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Ein Plakat von Klaus Staeck.

© Edition Staeck, Heidelberg

Plakatkunst von Klaus Staeck in Berlin: Der Alleskleber

Mit seinen Motiven trieb Klaus Staeck Politiker jahrelang zur Weißglut. Die Neue Nationalgalerie stellt seine Plakate nun an Litfasssäulen aus.

Blick auf ein Autobahnkreuz aus der Vogelperspektive. Zwischen den bananenförmig gebogenen Straßen steckt ein prachtvoller, grün erstrahlender Baum. „Und neues Leben blüht aus den Ruinen“, lautet der Kommentar am unteren Bildrand. Eine verrußte Backsteinmauer. Oben steht: „Stell Dir vor Du musst flüchten und siehst überall“ – darunter, in fetter roter Handschrift: „Ausländer raus!“ Zwei Boxer im Ring, ihr Kampf wird gleich beginnen. Die Halle ist überfüllt, lilafarbenes Zwielicht liegt über der Szene. Der Kommentar: „Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Universitäten ruhig verzichten“. Wobei Universitäten mit „w“ geschrieben ist. Der Bildungsverfall hat begonnen.

Klaus Staeck ist gerne ein Spielverderber. Bei der nationalen Begeisterung für Sportidole macht er nicht mit, wenn er auf der Autobahn unterwegs ist, erinnert er sich an die Wälder, die dort nun nicht mehr stehen, und sobald Flüchtlinge ausgegrenzt, beschimpft oder angegriffen werden, weist er darauf hin, dass eigentlich jeder ein Ausländer ist. Fast überall. Mit seinen so polemischen wie pointierten Fotocollagen war der inzwischen 76-jährige Grafiker aus Heidelberg, der im Nebenberuf als Präsident der Berliner Akademie der Künste amtiert, schon in der alten Bundesrepublik zu einer politisch-satirischen Instanz aufgestiegen. Seine Werke gehören zum kollektiven Bildgedächtnis. Die Autobahn-, „Ausländer raus!“ und Boxring-Motive stammen aus den Jahren 1979, 1986 und 1997. Von ihrer Aktualität haben sie nichts verloren. Oder geht es den deutschen Hochschule heute besser als vor zwanzig Jahren?

Deshalb werden Staecks Plakate jetzt wieder aufgehängt. „Die Kunst findet nicht im Saale statt“, lautet der programmatische Titel der von der Neuen Nationalgalerie initiierten Ausstellung, bei der zehn seiner Werke drei Wochen lang an 220 Berliner Litfaßsäulen zu sehen sein werden (bis 31. August). Subversiverweise hängen die Polit-Poster inmitten von Kauf-mich-Aufforderungen für Bier oder Flatrates.

"Nicht für Produkte, sondern für Ideen werben."

Ein Staek-Plakat aus dem Jahr 1997.
Ein Staeck-Plakat aus dem Jahr 1997.

© Edition Staeck, Heidelberg

Vor der Neuen Nationalgalerie und dem Hamburger Bahnhof stehen Litfaßsäulen, auf denen alle zehn Motive kleben. Eine Firma für Außenwerbung unterstützt das Unternehmen. Mit den Methoden der Mimikry, der täuschend echten Annäherung an die Methoden und die Ästhetik der Reklame, hat Staeck von Anfang an gearbeitet. Er wolle, sagt er, „nicht für Produkte, sondern für Ideen werben, die man teilweise erst auf den zweiten Blick entschlüsseln kann“.

Eine alte Frau im Halbprofil. Ihr Körper wirkt knochig, der Gesichtsausdruck ist grimmig, der Stoff über ihrem Haar erinnert an ein muslimisches Kopftuch. Darunter die Frage: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“ So fing alles an. 1971 plakatierte Klaus Staeck dieses Motiv in den Straßen von Nürnberg, wo damals gerade Albrecht Dürer mit einer Ausstellung zu seinem 500. Geburtstag gefeiert wurde.

Denn die Frau auf dem Plakat ist Dürers Mutter, die 18 Kinder zur Welt gebracht, Seuchen und Armut überlebt hatte. Die Aktion erregte große Aufmerksamkeit, auch deshalb, weil gleichzeitig ein Maklerkongress stattfand. Und aus dem Juristen Staeck war ein politischer Künstler geworden. Heute sagt er, er habe in Nürnberg „die Kunst zurück auf die Straße“ bringen wolle. Schließlich hatte Dürer seine Grafiken einst auf Märkten vertrieben.

Etwa 380 Plakate bis heute gestaltet

Ein Staeck-Plakat aus dem Jahr 1987.
Ein Staeck-Plakat aus dem Jahr 1987.

© Edition Staeck, Heidelberg

Sein politisches Erweckungserlebnis hatte der Schüler Klaus Staeck, als sein Banknachbar eine Note besser bewertet wurde, „nur weil der ein Arbeiter- und Bauernkind war“. Der spätere Künstler wuchs in Bitterfeld auf und zog gleich nach dem Abitur in die Bundesrepublik. Gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen, das wurde zu seiner Aufgabe als Rechtsanwalt wie als Grafiker. Sein Credo lautet: „Nichts ist erledigt.“ Etwa 380 Plakate hat Staeck bis heute gestaltet. Er begreift sie allesamt als „so eine Art Demokratiebedarf“. Jeden Tag, erzählt er, finde er „zehn Gründe zu resignieren und ich strenge mich an, ein, zwei Gründe zu finden, weiterzumachen“.

Ein Slogan auf weißem Grund: „Die Reichen müssen noch reicher werden. Deshalb CDU“. Ein Ministerpräsident sitzt auf einer Kuh. Darüber steht: „Prof. Carstens reitet für Deutschland.“ Es waren solche optischen Schienbeintritte, die in Staecks heroischen Zeiten der siebziger und frühen achtziger Jahren christdemokratische Politiker zur Weißglut trieben. Legendär der Ausraster von Philipp Jenninger, der 1976 in einer Ausstellung der Parlamentarischen Gesellschaft ein Staeck-Plakat mit der Zeile „Seit Chile wissen wir genauer, was die CDU von Demokratie hält“ von der Wand riss. In Chile herrschte damals eine brutale Militärdiktatur, die von einem Parteikollegen verteidigt worden war. Der Vorfall ging als „Bonner Bildersturm“ in die Geschichte ein. Jenninger wurde zu einer Schadensersatzzahlung von zehn D-Mark verurteilt. 51 Prozesse seien gegen ihn geführt worden, und er habe keinen einzigen verloren, sagt Staeck stolz.

Wut statt Biss

Nahansicht eines halb aufgerissenen Paketes. Auf dem oberen Bildrand lässt sich entziffern: „Nie mehr Amazon“. Klaus Staeck sieht sich als „zorniger alter Mann, der Sie, wenn Sie nicht aufpassen“, überrollt. Die alte Wut ist noch da, aber von dem alten Biss ist nicht mehr viel übrig. Das in diesem Jahr entstandene Plakat gegen den Internetkonzern wirkt so plump wie unterkomplex. Nichts zu spüren von der Subtilität früherer Entwürfe, denen es gelang, komplizierte Sachverhalte auf den Punkt zu bringen, ohne dabei die Umstände auszublenden. Die Diskussion um die Marktmacht und die Datensammelwut von Amazon kommt auf dem Bild nicht vor. Immerhin schiebt Staeck in der Pressekonferenz nach, die Firma erpresse Verlage.

Und die CDU? Mit der scheint Staeck inzwischen seinen Frieden gemacht zu haben. Für den Kulturstaatsminister Neumann hat er eine Abschiedsrede gehalten. Staeck will ein „Verteidiger der Demokratie und der Politik“ sein, „nicht aber aller Politiker“. In Merkels Konsensrepublik mangelt es an einem Grundstoff der Satire: harten Konflikten.

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