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Piotr Beczala

©  Anja Frers/DG

Piotr Beczala: Die Seele der Lieder

Piotr Beczala singt im Konzerthaus Lieder von Schumann, Dvořák und Rachmaninow - und lässt keinen Zweifel: Er ist auf der Höhe seines Könnens.

Zwei Männer, ein Klavier, sonst nur die Leere eines Podiums: Das ist schon eine existenzielle Situation, vor allem, wenn man sich in den großen Saal des Konzerthauses traut. Doch wenn den einer füllen kann – nicht vollständig, aber für einen reinen Liederabend sehr ordentlich –, dann ist es Piotr Beczala. Sobald der polnische Tenor anhebt, buchstäblich ab der ersten Sekunde, schwebt ein Zauber im Raum. Diese Stimme! Dieses Timbre! Zart, anschmiegsam, bernsteinfarben, ätherisch, fast überirdisch schön in der Höhe, in der Tiefe trotzdem fest geerdet. Beczala gleitet mit einer Mühelosigkeit und Geschmeidigkeit durch die Lagen, die nur einen Schluss zulässt: Man erlebt hier einen Sänger auf dem Höhepunkt seiner Kräfte und seiner Kunst.

Helmut Deutsch, sein versierter Pianist, legt zunächst eine falsche Fährte, scheint Schumanns „Dichterliebe“ op. 48 eher poetisch-versponnen anlegen zu wollen. Aber dann wird er mit kräftigem Anschlag doch recht schnell handfester. Beide, Beczala wie Deutsch, sind (An-) Verwandlungskünstler; sie fangen die Seele von Schumanns knappen, luftigen Liedskizzen ein, die dieser auf Texte von Heinrich Heine komponiert hat. Bei „Ich grolle nicht“ dreht Beczala richtig auf, sein Timbre gewinnt noch mehr Farbe und einen Stich ins Dunkle.

Sehnsuchtstrunken und jovial

Beinahe heldentenoral wird er bei „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ – Verse, in denen sich Heine so offensiv wie vielleicht nirgends sonst in seinem dichterischen Werk als liebevoll-spöttischer Romantiker entpuppt. Und wenn es dann „Aus alten Märchen“ winkt, lässt Deutsch die springlebendigen Begleitakkorde fröhlich läuten wie Kirchenglocken am Ostersonntag.

Nach der Pause geht es nach Osteuropa. Beczala, dessen Textverständlichkeit schon bei Schumann bestechend war, singt jetzt in seiner Muttersprache, erschließt sich noch mal ganz neue Volumen- und Farbbereiche in den sehnsuchtstrunkenen, jovialen Liedern von Mieczysław Karłowicz, der 1909 mit nur 32 Jahren sein Leben durch eine Lawine in der Hohen Tatra verlor. Antonín Dvořák schrieb griffiger in seinen Zigeunerliedern (Cigánské melodie), in denen er wieder einmal kunstfertig böhmisches Liedgut neu erfand. Im Lied „Frühlingsfluten“ wiederum lässt Sergej Rachmaninow das Klavier in bester Schubert-Manier das Plätschern eines Baches imitieren.

Piotr Beczala meidet stimmliche Extreme – weil er weiß, dass auch auf dem Mittelweg viele Edelsteine zu finden sind. Seine Stimme bleibt dabei immer aufregend, sie hat zum Glück nichts von der Langeweile, die reine Schönheit manchmal mit sich bringen kann. Erst gegen Ende des Konzerts, als das Passaggio nicht mehr ganz so geschmiert gelingen will und die ersten zarten Bruchstellen beim Registerwechsel auftreten, wird deutlich, welche Gefährdungen Singen auch bedeutet. Dann lieber das Konzert schnell zu Ende bringen, immerhin mit drei Zugaben, darunter „Zueignung“ von Richard Strauss. So bleibt ein denkwürdiger Abend in Erinnerung.

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