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Der österreichische Regisseur und Autor Peter Keglevic.

© Agnieszka Budek

Peter Keglevic im Porträt: Zielgerade Berlin

Der Kino- und Fernsehregisseur Peter Keglevic debütiert als Romancier. „Ich war Hitlers Trauzeuge“ erzählt von einem Rennen durch Nazi-Deutschland.

Zu Beginn jeder „Tatort“-Folge geht zu den letzten Takten von Klaus Doldingers Titelmelodie die Fluchtbewegung des schematisierten Tatverdächtigen in eine weiße Spirale über. Im 122. Fall mit dem Titel „Beweisaufnahme“ setzt sie sich unmittelbar fort: Der neue Berliner Kommissar Walther, mit hohem Lässigkeitsfaktor dargestellt von Volker Brandt, fliegt geradezu über die Aschenbahn eines Sportplatzes. An dessen Rand sitzt Assistent Hassert (Ulrich Faulhaber) in einem roten Alfa Romeo und stoppt die Zeit seines Chefs. Als sie zu ihrem ersten Einsatz an der Neuen Nationalgalerie gerufen werden, verklingt in der diesigen Atmosphäre Randy Newmans Song „Pretty Boy“.

Coole Typen ermittelten damals in der Zeitkapsel West-Berlin. Es ist erstaunlich, wie plastisch sich der Regisseur Peter Keglevic 36 Jahre später an die erste Einstellung seines Films vom März 1981 erinnert: „Jedes Mal, wenn ich den ‚Tatort’-Vorspann sehe, weiß ich, wie mein Film damals angefangen hat. Die Schlieren am Schluss habe ich übergeblendet in die Aschenbahn und auf Brandts Füße, die hineinlaufen.“ Besonders seinen damaligen Redakteur Jens Peter Behrend lobt Keglevic: „Ganz geniale Animateure“ seien beim SFB gewesen, die ihn zur „einigermaßen tollkühnen Besetzung“ ermunterten.

Denn nach dem Drehbuch von Herbert Lichtenfeld agierte ganz in Pink und im Schutz riesiger Hüte Magdalena Montezuma an der Seite von Dieter Thomas Heck: „In dieser Geschichte gibt es einen verwöhnten Jungen, der immer beschützt wird. Wie entsteht so ein Charakter? Da habe ich mir gesagt: Das muss ein Kind sein von Dieter Thomas Heck und Magdalena Montezuma, das kann ja nur gestört sein.“

Beim "Tatort"-Dreh gefiel es ihm so gut in Berlin, dass er blieb

Als der rbb in diesem Sommer 14 der SFB-„Tatort“-Klassiker wiederholte, darunter auch Keglevics zweiten Fall „Sterben und sterben lassen“ zur Musik von Fassbinder-Komponist Peer Raben, steuerte der Regisseur die Zielgerade eines gewaltigen literarischen Dauerlaufs an: Endlich sollte sein 572 Seiten starkes Romandebüt „Ich war Hitlers Trauzeuge“ (Albrecht Knaus Verlag, München 2017. 572 Seiten, 26 €) erscheinen.

Dem gebürtigen Salzburger hatte es durch sein „Tatort“-Engagement so gut in West-Berlin gefallen, dass er blieb. Inzwischen lebt der 67-Jährige mit seiner Frau in Potsdam. „Es war merkwürdig“, erzählt Keglevic: „Ich hatte einen sehr erfolgreichen Film, den zufällig alle gesehen hatten: ‚Auf freiem Fuß“, eine Koproduktion von ORF und ZDF. Daraufhin wurde ich von vielen anderen Sendern zum Drehen eingeladen, darunter auch vom SFB. Und in dieser Phase hatte ich meine Österreicher gefragt, wie es mit einem nächsten Film aussieht und musste dann verstehen lernen, dass ich aus Salzburg komme und deswegen in Wien als Provinzler überhaupt keine Chance hatte.“

Von Roy Black bis zur Heimatsaga

Es war der Startschuss zu einer Karriere, für die Keglevic auch von seinen frühen Erfahrungen am Schauspielhaus Bochum profitierte. Dorthin hatte Peter Zadek 1974 den Mittzwanziger als George-Harrison-Darsteller verpflichtet. Zu Keglevics bekanntesten Kino- und Fernsehproduktionen zählen „Das Milliardenspiel“, „Dort oben im Wald bei diesen Leuten“ mit Günter Lamprecht oder „Du bist nicht allein – die Roy Black Story“ mit Christoph Waltz. Der Wiener demonstrierte sein sinistres Vermögen auch als Erpresser in Keglevics preisgekröntem Sat1-Film „Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“. Zuletzt lief im ZDF die von Keglevic inszenierte Heimatsaga „Treibjagd im Dorf“.

Von Salzburg, wo Peter Keglevic nach einigen Jahren als Buchhändler am Mozarteum Regie studierte, ist es nicht weit nach Berchtesgaden. Auf dem dortigen Schlossplatz, am Fuße von Hitlers Alpenfeste Obersalzberg, lässt der literarische Debütant am Ostersonntag 1945 seinen Romanhelden Harry Freudenthal alias Paul Renner zum Brandenburger Tor starten. Der untergetauchte Sohn eines jüdischen Zahnarztes aus Berlin, der Oberbayern durch Ferienaufenthalte gut kennt, will als Pilger getarnt nach Santiago de Compostela, als er von der SS aufgegriffen wird. Zufällig kommt ihm Leni Riefenstahl zu Hilfe, die den athletischen Blondschopf für eine Propagandaaktion verpflichtet.

Tausend Kilometer müssen die Läufer zurücklegen

Unter dem Motto „Wir laufen für den Führer“ soll ein letztes Aufgebot an Sportlern tausend Kilometer durch das kollabierende Dritte Reich zurücklegen, eingefangen vom unerbittlichen Kameraauge der „Reichsfilmregisseurin“. Der Sieger soll Hitler am 20. April zum Geburtstag gratulieren. Zufällig fischt Harry eine Trainingsjacke der neuseeländischen Olympia-Mannschaft von 1936 aus einem Kleiderhaufen des Winterhilfswerks: „Ich war mir ganz sicher, dass es die Jacke von Jack Lovelock sein musste, dem Gewinner der Goldmedaille über 1500 Meter.“

Zur Figur des Läufers Harry Freudenthal wurde Keglevic 1986 bei der Motivsuche für „Magic Sticks“ in New York inspiriert, während der er auf die Aufzeichnungen eines polnischen Emigranten stieß. Und bei Dreharbeiten für „Du bist nicht allein“ entdeckte er in der Buchreihe des Literarischen Colloquiums am Wannsee die Broschüre „Ahnungslos in Berlin“ von James McNeish, der wiederum die Spur von Jack Lovelock verfolgte – jenes Athleten, den Riefenstahl in ihrem „Olympia“-Film verewigte. Das zeigt beispielhaft, wie intensiv der Autor für seinen pikaresken Abenteuerroman recherchierte. Die beschriebenen Streckenabschnitte, im Buch mit einer historischen Karte illustriert, erwanderte er sich oder fuhr sie mit dem Fahrrad ab. Einen der komischen Höhepunkte markiert Bayreuth, wo die auf dem Zahnfleisch dahinkriechenden Sportler von Winifred Wagner empfangen werden: „Wir liefen ja mitten ins Herz von Parsifal, dem arischen Christus! Um das Festspielhaus waren Splittergräben und Unterstände ausgehoben, es sah aus wie eine Musteranlage für Schanz- und Schachttechnik.“

Treffen im Führerbunker

Frau Wagners Frage, ob Riefenstahl nackt vor dem Führer getanzt habe, bleibt unbeantwortet. Und dann kommt noch ein gewisser Hajott Syberberg ins Spiel, Riefenstahls übereifriger Assistent. Peter Keglevic beruft sich auf die Sentenz „Wir müssen den Hitler in uns erkennen“ des 1935 geborenen Kollegen Hans-Jürgen Syberberg: „Ich wollte mir erklären, wie einer zu so einer überwältigenden und auch weisen und durchschauenden Sicht auf den Nationalsozialismus kommen kann, deswegen habe ich Syberberg als Kind da reingesetzt. Und natürlich waren seine Initialen HJ verführerisch, das konnte ich mir als Scherzkeks nicht verkneifen.“

Als Paul Renner nach irren Strapazen und amourösen Verwirrungen als Sieger durchs Brandenburger Tor läuft, wird er in den Führerbunker komplimentiert. Der Hausherr ruht in sich zusammengesunken „wie eine alte Hundedecke“. Er habe Hitler „in all seiner Erbärmlichkeit als krankes Untier“ darstellen wollen, erläutert Keglevic die grotesken Schlussszenen. Eine H.-Inflationierung befürchtet er nicht: „Da hat sich etwas meine österreichische Seele durchgesetzt. Ich wollte mich auch lustig machen über Titel wie ‚Ich war Hitlers Chauffeur’, Telefonistin oder Diätköchin.“ Darf man sich also über das „Dritte Reich“ amüsieren? Für Peter Keglevic ist die Antwort klar: „Anders lässt sich tödlicher Ernst nicht ertragen.“

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