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Leder, Nieten, lange Haare. Judas Priest gehörten zu den Wegbereitern des "New Wave of British Heavy Metal" und des entsprechenden Images.

© promo

Konzertkritik: Judas Priest in der O2 World

Siebenunddreißig Jahre Heavy-Metal-Leben in zwei Stunden. Judas Priest aus Birmingham rockten mit all den liebgewonnenen Ritualen und Klischees, die der Heavy Metal aufzubieten hat.

Auf dass es niemand übersehe, steht das Motto in riesigen Lettern auf dem roten Bühnenvorhang: "Epitaph". Wie eine Grabinschrift für Judas Priest, die auf ihrer letzten Tournee auch in der Berliner O2 World Abschied nehmen von den Konzertbühnen der Welt und in zwei Stunden noch einmal ihr siebenunddreißigjähriges Heavy-Metal-Leben Revue passieren lassen.

Zu überhören ist es nicht: Ratter-Ratter-Ratter, da knattern die "Heavy Metal Gods" aus Birmingham mit Höllenlautstärke in glutroter Röhren-Verstärker-Hitze, während auf der Bühnenrückwand Stahlkessel kochen und qualmen: "Welcome to the home of British Steel".

"Ho Bölinn, the Priest is back!" röhrt Rob Halford mit dämonisch diabolischer Dunkelstimme. "Are you readyyyy?"

Natürlich sind alle ready im dicht gedrängten Innenraum der Arena, sowie auf den schütter besetzten Rängen und recken die Arme mit Teufelshörnchen-Fingern zur Bühne.

Wo die alten Recken wacker rocken. Mit allen Ritualen und Klischees, die der Heavy Metal aufzubieten hat, und die dieses spezielle Genre seit Jahrzehnten so unverwüstlich machen. Das Gleichbleibende, das Liebgewonnene, das Gewohnte. Und ob auch die langen Haare inzwischen angegraut sind und "extra large" die T-Shirts mit den martialischen Motiven, spürt man immer noch einen Hauch von Unangepasstheit und Außenseitertum, einem Lippenbekenntnis zu "Breaking The Law". Und natürlich die Wonnen des Lärms.

Wenn Bass und doppelte Bassdrum anrollen wie ein dräuendes Gewitter oder Vorboten eines Erdbebens. Wenn die Gitarristen - in schwarzem Leder und Nieten – die langen Haare und Gitarrenhälse rütteln und schütteln zu einem verzerrten Sound, der so scharf ist wie die Rasierklinge auf dem Cover der Platte "British Steel", dem sechsten Album von Judas Priest, mit dem sie 1980 ihren großen Durchbruch hatten als stilprägende junge Band der so genannten "New Wave of British Heavy Metal".

Was also heißt hier "Klischee"? Judas Priest gehörten damals zu den Wegbereitern eines musikalischen Stils und des entsprechenden Images, das sie mit erfunden haben. Was dann erst durch unzählige Nachahmer zur ritualisierten Schablone wurde.

Kraftmeiernd machohaft breitbeinig spielen die Gitarristen ihre knatternden Stakkato-Rhythmen, parallele Riffs, schneidende Soli, punktgenau und präzise. Heben die weiße Gibson-Les-Paul oder die Flying-V in die Höhe wie Trophäen des Jägers und Sammlers.

Wobei es gar nicht auffällt, dass statt des kürzlich ausgeschiedenen Gründungsgitarristen K.K. Downing neben dem 62-jährigen Glenn Tipton heute der 31-jährige Richie Faulkner die meisten Soli spielt. Ein Spötter, wer da behauptet, im Heavy Metal sei alles beliebig austauschbar. Faulkner macht seine Sache gut. Ein versierter Gitarrist, der auch all die geforderten Gesten und Bewegungen wunderbar draufhat. Spinnenbeinige und spinnenfingerige. Flinkbeinig und flinkfingerig.

Der bald 60-jährige Rob Halford ist immer noch eindrucksvoll bei Stimme, mit einem Spektrum von mephistophelischem Grollen bis zu dramatisch operettenhaftem Kreischen. Darüber hinaus verfügt er über das typische theatralische Timbre für die obligate Heavy-Metal-Ballade zwischendrin, zu der auch "Diamonds And Rust", Joan Baez' Abschiedsode an ihren ehemaligen Liebhaber Bob Dylan, von Judas Priest auf Schwermetall umgeschmiedet wurde.

Erhöht auf einem Altar, gerahmt von zwei zu überdimensionalen goldenen benieteten Pommes-Piekern umgebogenen Kreuzen, kickt der vertrackt trommelnde Amerikaner Scott Travis in rasender Geschwindigkeit seine beiden Bassdrums, während neben ihm gelegentlich großes Tischfeuerwerk aufflammt oder rhythmischer Rauch hochpufft.

Immer wieder verschwindet Halford in einer kleinen Umkleidekabine im Bühnenhintergrund, um jedes Mal in neuer Garderobe wieder aufzutauchen. So bekommen die 3000 Zuschauer zum Konzert noch eine veritable Heavy-Metal-Modenschau geboten. Diverse Jeanskutten und unzählige lederige Gehröcke und Mäntel mit Nieten und Dornen und allerlei glitzernden Blechapplikationen. Das interessanteste Modell wird vorgeführt zum Song "Prophecy": ein goldener Kapuzenmantel, in dem der Sänger wie ein glänzender Wichtel völlig verschwindet, während er in der Hand wie einen Bischofsstab eine Art Dreispitz oder riesige Frittengabel hält. Dazu singt er: "I am the darkness born out of light, I am the force, the fire, that burns here tonight". Und weckt damit Erinnerungen an die Theatralik des alten "God of hellfire" Arthur Brown von 1968.

Die alten Schwermetaller rackern sich redlich zwei Stunden lang durch ihre eigene Geschichte und ausgewählte Songs von 16 Alben aus 37 Jahren, von "Rocka Rolla" (1974) bis "Nostradamus" (2008).

Zum Schluss rollt Halford in silbernen Heavy-Metal-Cowboy-Kostüm und Reitpeitsche auf die Bühne: "Hell Bent For Leather". Und schließlich die beiden besten Songs als letzte Zugaben: "You've Got Another Thing Comin'" und "Living After Midnight" mit enthusiastischem Gröhlchor der entzückten Fans.

Ob dies nun auch wieder eine der unzähligen "Never-Ending-Abschiedstouren" ist, wie wir sie seit Jahren von anderen Bands kennen, bleibt abzuwarten. Ein neues Album haben Judas Priest jedenfalls schon angekündigt.

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