. Falls das geschieht, könnte aus ihnen sogar eine richtig spannende, womöglich große Band werden. Bis dahin werden Brandon Flowers und die Seinen die Massen bewegen, was ja auch nicht zu verachten ist. Zum Ende der knapp 100-minütigen Tanzschaffe, die mit der paradigmatischen Hymne „When you were young“ nochmal auf die Emotionsdrüse drückt, inszeniert Las Vegas‘ bekannteste Popgruppe mit Konfetti-Kanonen, Rauchpilzen und Funkenregen ein Finale, das auch in der Show-Metropole nicht popelig wirken würde.

Jörg W, er

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